Nr. 8 / Juni 1998

















Gästebuch


Neues aus der Schweiz

Von Thomas Bohnet

jelly.gif (10142 Byte)Andrea Caprez ist einer der besten und interessantesten Comic-Zeichner der Schweiz. Seine schrägen Figuren und Cartoons tauchen regelmäßig in Zeitungen wie dem Zürcher „Tagesanzeiger" oder der „Sonntagszeitung" auf. Zusammen mit seinem Texter Christof Schuler und anderen Musikern spielt Caprez aber auch seit neun Jahren in der Band Jelly-fish Kiss. Bislang war die Gruppe, drei schöne CDs lang, für ihre windschiefen Folk-Songs mit amüsanten Texten bekannt. Die skurrilen Texte der inzwischen zum Trio geschrumpften Gruppe gibt es auch auf dem neuen Album „Lingo Lounge" [RecRec/EfA] noch, wobei man sich musikalisch – unter Mithilfe des Konstanzer Produzenten Hubl Greiner (Ex-The-Blech) – weiterentwickelt hat. Sehr behutsam und ohne in den „novelty"-Verdacht zu geraten, integriert man in die Songs Versatzstücke aus dem Dancefloor. Zickige Drum-And-Bass-Rhythmen, schlurfende Trip-Hop-Grooves und gescratchte Passagen treffen auf Schwyzerörgeli (Akkordeon), Mandoline, Akustikgitarre und ein Fagott. Wobei sich die Elektro-Loops mit dem herkömmlichen Instrumentarium sehr schön ergänzen. Zur CD gibt`s übrigens ein fein gestaltetes Textheft mit Illustrationen von Caprez.

krailing.gif (11402 Byte)Ein regelrechter Ohrwurm ist das Stück „Songwriter" des Schaffhauser Singer/Song-writers Tom Krailing. Krailing, einst Kopf der Rockband The Pride, outet sich auf seinem zweiten Soloablum „Electrostreet" [El ectro aal/Sound Service] als vom amerikanischen Rock inspierierter Musiker. Neben der unnötigen, obligatorischen Dylan-Coverversion („Simple Twist Of Fate") gibt`s hier elf gut gemachte Songs mit dezenten Folk-, Blues- und Countryeinflüssen. Als musikalische Gäste waren u.a. mit dabei: Olifr Maurmann (Die Aeronauten), Schaffhausens Sound-Wizzard Tom Etter und „Starfish" Gabi Fischer. Die Sängerin ist hier beim schönsten Stück des Albums, „Head on the door" zu hören.

Amerika, Blues, Swamp Rock und Country stehen auch bei Hank Shizzoe und seinen Loose Gravel hoch im Kurs. Shizzoe & Co. spielen auf dem neuen Album „Plenty Of Time" [Crosscut Records] grade so, als lebe man nicht in der Alpenrepublik, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks. Am 23. Juni eröffnen Hank Shizzoe und seine Band übrigens das Konstanzer Zeltfestival. Das Schöne daran: der Eintritt ist frei.

Nicht mehr ganz taufrisch ist Olifr Maurmanns neues Solowerk „Starquick" [Lado/RTD], das der Aeornauten-Sänger wieder unter seinem Solo-Künstlernamen Guz eingespielt hat. Weil`s wieder mal eine schöne Platte geworden ist, sei hier dennoch darauf hingewiesen. Mit witzigen elektronischen Instrumentals im Lo-Fi-Format, kleinen schrammeligen Rock-songs und filmmusikartigen Soundcollagen nimmt uns Big Olifr M. Guz, der Mann mit den fetten Koteletten auf die Reise durch seinen ganz persönlichen Popkosmos. Anspieltips auf diesem feinen Machwerk, das übrigens nach einem Imbißstand im Schaffhauser Bahnhof benannt ist, sind das witzige „Idiotental" und der erste Instrumentaltrack „Thadenstraße".

