David Hamilton, Wilhelm Reich und Sailor Moon
Zu Besuch bei der französischen Sängerin
Laila France
Von Thomas Bohnet
„Ich muß um 8 Uhr aufstehen. Popstars stehen
vielleicht um 11 oder um 12 auf, aber doch nicht um 8!" Böse Welt. Die zierliche
kleine Französin mit dem thailändischen Elternteil zieht eine Schnute und grinst. Seit
zwei Tagen hat Laila France einen festen Job bei einer Agentur, wo sie Websides im
Internet erstellt. Ein fulltime-job. Dabei wollte sie doch nur einen Halbtagsjob haben.
„Ich hab die Anzeige in der Libération gelesen und mich dort vorgestellt",
erzählt die 21jährige. „Die haben mich gefragt, ob ich das auch ganztags machen
könnte. Ich dachte, na ja, die nehmen mich sowieso nicht und hab einfach ja gesagt."
Vielleicht werde sie den Job, ein, zwei Monate behalten. „Ist blöd, denn vor zwei
Jahren wäre ich über so einen Job froh gewesen. Damals konnte ich mir aber auch noch
nicht vorstellen, ir-gendwann einmal Sängerin zu sein."
„Orgonon" heißt das kleine
Werk, weshalb wir uns hier in Lailas neuer Wohnung im 3. Arrondissement, mitten in Paris,
zum Interview gegenübersitzen. Heraus-gekommen beim, so Laila, „besten Label
überhaupt", den Berliner Bungalow Records, hat die Platte nicht nur Teile der
LEESON-Redaktion ergriffen, sondern auch an-derswo ganz gute reviews bekommen.
Zusammen mit dem schottischen Musiker Momus hat Laila
France, die übrigens tatsächlich so heißt, ihr Debüt bewerkstelligt. Momus? – Wir
erinnern uns. Ein nicht wenig exzentrischer Brite, der seit Mitte der achtziger Jahre für
nette Pop-platten sorgt, die nicht zuletzt we-gen ihrer seltsamen Texte, oft voller mehr
oder weniger verschlüsselter sexueller Anspielungen und/oder obskuren Humors, auffallen.
Alleine die Songtitel sprechen hier Bände. Kostproben: „I was a maoist
intellectual", „A complete history of sexual jealousy (part 17-24)",
„Sex for the disabled" oder „I ate a girl right up". Jüngst ist
übrigens das neueste, nebenbei bemerkt, exzellente Werk von Momus (auf Bungalow Records)
erschienen (mehr dazu auf den Plattenseiten).
Mit eben jenem Momus, bürgerlich: Nicholas Currie, hat
Laila France „Orgonon" aufgenommen. Der Schotte, der vor zwei Jahren für einige
Zeit in Paris gelebt hatte, suchte damals über eine Anzeige in der Zeitschrift Nova eine
Sängerin, die bei einer Platte „im Stile italienischer Softpornofilme der 70er
Jahre" mitmacht. „Da habe ich mich halt gemeldet", sagt Laila, „wobei
Momus eigentlich schon eine Sängerin hatte. Wir haben uns am Telefon über dies und jenes
unerhalten, so daß wir uns trotzdem getroffen haben. Dann hat er schließlich doch mich
genommen."
Momus, Laila sagt unwiderstehlich charmant
„Momüüüüss", habe von seiner englischen Plattenfirma Rhythm King damals den
Auftrag gehabt, eine europäische Sängerin zu finden, um mit ihr etwas im
Kahimi-Karie-Style zu machen. Kahimie Karie wiederum, das wissen Fans japanischer
Popmusik, ist die bekannteste japanische Sängerin (u.a. mit dem von Momus geschriebenen
Stück „Good morning world" auf der Bungalow-Compilation „Sushi 3003"
zu hören). Für die Zusammenarbeit hatte er bereits einige Stücke geschrieben.
