Von Markus Zinsmaier
Zur heimlichen Metropole britischer Gitarrenbands hat sich
in der letzten Zeit Glasgow gemausert: Von den mittelprächtigen Brit-Pop-Nachwehen, die
durch die Songs der College-Band Travis geistern über den Kinderzimmer-Pop von Bis, den
Gitarrenlärm der Urusei Yatsura (be-nannt nach dem japanischen Kult-Comic), bis hin zu
der formidablen Post-Rock-Band Mogwai und dem Zwei-Mann-Projekt Arab Strap reicht das
musikalische Spektrum. Nicht zu vergessen Belle & Sebastian, die äußerst scheuen
Pop-Götter aus der schottischen Metropole.
Grund genug für Leeson, seine Ohren Richtung Glasgow zu
öffnen und sich mit Stewart Leslie Braithwaite von Mogwai und Aidan Moffat von Arab Strap
über Glasgow, das Label Chemikal Underground, Noiseexperimente und die beste Musik der
Welt zu unterhalten.
"Glasgow
ist ein elendiges, stinkendes Loch...".
Aidan Moffat, Sänger und Texter von Arab Strap, einer der
momentan vielversprechendsten, britischen Bands, weiß außer ein paar Pubs, die "ganz
nett" sind, eigentlich nichts positives über die schottische Hafenmetropole zu
berichten.
Selbstbewußter gibt sich das kleine, feine, aufstrebende
Label Chemikal Underground (Werbeslogan: "The best thing to come out of Glasgow since
big ships!"), das innerhalb weniger Jahre zu einem Hoffnungsträger der britischen
Musikszene avancierte und eigentlich alles vereint, was man sich von einem Label wünschen
kann: Chic und Pop, Cleverness und Hipness, und ein ganze Menge guter Bands.
Angefangen hat alles Ende 1994. Paul Savage, Emma Pollock
und ihre Band The Delgados waren es leid, von zahlreichen Labels anstatt einem Plattendeal
nur Ab-sagen und Kopfschütteln für die geplante erste Single zu ernten. So geriet die
Debütsingle "Monika Webster/Brand new car", die sie schließlich auf ihrem
eigenen Label rausbrachten, zum Startschuß für Chemikal Underground. Heute geben sich
die interessantesten, jungen Bands der Insel im Headquarter in der Brook Street in Glasgow
die Klinke in die Hand. Hier ist nicht die Rede von Drum’n’Bass-Projekten, von
fiesem Ambient-Rauschen oder elektronischen Spielereien. Nein, hier geht es um old
fashioned guitar music, Post-Rock, Indiepop, der aber immer offen ist für diverse
Einflüsse, die durchaus aus der Danceszene kommen können oder vice versa, wie jüngst
erst einmal mehr die Remixe von David Holmes Gainsbourg-Cover "Don’t die just
yet" durch Mogwai und Arab Strap bewiesen.
Aber zurück zum Anfang. Nach dem mittelschweren Erfolg von
"Monika Webster" (Single of the week im Melody Maker) markierte bereits Chemikal
Un-derground release Nummer 003, "The secret vampire soundtrack", eine EP der
Lo-Fi-Kinderzimmer-Pop-Band Bis, einen vorläufigen Erfolgshöhepunkt: Plazierung in den
Top-20 der UK-Charts, airplays in "Alternative Nation" auf MTV und gar ein
Auftritt in der obskuren BBC-Hitparade "Top Of The Pops". Dabei war und ist
Chemikal Underground in erster Linie immer noch nichts anderes als das Neben-produkt der
vierköpfigen Band The Delgados, die gleichsam von ihrem Wohnzimmer aus anfingen ein
ambitioniertes Indie-Label zu starten, das zudem auch noch fashionable ist. Mittlerweile
gehören Bands wie die fantastischen Arab Strap (dazu später mehr), Mogwai (dito), das
australisch-englische Projekt Cha Cha Cohen (die in Kürze ihr Debütalbum auf Chem
veröffentlichen werden), ebenso wie die hysterischen Indie-Lärmer Magoo (von denen das
zweite Album erwartet wird) zusammen mit den Delgados zu den Aushängeschildern des
Glasgower Labels.
"Wir haben ihnen einfach ein Tape geschickt",
erinnert sich Aidan von Arab Strap über die ersten Kontakte mit Paul und Emma. "Damals
war Chemikal Undergound noch nicht so bekannt wie heute. Sie bekamen vielleicht zwei Tapes
die Woche, während es heute wohl an die vierzig sein werden".
Arab Strap, die gerade ein formidables zweites Album
("Philophobia") auf Chemikal Underground veröffentlicht haben, gibt es nun seit
gut zwei Jahren. Laut Legende liefen sich Malcolm Middleton (24, "most things
musical") und Aidan Moffat (25, "most things not") in einem nightclub mit
dem obskuren Namen "John’s Indie Disco" in ihrem Heimatort Falkirk bei
Glasgow zum ersten Mal über den Weg. Der eine war gerade dabei, mit der Freundin des
anderen den Club zu verlassen, als der erste mit den Drinks zurückkam und sich fühlte,
wie man sich in so einer Situation in der Regel wohl fühlt: Beschissen. Nichtsdestotrotz
fanden sich Aidan und Malcolm kurze Zeit später zu Arab Strap zusammen und machten aus
Gina (so hieß das vermeintliche Objekt der Begierde) das Thema einer ganzen Reihe von
Songs, die sich auf dem ersten Werk "The week never starts round here" finden.
Den Namen Arab Strap entlieh Aidan einer Anzeige: "Es gibt hier so eine furchtbare
Zeitung "The Sunday Sports" mit einer ganzen Reihe von merkwürdigen Anzeigen.
"Arab Strap" ist der Name von einem Sex-Spielzeug".
Nachdem es laut Aidan eigentlich kein-erlei Vorgeschichte
gibt, "nichts nennenswertes… Ich bin zwischen Schulzeit und Band mehr oder
weniger nur rumgehangen, habe nichts gemacht", berichtet eine obskure Seite im
Internet von einer Band mit dem Namen Bay, bei der Aidan Schlagzeug gespielt haben soll.
Sei’s drum, seit Sommer ‘95 gibt es Arab Strap. Das Debütalbum erschien im
darauffolgenden November und enthält auch die A-Seite der mittlerweile vergriffenen,
er-sten Single "The first big weekend", die in England mo-mentan gerade als
Hintergrundsmusik für einen TV-spot von Guiness herhalten muß.
Arab Strap spielen "modern love songs", eine
Beschreibung, der auch Aidan zustimmt. Modern love songs allerdings, die von Bitternis und
Realismus durchtränkt und dabei immer unheimlich intim und persönlich sind. "Private
Erfahrungen stehen am Anfang des Schreibprozesses. Ich schreibe in der Regel Songs, wenn
es mir schlecht geht." Songs über Bier trinken, über das erste Mal, über
Drogen, über das Arbeiten in einem Pub, über Streit mit der Freundin, über Freundinnen,
über alte Freundinnen, über neue Freundinnen. Es gibt Songs über "New birds"
& "Little girls" und über Kate Moss. Sie würden, wie der NME einmal
anmerkte, auch einen Song über blutigen Stuhl schreiben, wenn es denn mal ein Thema sein
sollte (mittlerweile ist es zumindest eines im Song "I would’ve liked me lot
last night" auf dem neuen Album).
Arab Strap sind Chronisten der Wirklichkeit, die mitunter
mit schmerzlicher Intensität vom Leben und der Liebe erzählen. Gleichsam nackt
präsentieren sie sich auf dem Cover des neuen Albums, das von zwei Aktgemälden geziert
wird: Aidan auf der Rückseite und seine Freundin oder Ex-Freundin auf der Vorderseite.
Nicht unbedingt hübsch, eher schon hart realistisch im Ken Loach/Mike
Leigh-Hinterzimmer-Style. Das Album heißt "Philophobia", was für "die
Angst sich zu verlieben" steht und wiederum eine ganz gute Beschreibung der
textlichen Seite des neuen Albums von Arab Strap ist. Musikalisch sieht Aidan Arab Strap
als etwas "ganz eigenes, individuelles" an. "Ich glaube nicht,
daß Du irgendwelche speziellen Einflüsse aus unserer Musik heraushören kannst,
zumindest nichts von Bedeutung". Insgesamt klingt das neue Werk kompakter,
geschlossener als das Debütalbum. Noch immer bestimmen die hingemurmelten, manchmal
gespro-chenen, manchmal gesungenen Texte von Aidan die Musik, die von spärlichen
Gitarrenakkorden und einfachen Keyboard-sounds, manchmal von hübschen, kleinen
Pianomelodien geprägt ist. Manchmal gibt dazu ein einfacher Drumcomputer den Beat vor,
manchmal fügt sich ein Schlagzeug in den Gesamtzusammenhang ein.
"Das zweite Album ist brillant, das erste war
gut".
Um was ging es beim ersten und wovon handelt das zweite
Album?
"Beim ersten ging es um Drogen, beim zweiten um
Mäd-chen." Punkt.
Aidan ist kein Mann von langen Sätzen, zumindest nicht,
wenn es um die Erläuterung von Band oder Plattenzusammenhängen geht. Und irgendwie
erklärt sich vieles auch von selbst.
Mit Mogwai waren Aidan und Malcolm schon lange vor dem
Recorddeal mit Chemikal Underground be-freundet. Daß Aidan dann einen Großteil der eh
schon äußerst spärlichen Gesangsparts bei Mogwai übernahm, entsprang aus einer
betrunkenen Laune heraus: "Wir amüsierten uns und irgendwie kam es dann
dazu".
Mogwai sind momentan vielleicht die bekannteste Band von
Chemikal Underground. Ebenfalls im Sommer ’95 gegründet, gehören die
Noch-nicht-Gremlins (der Name Mogwai stammt aus dem Gremlins-Film) live sicher mit zum
spannendsten, was man sich vorstellen kann. Sie sind live (aber auch auf Platte) von einer
Intensität, einer Konzentration, einer Perfektion die man einer Band, deren
Durchschnittsalter bei 22 liegt, kaum zutrauen kann.
Livekonzerte sind es auch, die Mogwai mit am meisten am
Herzen liegen, wie Stuart (seines Zeichens Gitarrist und live gelegentlich die Stimme von
Mogwai) erläutert: "Livekonzerte sind die beste Art Musik zu hören. Du verstehst
dann erst, um was es eigentlich geht bei einer Band, einem Song."
Mogwai werden immer wieder als eine Art
schot-tische Postrock-Variante abgestempelt. Gruppennamen wie Tortoise, Labradford, aber
auch My Bloody Valentine, Bark Psychosis und Joy Division tauchen immer wieder im
Zusammenhang mit Mogwai auf. Joy Divison nennt Stuart selbst zusammen mit Velvet
Underground als einen grossen Einfluß. Schwieriger tut er sich mit den anderen Bands: "Wir
mögen diese Bands, aber ich glaube nicht, daß wir so wahnsinnig viel mit ihnen gemeinsam
haben. Wir mögen ihre Sachen, aber genauso wie wir Sachen von Brian Eno oder sonst
irgendjemand mögen. Ich glaube nicht, daß diese Bands, selbst wenn ich glaube, daß es
sehr gute Bands sind, uns besonders nahe stehen. Wir schätzen sie, aber das ist auch
schon alles."
Viele Songs von Mogwai entstehen aus Improvisationen
heraus, sind eine Art "work in progress", Transformationen unterworfen. Oftmals
gibt es verschiedene Versionen von einzelnen Songs, auch "weil wir uns ansonsten
mit den Songs langweilen würden", erläutert Stuart. "Es ist nicht so,
daß wir beständig der perfekten Version eines Songs hinterherjagen, eher schon, daß wir
Abwechslung brauchen und un-sere aktuellen Gefühle mit der Musik transportieren
wollen."
Für das laufende Jahr haben sie sich einiges vorgenommen:
Neben einer Remix-12" von "Mogwai fear Satan" und der
Black-Sabbath-Splitsingle mit Magoo (treffend überschrieben als "two sonic scratches
of the big bad rock arse"), die bereits erschienen ist, sollen gleich zwei Alben "mit
brandneuen Songs" dieses Jahr erscheinen.
Bescheidener, schüchterner und auf ihre Art auch verquerer
geben sich die heimlichen Pop-Götter aus Glasgow: das Septett Belle and Sebastian, das
schon seit längerem an seinem dritten Studio-Album feilt und weiterhin kategorisch
jegliche Vereinnahmung durch die Presse ablehnt, Interviews verweigert und sich auch sonst
nur äußerst selten in der Öffentlichkeit blicken läßt. Für die englischen Weeklies
eigentlich Grund genug zu verzweifeln, trotzdem zieren die sensiblen Gestalten um
Song-schreiber Stuart Murdoch immer wieder die Seiten der einschlägigen Gazetten. Zwei
französische Journalisten, die sich im vergangenen Sommer auf den Weg nach Schottland
machten und versuchten dem Phänomen auf die Schliche zu kommen, mußten einsehen, daß es
wohl einfacher ist, das Monster von Loch-Ness im Bikini abzulichten, als dem scheuen
Songschreiber musikalischer Perlen wie "A century of fakers", "Get me away
from here I’m dying" oder "Judy and the dream of horses" auch nur
einen entscheidenden Schritt näher zu kommen. Die Fans lieben sie gerade ob dieser
altmodischen Ansichten um so mehr. "Bestimmte Bands können nur wirklich gut sein,
so-lange sie abgeschottet in ihrer eigenen Traumwelt leben" soll Stuart einmal
gesagt haben. Folgerichtig fand auch das einzige Interview, das Belle and Sebastian dieses
Jahr bislang gegeben haben, für Fans und Journalisten gleichermaßen via Internet statt.
Unbrauchbar und unentschlüsselbar für eine journalistische Verwertung. Wer sich trotzdem
dem Chaos der ratternden Zeilen auslieferte erfuhr, daß das favourite Felt-Album von
B&S (oder zumindest eines Mitgliedes) "Poem of the river" heißt, daß
B&S von Nick Drake vor allem "Pink moon" schätzen (wenn überhaupt) und
daß eine geplante Zusammenarbeit mit Momus bislang noch nicht bestätigt ist.
Bei Belle and Sebastian tauchen die fragilen Melodiebögen
der Smiths, des Debütalbums von The Lilac Time, von Nick Drake und Love, aber auch von
den Go- Betweens wieder auf. Gerüchteweise hat sich die Band beim Teetrinken in einem
Glasgower Café kennengelernt, dann heißt es wieder Stuart Murdoch sei ziellos durch die
Straßen von Glasgow gewandert und habe alle Leute mit traurigen Augen angesprochen ob sie
nicht mit ihm in einer Band spielen wollen. "If you’re feeling sinister",
das letzt-jährige, zweite Album und die folgenden Singles sind jeden-falls Popmusik at
its best: Melancholisch und vielschichtig, ein Highlight des letzten Jahres. Wenn das neue
Album nur halb so gut wird wie das letzte, dann müßte ihnen England eigentlich zu
Füßen liegen, aber gerade das wollen sie ja eigentlich nicht. Belle and Sebastian oder
die Angst be-rühmt zu werden. Oder wie heißt es in "The boy done wrong again":
"All I wanted was to sing the saddest songs/If somebody sings along I will be happy
now..."
Mogwai und Arab Strap, die beide bestens be-kannt sind mit
den einzelnen Mitgliedern von Belle and Se-bastian, winden sich um eine Beurteilung des
Phänomens und üben sich in Diplomatie. Stuart von Mogwai versichert mir immer wieder,
daß das "unheimlich nette Leute" sind, und daß er es "schätzt,
wie sie ihre Sachen angehen", aber daß er das, was sie musikalisch machen,
einfach nicht hören kann, "da müßte ich lügen...". To much pop music.
Ein bißchen anders sieht Aidan das Ganze. Chris und Stuart von B&S haben bereits auf
der "Girls of summer EP" von Arab Strap mitgewirkt und auch auf dem neuen Album
ist der ein oder andere Pianoton von einem B&S-Mitglied eingespielt worden. Auch er
mag Chris und Stuart "unheimlich gern", "das sind wirklich ganz
wundervolle Leute" versichert er mir, "die gute Platten machen",
trotzdem ist das Musik, die er sich zuhause selten anhört.
Auf die Frage, was er von der Musikszene in Glasgow im
allgemeinen hält, antwortet Aidan: "Ich denke, es gibt vier gute Bands in
Glasgow, eine davon sind wir und die anderen drei sind geheim" (Lachen). Daß
Mogwai dazu gehören versteht sich, ob er Belle and Sebastian da-zuzählt verschweigt er,
vielleicht die Delgados, Magoo oder weiß der Himmel wer.
Gibt es noch irgendetwas, was ich unbedingt wissen sollte,
frage ich Aidan zum Schluß. "Ja, schreib, daß wir unheimlich niedlich aussehen
und gut im Bett sind..."
Das ist hiermit getan...