Neues auch von Guzens Band, den Aeronauten. Wenn sich schon die Schweizer Nationalmannschaft nicht für die Fussball-WM qualifiziert hat, dann zeigen sich die Aeronauten wenigstens weltmeisterlich. Die Single „Weltmeister" [Lado/RTD] ist sozusagen der Schweizer Beitrag zur WM. Die Rückseite „Früh-Spät" dagegen ein Vorabstück vom neuen Album „Honolulu", das Ende Juli erscheinen wird.

mcdheide2.gif (15948 Byte)Ein richtig Guter ist der Zürcher Michael von der Heide, Chansonnier, Kabarettist, Rock-sänger, Popstar und Lebemann in einem. Vor allem live ist der 26jährige umwerfend gut, wovon sich bislang auch das deutsche Publikum in ausgewählten deutschen Städten, die mit M anfangen (Mainz, München), ein Bild machen konnte. Nach seinem fulminanten Debütalbum begeistert mich auch „30 Grad" [BMG Ariola] restlos. Egal ob der Mann mit der androgynen Stimme nun wie schon auf dem Debüt mit Dance-Beats oder mit französichem Chanson flirtet, mal auf hochdeutsch, mal auf schwyerzdütsch singt. Schläfrig-seltsam ist das Stück „Die Welt ging unter am Zürichsee bei 30 Grad im Schatten", grandios (!!) das Mundart-Stück „Der Briefträger ist tot" (eine Gewalt-Phantasie mit einem „Jetzt isch er dooot, da Briafträger isch dooot" singenden Damenchor!) oder das charmante Chanson „Jeudi amour". Nicht zu vergessen das burlesk anmutende „Bad hair days". Anstatt die furchtbare Sängerin Gunvor Guggisberg (an der allenfalls der Name originell ist) mit ihrem zurecht mit null Punkten abgestraften, und von der Harmonie und Melodie her stark an frühere, ähnlich grausame deutsche Beiträge erinnernden, Kitsch-Liedchen zum Grand Prix nach Birmingham zu schikken, hätte die Schweiz lieber Michael von der Heide gen England fahren lassen sollen.

Ist doch wahr!

Noise Product ist ein kleines, in Genf sitzendes Label, das sich dem eher härterem Rock verschrieben hat. „In Love" [Noise Product/ RecRec/Cargo] heisst das Debüt-Mini-Album des Genfer Quartetts Swoan: Schwerblütiger, düsterer Rock. Nicht unbedingt das, was mir reinläuft, aber nicht uninteressant. Ebenfalls aus Genf kommen Sinner Dc, die auf ihrem neuen Album „Panoramic" [Noise Product/RecRec/Cargo] schmissigem Power-Pop und zuckrigem Garagenrock frönen. Nett! Richtig klasse sind aber SuperBonbon, die neue Band der ehemaligen Maniacs-Gitarristen Thierry Sartoretti und Jérome Estäbe. Zusammen mit dem Drummer Sébastien Vuignier und Sängerin und Bassistin Judtih Wyder, die früher einmal den formidablen Les Teenage Zabbadoing vorstand, machen die beiden jetzt in hübschem, frankophen Rock. Nach „Eat" ist „Dans L’air" die zweite 10-inch (echt im Vinylformat!) der Genfer. Drei klasse neue Songs sowie einen Remix des älteren Titels „Rat vs rat". Da bin ich auf das erste Album gespannt!

Zum Schluss noch ein echter Klassiker! Die Noise-Pop-Band Sportsguitar hat die LEESON-Redaktion nicht nur deshalb ins Herz ge-schlossen, weil die Luzerner bei der Release-Party unserer Zeitschrift vor drei Jahren im alten Kulturladen mit dabei waren, sondern auch weil Oliver Obert und Roli Saum so erfrischenden Alternative-Rock machen, daß ich mich sogar getraue, dieses Wort hinzuschreiben. Album Nummer 3 der Herren, „Happy Already" [Glow/Tudor, Matador/RTD] steht da nicht zurück. Grossartige Songs mit wieder, wie schon bei „Fade/Cliché" und „Married, Three Kids" schönen, simplen Songtiteln: „Chasing Bugs", „Wine", „Fish", „Mistake" und „Youth".

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch