Nr. 7 / November 1997

















Gästebuch


The Invasion of the Octopus People

Die weltberühmten Gottväter der Schallplattenspieler-Manipulatoren - The Invisible Skratch Piklz - gastierten für nur zwei Auftritte in Europa. Markus Hablizel, unerschrockener Leeson-Redakteur, machte sich auf nach Zürich, um dort die Zukunft des turntablism zu entdecken.

Zu den im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert am meisten gefeierten Menschen gehört sicherlich, in sämtlichen nur denkbaren Ausprägungen, die Figur des DJs. Sei es der Plattenaufleger, der auf Schul-festen die Herzen seiner Klassenkameraden/Klassenkameradinnen höherschlagen läßt, der Indie-/ Alternative-Jockey, der bevorzugt in legendären Rockschuppen abgegriffene ‘Indiehits’ aneinanderreiht oder der House-DJ, ein beatmatcher par exzellence, der es schafft, in einem 3-Stunden-Set keinen einzigen Übergang zu verhunzen.

Die Geschichte dieser Schallplattenunterhalter begann eigentlich mit der Einführung des Technics 1200 MK2. Dieser löste 1980 den 1100 A ab, mit dem Grandmaster Flash Furore gemacht hatte und der bis heute in unveränderter Bauweise hergestellt wird. Zur Hochzeit von Disco war es notwendig einen funktionalen und gleichzeitig robusten Schallplattenspieler zu haben, der einem den Dauereinsatz in feuchten Clubs nicht übelnahm. Doch eigentlich war der 1200 MK2 für den normalen Plattenaufleger ein technisch zu anspruchsvolles Gerät, dessen Möglichkeiten niemals ausgereizt wurden. Die meisten DJs scratchten, transformten oder cutteten zu dieser Zeit ja noch nicht, sondern reihten einen Song möglichst smooth an den anderen. Eine kleine Anzahl von Leuten, zu denen Grandmaster Flash, Kool DJ Herc oder DJ Afrika Bambaataa gehörten, legten den Grundstein des (HipHop-) DJtums wie wir es heute kennen. Am wichtigsten war der Break, also der Teil des Songs, in dem das Schlagzeug alleine auftaucht. Die wichtigste Technik der Block-Party-DJs sich den Break zunutze zu machen, waren die Backspins. Von zwei identischen Platten wurde mittels Überblendtechnik jeweils nur die Breaksequenz gespielt. Somit bestand für den DJ die Möglichkeit, für den MC (Master of Ceremony) eine beliebig verlängerbare Rhythmusunterlage zu schaffen, über die nun gerappt bzw. getoasted werden konnte. Die damaligen DJs haben mit der Entwicklung diverser Scratch-/Misch- und Cuttechniken den Schallplattenspieler als das definiert, als was er heute für HipHop-DJs gilt: ein Instrument.

piliz.gif (22952 Byte)„Wir bezeichnen uns nicht als DJs, wir sind turntable manipulators. DJs spielen eine Platte nach der anderen, matchen beats und wollen die crowd zum tanzen bringen. Für uns hingegen sind Plattenspieler und Mischpulte Instrumente.Wenn wir live auftreten scratcht einer z.B. einen Beat, der andere sucht sich die passende bassline und der dritte scratcht Melodien etc."

So wie Stetsasonic also ‘the one and only hip hop band’ ist, sind die Invisible Skratch Piklz ‘the one and only turntablists band’. Ausgehend von dieser Beschreibung, die Mixmaster Mike, neben Q-Bert eines der Gründungsmitglieder der ISP, gibt, könnte man sagen, daß gerade die Elemente (Flexibilität, Spontanität, hohe Variationsfähigkeit, unklare Autorenschaft etc.), die den DJ gegenüber herkömmlichen Rocksausen die Nase vorn haben lassen, durch die Mimesis des Rockbandprinzips beeinträchtigt werden. Daß dem nicht so ist, wird erst während der ca. einstündigen Show klar. Wenn es überhaupt um eine Aneignung des Bandprinzips geht, so ließe sich das bestenfalls als eine stark ironisierende/abstrahierende verstehen. Die Piklz geben keine einstudierten (komponierten) Stücke zum Besten, sondern verweisen auf ihre freie Gestaltung des Auftritts. „Unsere komplette Show ist Freestyle, nichts ist vorbereitet. Es geht auch nicht darum, die Leute zum tanzen zu bringen, es ist ein Konzert."

Im Gegensatz zu Live-PAs, bei denen die Besucher auch eher hilflos in Richtung Bühne auf knöpfchendrehende, im Halbdunkel stehende Ge-stalten schauen und verzweifelt versuchen ihre Rock-konzerterfahrungen abzuschütteln, sitzt man bei den Piklz in der ersten Reihe. Zwei mobile Kameras übertragen die turntable action auf eine Leinwand und garantieren somit (teilweise) Nachvollziehbarkeit. Was natürlich nicht bedeutet, daß man durchschaut, was sich dort auf der Bühne abspielt. Die von Mixmaster Mike stammende Oktopus-Metapher aus dem Titel dieses Artikels beschreibt ziemlich exakt, was auf der Bühne vor sich geht. Fliegende Arme, nervöse Finger und nicht zuordnenbare Faderbewegungen am Vestax 06 Pro-Mixer, welcher von den Skratch Piklz mitentwickelt wurde, lassen den Eindruck enstehen, die sechs agierenden Arme wären nicht an einem menschlichen Körper befestigt, sondern an einem perfekt programmierten Scratchgenerator (remember ‘Rock It’-Videoclip von Herbie Hancock). Höchst selten benutzt Mixmaster Mike einen Kopfhörer oder schaut auf den Plattenteller. Mit nahezu unmenschlicher Sicherheit wechseln seine Hände zwischen Crossfader, Lautstärkeregler und Plattenteller hin und her, ab und an ‘spielt’ er eine Platte beidhändig.

