Nr. 8 / Juni 1998

















Gästebuch


Don’t stop the Body Rock

Von der Auferstehung des Hip Hop in Zeiten seiner absoluten Popularität

Von Markus Hablizel

In letzter Zeit wurde viel über den Niedergang der HipHop-Kultur spekuliert. Es existieren unzählige Verschwörungstheorien darüber, ob Puff Daddy jetzt doch der uneheliche Sohn von Bill Gates ist und ernsthaft daran arbeitet, HipHop aufzukaufen, um endgültig das Monopol zu besitzen oder ob Puffy an den Crossroads seine Seele tatsächlich dem Teufel verhökert hat, der ja bekanntermaßen die Verwertungsrechte aller bisher von Mr. Combs ausgebeinten Songs sein Eigen nannte. Die Wahrheit ist: auch wir wissen es nicht. Markus Hablizel hat sich aufgemacht zu erkunden, was sich abseits der MTV Music Awards und fischäugiger Videoclips tut und ob die vielbeschworene neue Independent - HipHop - Szene das hält, was sie für andere zu versprechen scheint.

I Death Row an MC With Mic Cables
The Epic Is At A Rush Associated Labels (GZA)

Eigentlich hätte der ganze Wu-Tang Clan anwesend sein sollen, ausgenommen Ol’ Dirty, der sich, unbestätigten Gerüchten zufolge, bei seiner Mutter von einer Sommergrippe erholen wollte. Doch wie das Leben so spielt, zog es der Clan vor, in Shaolin bzw. bei diversen Kurzurlauben und Radioshows zu bleiben oder schlichtweg verschollen zu sein. Sollte Jörg Wontorra arbeitslos werden, wäre es si-cherlich eine prima Idee, einer amerikanischen Fernsehstation ein spezielles ‘Wu-Tang Bitte melde dich!’ anzubieten. Doch nun zurück zum Ge-schehen – Sommer 1995, Rote Fabrik, Zürich.

Ol’ Dirty Bastard war gemeinsam mit seinem Brooklyn-Zoo-Kollegen Buddah Monk, der als MC und DJ fungierte, angetreten, die Clanehre in der Schweiz und Deutschland zu retten. Der weltbeste Entertainer zog eine über zweistündige Freestyle-Show vom Riemen, die sich gewaschen hatte. Buddah Monk und er surften perma-nent zwischen haarsträubenden Verschwörungstheorien, Weed rauchen und der Performance von Tracks unterschiedlichster Wu-Members hin und her. Zwischendrin wurde abgebrochen, da Ol’ Dirty während der Show seinen Pager verloren hatte und diesen, unter Androhung ernst-hafter Prügel, vom Publikum zurückforderte. Als man sich endlich an den Stop and Go-Charakter des Auftritts gewöhnt hatte, hielt Dirty plötzlich inne und hob zu einer der wohl unglaublichsten Reden an, die je auf das kontinentaleuropäische Hip Hop-Volk niedergegangen war. „ Stop, stop, stop. You know what ? We all gotta go underground!" Tosender Applaus. „No, stop. You don’t even know what I’m talkin’ ‘bout." Konsterniertes Schweigen. Darauf folgte eine ca. zehnminütige Erklärung, was es denn mit der „go underground"-Aufforderung auf sich habe. Damit sei keines-wegs so etwas wie der musikalische Hip Hop-Underground gemeint, von wegen realness, ruffneck-tum and the whole nine yards. No way! Dieser Tage müßten sich „Nigger" wie er (idealerweise das Züricher Publikum gleich mit) eingraben, eine neue, unterirdische Lebensgrundlage schaf-fen, um vor der Verfolgung durch sämtliche existierende US-Nachrichten-dienste und anderer potentieller Attentäter sicher zu sein. Zudem sei man dort unten prima geschützt, sollte einem jemand mittels atomarer Waffen ans Fell wollen. So far, so good.

Die Frage, die sich stellt, ist folgende: Was hat diese Ol’ Dirty-Anekdote in einem Artikel zu suchen, der den Versuch unternimmt, ein wenig Licht ins Dunkel einer, wie auch immer ge-arteten Underground-Hip Hop-Szene zu bringen? Antwort: Zum einen kommt man am Wu-Tang Clan nicht vorbei, (wie sich noch zeigen wird) wenn man über (Underground-) Hip Hop schreiben möchte. Zum anderen macht oben erzählte Geschichte deutlich, wie problematisch es ist, sich dieser Tage über ein Konstrukt - Underground - zu unterhalten, über das im Laufe seiner Existenz schon sehr viel spekuliert worden ist. Mißverständnisse oder zumindest unterschiedliche Lesarten waren schon beim ersten Auftauchen dieses Begriffs angelegt, wann und wo auch immer das gewesen sein mag.

habba.gif (15318 Byte)Wie Ralf Niemczyk und Katharina Wein-gartner Ende 1993 (Vgl. Spex 12/93) sehr scharfsinnig festgestellt haben, hatte „...der US-HipHop nie Berührungsängste mit dem großen Ge-schäft, was bislang seine große Stärke und Schwäche zugleich war." Etwas weiter im Text: „Eine extrem rasante, künstlerisch innovative, so-zial und politisch relevante Bewegung hat in 15 langen Jahren keine nen-nenswerte >Underground<-Infrastruktur aufgebaut, wo Absturz und Aufstieg von Trends in einer Art Indie-Bereich austariert werden könnten."

Diese Diagnose ist deswegen so hilfreich, weil sie als Ausgangspunkt für die hier anzustellenden Überlegungen geradezu ideal ist. Die Berührungsängste mit dem großen Geschäft hat US-Hip Hop heute weniger denn je. In den seltensten Fällen würde ich das als Schwäche bezeichnen. Wenn man heute vom großen Geschäft spricht, ist sicherlich etwas anderes gemeint als am Ende der 80er oder zu Beginn der 90er Jahre. Während damals unzählige Hip Hop-Gruppen in Standby-Stellung darauf warteten, vom A&R eines Unterhaltungsgiganten entdeckt zu werden, um einen mehr schlechten als rechten Deal zu bekommen, der durch einen hohen Vorschuß glänzte, von dem aber noch die Kosten für Aufnahmestudios und Videoproduktion abgingen und am Ende lediglich ein kleines Taschengeld übrigblieb, stellt sich die Situation heute grundlegend anders dar. Man hat aus den Fehlern ge-lernt, sich businessmäßig schlau gemacht und den Scheiß selbst in die Hand genommen. Zwei der kommerziell erfolgreichsten Hip Hop-Labels aller Zeiten sind zum einen Death Row Records, established 1992 by Dr. Dre und Suge Knight, jetzt unter der alleinigen Leitung von Knight und zum anderen Ruthless Records, ehemals regiert von Eazy E und nach dessen Tod übernommen von seiner Witwe Tomica Woods-Wright. Doch es ist nicht alles Platin was glänzt. Wie die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt hat, ist die Tatsache, daß Labels von Leuten geführt werden, die einem Hip Hop-Background entstammen, nicht zwangsläufig ein Garant für den nötigen Respekt gegenüber gesignten Künstlern oder für innovative Outputs. Schenkt man Snoop Doggy Dogg Glauben, so hat er keinen Einblick in die Gewinne, die Death Row mit seinen Platten er-zielt hat und somit auch keine Kontrolle, was die ihm auszubezahlenden Anteile anbelangt. Auch bei Ruthless liefen einige Dinge schief, da Eazy zu Lebzeiten dem Vertriebspartner Relativity zu viel Entscheidungskompetenz zugestanden hatte. Mittlerweile hat Tomica einen neuen Deal mit Sony ausgehandelt.

Ein weiteres, aktuelles Beispiel für die fehlenden Berührungsängste mit dem großen Geschäft wäre die Posse um Bad Boy-Chef Sean ‘Puffy’ Combs. Kein Radio-, Musik-TV-Sender, Soundtrack, Jugend- oder Musikmagazin, das eines seiner Produkte nicht schon gefeaturet hätte. Puffy ist der Mann der Stunde, der es schafft, noch Monate nach Biggie Smalls Tod neue Songs und Videos auf den Markt zu werfen, die Notorious B.I.G featuren und sich noch besser verkaufen als geschnitten Brot. Belassen wir es hierbei, auf Puff Daddy komme ich später noch kurz zu sprechen.

