Neues aus der Schweiz
Von Thomas Bohnet
Andrea Caprez ist einer der besten und
interessantesten Comic-Zeichner der Schweiz. Seine schrägen Figuren und Cartoons tauchen
regelmäßig in Zeitungen wie dem Zürcher „Tagesanzeiger" oder der
„Sonntagszeitung" auf. Zusammen mit seinem Texter Christof Schuler und anderen
Musikern spielt Caprez aber auch seit neun Jahren in der Band Jelly-fish Kiss.
Bislang war die Gruppe, drei schöne CDs lang, für ihre windschiefen Folk-Songs mit
amüsanten Texten bekannt. Die skurrilen Texte der inzwischen zum Trio geschrumpften
Gruppe gibt es auch auf dem neuen Album „Lingo Lounge" [RecRec/EfA] noch, wobei
man sich musikalisch – unter Mithilfe des Konstanzer Produzenten Hubl Greiner
(Ex-The-Blech) – weiterentwickelt hat. Sehr behutsam und ohne in den
„novelty"-Verdacht zu geraten, integriert man in die Songs Versatzstücke aus
dem Dancefloor. Zickige Drum-And-Bass-Rhythmen, schlurfende Trip-Hop-Grooves und
gescratchte Passagen treffen auf Schwyzerörgeli (Akkordeon), Mandoline, Akustikgitarre
und ein Fagott. Wobei sich die Elektro-Loops mit dem herkömmlichen Instrumentarium sehr
schön ergänzen. Zur CD gibt`s übrigens ein fein gestaltetes Textheft mit Illustrationen
von Caprez.
Ein regelrechter Ohrwurm ist das Stück
„Songwriter" des Schaffhauser Singer/Song-writers Tom Krailing. Krailing,
einst Kopf der Rockband The Pride, outet sich auf seinem zweiten Soloablum
„Electrostreet" [El ectro aal/Sound Service] als vom amerikanischen Rock
inspierierter Musiker. Neben der unnötigen, obligatorischen Dylan-Coverversion
(„Simple Twist Of Fate") gibt`s hier elf gut gemachte Songs mit dezenten Folk-,
Blues- und Countryeinflüssen. Als musikalische Gäste waren u.a. mit dabei: Olifr
Maurmann (Die Aeronauten), Schaffhausens Sound-Wizzard Tom Etter und „Starfish"
Gabi Fischer. Die Sängerin ist hier beim schönsten Stück des Albums, „Head on the
door" zu hören.
Amerika, Blues, Swamp Rock und Country stehen auch bei Hank
Shizzoe und seinen Loose Gravel hoch im Kurs. Shizzoe & Co. spielen auf dem
neuen Album „Plenty Of Time" [Crosscut Records] grade so, als lebe man nicht in
der Alpenrepublik, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks. Am 23. Juni eröffnen Hank
Shizzoe und seine Band übrigens das Konstanzer Zeltfestival. Das Schöne daran: der
Eintritt ist frei.
Nicht mehr ganz taufrisch ist Olifr Maurmanns neues
Solowerk „Starquick" [Lado/RTD], das der Aeornauten-Sänger wieder unter seinem
Solo-Künstlernamen Guz eingespielt hat. Weil`s wieder mal eine schöne Platte
geworden ist, sei hier dennoch darauf hingewiesen. Mit witzigen elektronischen
Instrumentals im Lo-Fi-Format, kleinen schrammeligen Rock-songs und filmmusikartigen
Soundcollagen nimmt uns Big Olifr M. Guz, der Mann mit den fetten Koteletten auf die Reise
durch seinen ganz persönlichen Popkosmos. Anspieltips auf diesem feinen Machwerk, das
übrigens nach einem Imbißstand im Schaffhauser Bahnhof benannt ist, sind das witzige
„Idiotental" und der erste Instrumentaltrack „Thadenstraße".
Neues auch von Guzens Band, den Aeronauten. Wenn
sich schon die Schweizer Nationalmannschaft nicht für die Fussball-WM qualifiziert hat,
dann zeigen sich die Aeronauten wenigstens weltmeisterlich. Die Single
„Weltmeister" [Lado/RTD] ist sozusagen der Schweizer Beitrag zur WM. Die
Rückseite „Früh-Spät" dagegen ein Vorabstück vom neuen Album
„Honolulu", das Ende Juli erscheinen wird.
Ein richtig Guter ist der
Zürcher Michael von der Heide, Chansonnier, Kabarettist, Rock-sänger, Popstar und
Lebemann in einem. Vor allem live ist der 26jährige umwerfend gut, wovon sich bislang
auch das deutsche Publikum in ausgewählten deutschen Städten, die mit M anfangen (Mainz,
München), ein Bild machen konnte. Nach seinem fulminanten Debütalbum begeistert mich
auch „30 Grad" [BMG Ariola] restlos. Egal ob der Mann mit der androgynen Stimme
nun wie schon auf dem Debüt mit Dance-Beats oder mit französichem Chanson flirtet, mal
auf hochdeutsch, mal auf schwyerzdütsch singt. Schläfrig-seltsam ist das Stück
„Die Welt ging unter am Zürichsee bei 30 Grad im Schatten", grandios (!!) das
Mundart-Stück „Der Briefträger ist tot" (eine Gewalt-Phantasie mit einem
„Jetzt isch er dooot, da Briafträger isch dooot" singenden Damenchor!) oder das
charmante Chanson „Jeudi amour". Nicht zu vergessen das burlesk anmutende
„Bad hair days". Anstatt die furchtbare Sängerin Gunvor Guggisberg (an der
allenfalls der Name originell ist) mit ihrem zurecht mit null Punkten abgestraften, und
von der Harmonie und Melodie her stark an frühere, ähnlich grausame deutsche Beiträge
erinnernden, Kitsch-Liedchen zum Grand Prix nach Birmingham zu schikken, hätte die
Schweiz lieber Michael von der Heide gen England fahren lassen sollen.
Ist doch wahr!
Noise Product ist ein kleines, in Genf sitzendes Label, das
sich dem eher härterem Rock verschrieben hat. „In Love" [Noise Product/
RecRec/Cargo] heisst das Debüt-Mini-Album des Genfer Quartetts Swoan: Schwerblütiger,
düsterer Rock. Nicht unbedingt das, was mir reinläuft, aber nicht uninteressant.
Ebenfalls aus Genf kommen Sinner Dc, die auf ihrem neuen Album
„Panoramic" [Noise Product/RecRec/Cargo] schmissigem Power-Pop und zuckrigem
Garagenrock frönen. Nett! Richtig klasse sind aber SuperBonbon, die neue Band der
ehemaligen Maniacs-Gitarristen Thierry Sartoretti und Jérome Estäbe. Zusammen mit dem
Drummer Sébastien Vuignier und Sängerin und Bassistin Judtih Wyder, die früher einmal
den formidablen Les Teenage Zabbadoing vorstand, machen die beiden jetzt in hübschem,
frankophen Rock. Nach „Eat" ist „Dans L’air" die zweite 10-inch
(echt im Vinylformat!) der Genfer. Drei klasse neue Songs sowie einen Remix des älteren
Titels „Rat vs rat". Da bin ich auf das erste Album gespannt!
Zum Schluss noch ein echter Klassiker! Die Noise-Pop-Band Sportsguitar
hat die LEESON-Redaktion nicht nur deshalb ins Herz ge-schlossen, weil die Luzerner
bei der Release-Party unserer Zeitschrift vor drei Jahren im alten Kulturladen mit dabei
waren, sondern auch weil Oliver Obert und Roli Saum so erfrischenden Alternative-Rock
machen, daß ich mich sogar getraue, dieses Wort hinzuschreiben. Album Nummer 3 der
Herren, „Happy Already" [Glow/Tudor, Matador/RTD] steht da nicht zurück.
Grossartige Songs mit wieder, wie schon bei „Fade/Cliché" und „Married,
Three Kids" schönen, simplen Songtiteln: „Chasing Bugs", „Wine",
„Fish", „Mistake" und „Youth". |