„Unsere Arbeit besteht nicht nur darin, einmal entwickelte Scratches wieder und wieder zu re-produzieren, sondern wir entwickeln ständig neue Techniken. Nimm zum Beispiel den ‘echo scratch’. Der hört sich an, als ob plötzlich ein Hallgerät zwischen-geschaltet werden würde, was natürlich nicht so ist. Wir arbeiten völlig ohne Effektgeräte. Wenn uns beim Üben ein Fehler unterläuft und dieser sich cool anhört, wird er in unser Programm aufgenommen."

Interessant an der Entwicklung der Invisibl Skratch Piklz ist die Tatsache, daß sie höchst selten mit Hip Hop-Künstlern zusammenarbeiten. Einige Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Re-gel, manchmal klopfen Produzenten an und bitten um Beisteuerung einiger Scratches für ihre Tracks.

Als Q-Bert und Mixmaster Mike sich in den 80ern in San Francisco an der High School kennenlernten, ging es zuallererst um DJ-Battles, die man sich gegenseitig lieferte. Zwei DJs zeigen abwechselnd an jeweils zwei Plattenspielern, welche Techniken (diverse Scratches, Cuts, Beat Juggles) sie beherrschen. Eine Jury entscheidet dann, wer ge-wonnen hat. Im Falle der frühen Piklz handelte es sich anfänglich um Freunde, was sich im Laufe der Zeit natürlich änderte. Um bei den Battles bestehen bzw. sie gewinnen zu können, war üben angesagt. Ständig wurden Techniken und Technik (Mixer, Fader, System für den Technics MK) verbessert. Während turntablists vom Format der Invisible Skratch Piklz kontinuierlich an der Verfeinerung ihrer Skillz arbeiteten und maßgeblich dazu beitrugen, daß turntables heute vielerorts als vollwertige Instrumente gelten, wurde der Figur des DJs innerhalb der Hip Hop-culture immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Die MCs traten ins Rampenlicht und wurden zu den Gallionsfiguren der meisten Crews. Anfang/Mitte der neunziger Jahre war bei vielen Hip Hop-Shows der DJ nur noch Staffage, der den Dat-Recorder anwarf oder die Vinyl-Beatz in Gang setzte.

„Natürlich bestehen zwischen uns und der Hip Hop-Szene Kontakte, allerdings arbeiten wir kaum zusammen. Das beschränkt sich auf ein paar Scratches für Produktionen von Dr. Dre und einigen anderen. Uns geht es darum, turntablism weiter voranzubringen. Skratch Piklz gonna be worldwide you know. Wir wollen nicht stehen bleiben, sondern ständig neue Dinge entwickeln."

Abseits der Pop-Werdung von Hip Hop und der Heiligsprechung von DJs/Plattenauflegern in allen nur denkbaren musikali-schen Sparten, entstanden weltweit Gruppen von turntablists, die, kaum im Rampenlicht stehend, konsequent an der Weiterentwicklung von turntablism arbeiteten. Mittlerweile stößt diese Art Musik zu machen auf wesent-lich mehr Aufmerksamkeit und es scheint so, als würde der DJ innerhalb einer Hip Hop Crew wieder wichtiger werden. Wer sich von der Virtuosität der turntablists überzeugen will, der besuche entweder eine der einschlä-gigen Meisterschaften oder schaue sich Ernest R. Dickersons äußerst sehenswertes ‘92er Werk ‘Juice’ an, das einen fulminanten Tupac Shakur als kriminellen Kumpel eines scratch ‘n’ mix DJs featuret.

„Die meisten Meisterschaften, an denen wir teilgenommen haben, haben wir auch gewonnen. 1992, ‘93, ‘94, und ‘95 waren wir Sieger der DMC. Danach haben sie uns dann in Rente geschickt, um den anderen Teilnehmern eine Chance zu lassen. Jetzt sitzen wir in der Jury."

Eigentlich hätten sie auch bei der ‘International Turntablist Federation Europameisterschaft’, welche am vierten April in Hamburg stattgefunden hat, gemeinsam mit je einem Mitglied der Beat Junkiez und der X-Men die Jury bilden sollen. Durch einen Auftritt für ihren Sponsor Vestax auf einer Mes-se in Tokio ist dies jedoch nicht zustandegekommen. Die Teilnehmerschaft dieser Meisterschaft rekrutierte sich aus vielen Ländern Europas und verdeutlicht somit die Prognose von Mixmaster Mike und dem erst später zum Interview dazugestoßenen Shortkut (of Beat Junkiez Fame /Los Angeles).

„Turntablism ist zu einer festen Größe im internationalen Musikgeschäft geworden und die Invisibl Skratch Piklz sind maßgeblich daran beteiligt. In den nächsten Jahren werden wir unser Ding noch weiter ausbauen und weltweit fest verankern. Unsere Kultur ist eine globale Kultur."

Bislang waren die Piklz höchst selten in Europa un-terwegs. Eventuell bietet sich 1998 die Gelegenheit, sie live auf Tour gemeinsam mit den Beat Junkiez und den X-Men zu sehen.

www.skratchpikl.com

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch