The Invasion of the Octopus People
Die weltberühmten Gottväter der
Schallplattenspieler-Manipulatoren - The Invisible Skratch Piklz - gastierten für nur
zwei Auftritte in Europa. Markus Hablizel, unerschrockener Leeson-Redakteur, machte sich
auf nach Zürich, um dort die Zukunft des turntablism zu entdecken.
Zu den im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert am
meisten gefeierten Menschen gehört sicherlich, in sämtlichen nur denkbaren
Ausprägungen, die Figur des DJs. Sei es der Plattenaufleger, der auf Schul-festen die
Herzen seiner Klassenkameraden/Klassenkameradinnen höherschlagen läßt, der Indie-/
Alternative-Jockey, der bevorzugt in legendären Rockschuppen abgegriffene
‘Indiehits’ aneinanderreiht oder der House-DJ, ein beatmatcher par exzellence,
der es schafft, in einem 3-Stunden-Set keinen einzigen Übergang zu verhunzen.
Die Geschichte dieser Schallplattenunterhalter begann
eigentlich mit der Einführung des Technics 1200 MK2. Dieser löste 1980 den 1100 A ab,
mit dem Grandmaster Flash Furore gemacht hatte und der bis heute in unveränderter
Bauweise hergestellt wird. Zur Hochzeit von Disco war es notwendig einen funktionalen und
gleichzeitig robusten Schallplattenspieler zu haben, der einem den Dauereinsatz in
feuchten Clubs nicht übelnahm. Doch eigentlich war der 1200 MK2 für den normalen
Plattenaufleger ein technisch zu anspruchsvolles Gerät, dessen Möglichkeiten niemals
ausgereizt wurden. Die meisten DJs scratchten, transformten oder cutteten zu dieser Zeit
ja noch nicht, sondern reihten einen Song möglichst smooth an den anderen. Eine kleine
Anzahl von Leuten, zu denen Grandmaster Flash, Kool DJ Herc oder DJ Afrika Bambaataa
gehörten, legten den Grundstein des (HipHop-) DJtums wie wir es heute kennen. Am
wichtigsten war der Break, also der Teil des Songs, in dem das Schlagzeug alleine
auftaucht. Die wichtigste Technik der Block-Party-DJs sich den Break zunutze zu machen,
waren die Backspins. Von zwei identischen Platten wurde mittels Überblendtechnik jeweils
nur die Breaksequenz gespielt. Somit bestand für den DJ die Möglichkeit, für den MC
(Master of Ceremony) eine beliebig verlängerbare Rhythmusunterlage zu schaffen, über die
nun gerappt bzw. getoasted werden konnte. Die damaligen DJs haben mit der Entwicklung
diverser Scratch-/Misch- und Cuttechniken den Schallplattenspieler als das definiert, als
was er heute für HipHop-DJs gilt: ein Instrument.
„Wir bezeichnen uns nicht als DJs,
wir sind turntable manipulators. DJs spielen eine Platte nach der anderen, matchen beats
und wollen die crowd zum tanzen bringen. Für uns hingegen sind Plattenspieler und
Mischpulte Instrumente.Wenn wir live auftreten scratcht einer z.B. einen Beat, der andere
sucht sich die passende bassline und der dritte scratcht Melodien etc."
So wie Stetsasonic also ‘the one and only hip hop
band’ ist, sind die Invisible Skratch Piklz ‘the one and only turntablists
band’. Ausgehend von dieser Beschreibung, die Mixmaster Mike, neben Q-Bert eines der
Gründungsmitglieder der ISP, gibt, könnte man sagen, daß gerade die Elemente
(Flexibilität, Spontanität, hohe Variationsfähigkeit, unklare Autorenschaft etc.), die
den DJ gegenüber herkömmlichen Rocksausen die Nase vorn haben lassen, durch die Mimesis
des Rockbandprinzips beeinträchtigt werden. Daß dem nicht so ist, wird erst während der
ca. einstündigen Show klar. Wenn es überhaupt um eine Aneignung des Bandprinzips geht,
so ließe sich das bestenfalls als eine stark ironisierende/abstrahierende verstehen. Die
Piklz geben keine einstudierten (komponierten) Stücke zum Besten, sondern verweisen auf
ihre freie Gestaltung des Auftritts. „Unsere komplette Show ist Freestyle, nichts ist
vorbereitet. Es geht auch nicht darum, die Leute zum tanzen zu bringen, es ist ein
Konzert."
Im Gegensatz zu Live-PAs, bei denen die Besucher auch eher
hilflos in Richtung Bühne auf knöpfchendrehende, im Halbdunkel stehende Ge-stalten
schauen und verzweifelt versuchen ihre Rock-konzerterfahrungen abzuschütteln, sitzt man
bei den Piklz in der ersten Reihe. Zwei mobile Kameras übertragen die turntable action
auf eine Leinwand und garantieren somit (teilweise) Nachvollziehbarkeit. Was natürlich
nicht bedeutet, daß man durchschaut, was sich dort auf der Bühne abspielt. Die von
Mixmaster Mike stammende Oktopus-Metapher aus dem Titel dieses Artikels beschreibt
ziemlich exakt, was auf der Bühne vor sich geht. Fliegende Arme, nervöse Finger und
nicht zuordnenbare Faderbewegungen am Vestax 06 Pro-Mixer, welcher von den Skratch Piklz
mitentwickelt wurde, lassen den Eindruck enstehen, die sechs agierenden Arme wären nicht
an einem menschlichen Körper befestigt, sondern an einem perfekt programmierten
Scratchgenerator (remember ‘Rock It’-Videoclip von Herbie Hancock). Höchst
selten benutzt Mixmaster Mike einen Kopfhörer oder schaut auf den Plattenteller. Mit
nahezu unmenschlicher Sicherheit wechseln seine Hände zwischen Crossfader,
Lautstärkeregler und Plattenteller hin und her, ab und an ‘spielt’ er eine
Platte beidhändig.
„Unsere Arbeit besteht nicht nur darin, einmal
entwickelte Scratches wieder und wieder zu re-produzieren, sondern wir entwickeln ständig
neue Techniken. Nimm zum Beispiel den ‘echo scratch’. Der hört sich an, als ob
plötzlich ein Hallgerät zwischen-geschaltet werden würde, was natürlich nicht so ist.
Wir arbeiten völlig ohne Effektgeräte. Wenn uns beim Üben ein Fehler unterläuft und
dieser sich cool anhört, wird er in unser Programm aufgenommen."
Interessant an der Entwicklung der Invisibl Skratch Piklz
ist die Tatsache, daß sie höchst selten mit Hip Hop-Künstlern zusammenarbeiten. Einige
Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Re-gel, manchmal klopfen Produzenten an und
bitten um Beisteuerung einiger Scratches für ihre Tracks.
Als Q-Bert und Mixmaster Mike sich in den 80ern in San
Francisco an der High School kennenlernten, ging es zuallererst um DJ-Battles, die man
sich gegenseitig lieferte. Zwei DJs zeigen abwechselnd an jeweils zwei Plattenspielern,
welche Techniken (diverse Scratches, Cuts, Beat Juggles) sie beherrschen. Eine Jury
entscheidet dann, wer ge-wonnen hat. Im Falle der frühen Piklz handelte es sich
anfänglich um Freunde, was sich im Laufe der Zeit natürlich änderte. Um bei den Battles
bestehen bzw. sie gewinnen zu können, war üben angesagt. Ständig wurden Techniken und
Technik (Mixer, Fader, System für den Technics MK) verbessert. Während turntablists vom
Format der Invisible Skratch Piklz kontinuierlich an der Verfeinerung ihrer Skillz
arbeiteten und maßgeblich dazu beitrugen, daß turntables heute vielerorts als
vollwertige Instrumente gelten, wurde der Figur des DJs innerhalb der Hip Hop-culture
immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Die MCs traten ins Rampenlicht und wurden zu den
Gallionsfiguren der meisten Crews. Anfang/Mitte der neunziger Jahre war bei vielen Hip
Hop-Shows der DJ nur noch Staffage, der den Dat-Recorder anwarf oder die Vinyl-Beatz in
Gang setzte.
„Natürlich bestehen zwischen uns und der Hip
Hop-Szene Kontakte, allerdings arbeiten wir kaum zusammen. Das beschränkt sich auf ein
paar Scratches für Produktionen von Dr. Dre und einigen anderen. Uns geht es darum,
turntablism weiter voranzubringen. Skratch Piklz gonna be worldwide you know. Wir wollen
nicht stehen bleiben, sondern ständig neue Dinge entwickeln."
Abseits der Pop-Werdung von Hip Hop und der Heiligsprechung
von DJs/Plattenauflegern in allen nur denkbaren musikali-schen Sparten, entstanden
weltweit Gruppen von turntablists, die, kaum im Rampenlicht stehend, konsequent an der
Weiterentwicklung von turntablism arbeiteten. Mittlerweile stößt diese Art Musik zu
machen auf wesent-lich mehr Aufmerksamkeit und es scheint so, als würde der DJ innerhalb
einer Hip Hop Crew wieder wichtiger werden. Wer sich von der Virtuosität der turntablists
überzeugen will, der besuche entweder eine der einschlä-gigen Meisterschaften oder
schaue sich Ernest R. Dickersons äußerst sehenswertes ‘92er Werk ‘Juice’
an, das einen fulminanten Tupac Shakur als kriminellen Kumpel eines scratch ‘n’
mix DJs featuret.
„Die meisten Meisterschaften, an denen wir
teilgenommen haben, haben wir auch gewonnen. 1992, ‘93, ‘94, und ‘95 waren
wir Sieger der DMC. Danach haben sie uns dann in Rente geschickt, um den anderen
Teilnehmern eine Chance zu lassen. Jetzt sitzen wir in der Jury."
Eigentlich hätten sie auch bei der ‘International
Turntablist Federation Europameisterschaft’, welche am vierten April in Hamburg
stattgefunden hat, gemeinsam mit je einem Mitglied der Beat Junkiez und der X-Men die Jury
bilden sollen. Durch einen Auftritt für ihren Sponsor Vestax auf einer Mes-se in Tokio
ist dies jedoch nicht zustandegekommen. Die Teilnehmerschaft dieser Meisterschaft
rekrutierte sich aus vielen Ländern Europas und verdeutlicht somit die Prognose von
Mixmaster Mike und dem erst später zum Interview dazugestoßenen Shortkut (of Beat
Junkiez Fame /Los Angeles).
„Turntablism ist zu einer festen Größe im
internationalen Musikgeschäft geworden und die Invisibl Skratch Piklz sind maßgeblich
daran beteiligt. In den nächsten Jahren werden wir unser Ding noch weiter ausbauen und
weltweit fest verankern. Unsere Kultur ist eine globale Kultur."
Bislang waren die Piklz höchst selten in Europa
un-terwegs. Eventuell bietet sich 1998 die Gelegenheit, sie live auf Tour gemeinsam mit
den Beat Junkiez und den X-Men zu sehen.
www.skratchpikl.com
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