„David Hamilton", „Orgonon" und „Lilly la Tigresse", ein
Stück, das nur auf der japanischen Ausgabe der Platte ist. „Zu Anfang wollte Momus
eigentlich schon alles selber machen, und ich war die kleine Sängerin", erzählt
Laila, „aber ich wollte auch meine eigenen Texte schreiben, was er dann schließ-lich
zugelassen hat." Du hast dich emanzipiert? Laila lacht: „Ja, ich wurde eine
Erwachsene in der Musikindustrie".
„Orgonon", der Titel bezieht sich auf die kruden
Sexualitätstheorien eines Wilhelm Reich, der in den dreißiger Jahren die
Or-gonon-Energie zu entdeckt haben glaubte: die eigentliche Sexual- und Lebensenergie.
Energie, die aus Orgasmen gewonnen wird und Leben retten sollte. Nun ja. –
„Orgonon" von Laila France klingt jedenfalls fast so wie ein Konzeptalbum über
Sexualität? War das gewollt? – „Das kam eher zufällig so", sagt Laila,
„zu Anfang dachte ich nicht, daß die Ideen zu den Texten, die mir in den Sinn kamen,
alle sexuell sind. Weil… pffff, die Leute sagten, schreib deine eigenen Lyrics: Und
dann fing ich halt an. Das erste Stück geht um Sex. Okay...Und dann ging plötzlich ein
ums andere Stück um Sex. Na und? – Ich denke, ich kann da nur für mich sprechen,
nicht für Momus, das kam alles sehr natürlich zustande. Also ich wollte nicht
exzentrisch sein, nein nicht exzentrisch, ich wollte nicht provokativ sein."
Lailas Texte sind sehr direkt. Im ersten Stück
„Trashy like TV" singt sie lalala, „This time I have my period, I don`t
want to give a blow job", ein anderer Song, „Japanese especially" handelt
von Selbstbefriedigung. Dazu gibt`s eine eher liebliche, nette Musik. Easy Listening,
Daddel-Pop, Post-Wave, Drum & Bass der netten Sorte. „Ich mag diesen Gegensatz
zwischen sehr schöner Musik und harten Texten", sagt Laila. „Ich finde das
lustig". Was ihr größere Schwierigkeiten bereitet, ist, die Texte von anderen
Leuten zu singen. Deshalb sei sie auch so froh gewesen, eigene Texte schreiben zu können.
„Da hatte ich auch mehr Selbstvertrauen", sagt sie. „Es ist schließlich
auch nicht so einfach über diese sexuellen Sachen zu singen, weil das ja auch sehr
persönliche Dinge sind, die du da vor fremden Leuten singst." – „Sehr
persönliche Sa-chen", merkt sie an, „ohlalala." Die Platte lebe auch von
den Gegensätzen, sagt Laila. Weil es echte Momus-Songs gebe und solche, die zwei Leute
zusammen ge-macht haben. „Ich wußte ja vorher nichts über Momus, auch nicht daß er
einen so kontroversen sexuellen Background durch die 80er hatte. Alle sagten zu mir: Oh
Momus ist dies, Momus ist das und ich immer: oh wirklich? Aber wir haben nur Songs
zusammen ge-schrieben. Kein Problem: Er hat nie versucht, mich zu vergewaltigen. Keine
Angst."
Was ist denn ein typischer Momus-Song? Orgonon? „Ja
der, aber auch David Hamilton, Bilitis", sagt Laila. „Du kannst Dir vorstellen
wie das war, als er das erste mal mit dem David-Hamilton-Stück ankam. Das sollte ich
singen? Okay, ich bin bereit, alles zu tun, um berühmt zu werden. Ich verkaufe meinen
Körper, ich singe über trashy Dinge, ich will bald ein Popstar sein, also tue ich es.
Aber es war hart für mich. David Hamilton ist für mich ein Synonym für schlechten
Ge-schmack. Für ihn, für seine Generation war das wohl anders. Er hatte
David-Hamilton-Poster im Zimmer hängen und hörte wohl auch diese Musik. Aber das ist
nicht meine Generation. Wobei ich jetzt das Stück ganz gerne mag. Aber generell gilt
auch: Man sollte meine Platte nicht zu ernst nehmen, nicht intellektuell. Ich will leben,
ich will singen, über trashy aber lustige Dinge, weil ich denke, die 90s sind trashy und
funny."
Für die Platte hat Laila übrigens
zum ersten mal gesungen. „Öffentlich jedenfalls", sagt sie, „ansonsten
habe ich nur unter der Dusche gesungen, mit meinen Handtüchern als Publikum."
Du bist ja auch ein großer Sailor Moon Fan, wie man einem
Text entnehmen kann (diese Frage drängte sich auf, da LEESON-glamour-boy Christoph
„Lindus" Linder ebenfalls dieser japanischen Zeichentrickserie um ein
japanisches Girlie erlegen ist)?
„Oh ja, natürlich", sagt Laila, „der
Cartoon ist eigentlich dumm, aber ich mag ihn. Ich mag japanische Mangas, die Art wie die
die Mädels zeichnen, ist fantastisch. Auch wenn die Stories kindisch sind, ich mag das.
Ich bin ein Japan-Fan. Die Japaner haben eine solche Vorstellungskraft, die sind voller
Ideen, wie ein Vulkan voller Energie. Ich sammle japanische Musik, japanisches Design. Ich
liebe japanische Möbel-Designer (furniture), japanische Technologie, HiFi-Systeme."
Musikalisch ist „Orgonon" ein sehr angenehmer
Soundbastard aus trashigem Club-Pop, Easy-Listening-Sounds, Bossa-Anleihen,
Filmmusikartigem, modernen Dancefloor-Elementen, ja sogar Drum-And-Bass-Zitaten. Stammt
die Musik hauptsächlich von Momus? „Ja schon, aber ich war eigentlich immer dabei,
wenn er an der Musik rumgebastelt hat und ich hatte da auch schon einen Einfluß. Das war
manchmal ein Kampf, weil er mich so als Lolita haben wollte (Laila piepst laut durch
die Gegend, d.V.) und ich wollte einfach mehr Rock sein! Ich habe ihm gesagt, mach die
Streicher raus und mach Gitarren rein. Aber auf coole Art und Weise. Für mich war es aber
auch wichtig, daß das Album nicht zu sehr nach den 60s klingt. Das sollte keine
Retro-Sache werden. Ich wollte ein bißchen diese verrückte Sixtie-Vorstellung in der
Musik haben und auf der anderen Seiten etwas sehr zeitgenössisches. Das ist für mich
wichtig, weil ich 22bin und ein Kind der Neunziger, ich bin kein Teil der
Sixties-Generation. Ich mag auch nicht dieses Retro-Denken über die Vergangenheit. Ich
höre mir die Musik als Teil der Musikgeschichte gerne an, aber ich sage nicht: Die
Sixites waren die beste Zeit, damals gab’s die beste Musik, die Doors waren die beste
Band der Welt. Ich hab die nie auf der Bühne gesehen und auch wenn ich über Jim Morrison
nicht viel weiß, ist er ein Gott. Für mich ist das dumm." Sympathisch, aber nicht
typisch für viele Deiner Generation, die wieder in Sixties-Klamotten auf der Straße
rumlaufen und das alte Zeugs vergöttern. „Wenn ich „Light my fire" höre,
dann kann ich das zwei Minuten hören, okay. Mehr ist too much. Die Musik geht doch
länger als 10 Minuten und am Ende diese endlosen Gitarrenarrangements. Das langweilt
mich."
Bislang ist „Orgonon" übrigens nur in
Deutschland erschienen. In Frankreich und England sucht Bungalow noch einen Vertrieb. Das
nächste Mal will Laila gerne in französisch singen. Und gerne würde sie auch mit einer
Liveband arbeiten. „Aber da muß ich wohl erstmal wieder in einer Zeitung inserieren:
„Ich brauche eine Band! Ich habe eine
Plattenfirma! Ich bin Laila France, ich brauche eine Band! Bitte schreibt mir!" |