Back to the beginning. Eine andere Strategie, sich in der corporate music industry ein Überleben zu sichern, hat der Wu-Tang Clan vorgelegt. Anstatt alle Wu-Releases bei einem Major unterzubringen, versucht man, soviel verschiedene Majors wie möglich zu besetzen. Zur Zeit tätigt der Wu Geschäfte mit fünf Labels. Was nicht heißen soll, daß das Verhältnis zwischen Clan und Major Companies ein ungetrübtes ist, schließlich hat man genügend schlechte Erfahrungen gemacht. Nicht nur das Zitat zu Beginn dieses Artikels illustriert dieses mehr als deutlich. Das Stück stammt von GZAs Solo-LP Liquid Swords, nennt sich Labels und ist eine knapp dreiminütige Abrechnung mit dutzenden von Labels, an denen Genius kaum ein gutes Haar läßt: „Tommy ain’t my mutherfuckin’ Boy / when you fake moves on a nigga you em-ploy." Doch schon auf der ersten Wu-Tang-Single, Protect ya Neck, die zuerst auf dem hauseigenen Label Wu-Tang Records erschien und später von RCA neu releast wurde, macht GZA deutlich, was er von dem Business hält: „The Wu is too slammin’ for those Cold Killin’ labels(...) First of all, who’s your A&R?/A mountain climber who plays an electric guitar?" Die zwei eben genannten Auszüge beziehen sich auf Erfahrungen/Verträge, die Rakeem und Genius mit den Time Warner-Sublabeln Tommy Boy und Cold Chillin’ gemacht haben, wie sich sicherlich nur un-schwer erkennen läßt. Lustigerweise erschien Liquid Swords bei einem der berüchtigsten Majors: Geffen Records, Inc.

Fünf Jahre nach der von Niemczyk und Weingartner diagnostizierten Situation einer fehlenden „>Underground<-Infrastruktur", stellen sich die Dinge anders dar. Wenn Cypress Hill, der Wu-Tang Clan oder Das EFX, die, was Verkaufszahlen anbelangt, allesamt topcats sind, sich selbst im Underground verorten, stellt sich natürlich die Frage, was damit gemeint ist. Da Underground hier sicherlich nicht bedeutet, abseits des weltweit verfügbaren Mainstreams (Magazine, Musiksender, Konzerte etc.) in dunklen Kellern und kleinen geheimen Zirkeln seiner Berufung nachzugehen, sondern guten Gewissens behauptet werden darf, daß jeder einigermaßen aufgeschlossene junge Piercingträger schon von Cypress Hill, Wu-Tang und Konsorten gehört hat, muß Underground etwas anderes bedeuten. Skiz Fernando traf den Wu-Tang 1993, als sie noch dreckige Straßenkids waren. 1992, als noch dreckigere Straßenkids, versuchten sie Protect ya Neck, das raw as hell ist (ich kenne nur die LP-, bzw. die 12"-Version von 1993, ein Jahr zuvor klang das Ganze sicherlich noch ein gutes Stück rougher) an den Mann zu bringen und scheiterten. Kein A&R glaubte damals, daß sich diese ungehobelte Scheiße jemals verkaufen würde. Heute holt jeder Wu-Release Platin. Was ist also passiert? Protect ya Neck wurde vom Wu selbst releast und schlug im TriState ein wie eine Bombe. Na-türlich nicht im großen Stil, sondern nur bei den Leuten, die über genügend Wissen verfügten, die Mixtape-, Party- oder die ich-kenne-da-jemanden-mit-heißer-Scheiße-am-Start - Quelle anzuzapfen. Urplötzlich zeigten auch die Majors Interesse, erkannten die Chance, wenn auch nicht das Potential des Clans, und es kam zum RCA-Release. Von da an ging es steil bergauf. Die Käufer wurden also auf den haarigen Wu-Sound vorbereitet und wollten schließlich kaum noch etwas anderes.

Dieses Beispiel weist auf zwei Ebenen hin. Erstens könnte Underground die Bezeichnung für die ökonomische Unabhängigkeit, selbstgewählt oder aus den Umständen erwachsen, eines Labels/Artists von der Corporate Musikindustrie sein. Underground wäre hier Independent, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, daß keine Geschäfte mehr mit Major Companies gemacht werden, allerdings dann unter ausgeglicheneren Bedingungen als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Das Verständnis vom Verhältnis zwischen Indie und Major, das heute teilweise immer noch als das schematisch Gut und Böse angesehen wird, funktioniert so sicherlich nicht mehr. Zweitens: Underground als Haltung, die sich durch Produktionsweisen, Inhalte, Dresscodes, Sprache etc. mani-festiert, charakterisiert durch eine gewisse Unnachgiebigkeit gegenüber Forderungen anderer an die eigene Person/Arbeit und durch eine hohe Stufe der Selbstreflexivität, was die eigene Position/Arbeit betrifft.

Diese sehr statisch daherkommenden Formeln versuchen lediglich einen definitorischen Rahmen für das zu schaffen, was sich heute im Hip Hop abseits der üblichen Major-Verdächtigen abspielt. Man könnte den obigen Definitionsversuchen sicherlich etliches hinzufügen oder sie widerlegen, doch als grobe Verständnisgrundlage für die heutige Situation werden sie ausreichend sein.

In diesem Artikel wurde bislang sehr viel über den Wu-Tang Clan gesprochen. Das ist deshalb nötig, weil er getrost als einer der wichtigsten Wegbereiter für Heerscharen von MCs, DJs, Produzenten und Labelbetreibern verstanden werden darf, die angetreten sind, ihr Hip Hop-Ding zu machen und zwar genau nach ihren Vorstellungen und nichts als ihren Vorstellungen. Ob das tatsächlich so einfach ist und wer die Schlüsselfiguren in dem Spiel called Underground-, Indie-Hip Hop sind, soll im folgenden beantwortet werden.

Lyricist Lounge - loungin’ with the fat clientele

Obwohl New York City the home of Hip Hop ist, gab es während der letzten zehn Jahre nur eine Hand voll Clubs, die sowohl für schwarze als auch für weiße, asiatische und hispanische Kids zugänglich und erschwinglich waren. Zusätzlich gab es vielerorts haarsträubende Dresscodes: „No sneakers, no boots - dress to impress", die den Zweck hatten, B-Boys/-Girlz und das damit assoziierte Konfliktpotential fernzuhalten. Trotz aller noch so paranoiden Security-Maßnahmen mußten viele Clubs ihre Türen so schnell wieder schließen, wie sie sie geöffnet hatten. Das Problem waren Schlägereien und häufig auftretende gunfights. Existierte ein Club über längere Zeit, hieß das nicht unbedingt, daß hier eine Keimzelle der Hip Hop-Kultur entstand, sondern oftmals handelte es sich nur um das übliche weekend-fun-Programm, gegen das natürlich nichts einzuwenden ist. Aufgrund dieser Situation entstand das Bedürfnis nach einem Ort, an dem Headz abhängen, ihre Skillz erproben/verbessern konnten und an dem Gewalt keinen Zutritt hatte. Danny Castro und Anthony Marshall of Kalodge Projects & Open Mic Recordings Fame (ihre eigene Promotion-agentur und ihr Label) erkannten die Lage und gründeten 1991, damals 17 bzw. 16 Jahre alt, die Lyricist Lounge. Anfangs trafen sich ca. 25 Leute in einem kleineren Loft Space an der Orchard Street auf Manhattans Lower East Side, chillten, schrieben rhymes und präsentierten sie den anderen Anwesenden.

„The idea was to bring all sorts of interested people together. MCs, Producer, Fans - they all came", erklärt Anthony Marshall die Idee hinter der Lounge. Schnell wuchs die loungende Posse und man mußte sich nach einem größeren Platz umschauen, was sich zuerst als schwierig erwies. Wie sollten zwei Minderjährige einen Clubbesitzer davon überzeugen, daß ein Freestyle-Showcase genau das ist, worauf New York seit Jahren gewartet hat. Herbst 1992 war es dann soweit. Die erste große Lyricist Lounge fand im ‘The Muse’ statt und zog knapp 300 Leute an. Am Start waren unter anderem Mos Def und The Crew Rotten Candy mit ihrem Female MC Nefertiti aka Foxy Brown, damals im zarten Alter von 14 Jahren. Bis heute gab es ca. 20 Veranstaltungen der Lyricist Lounge, die sich in der Retrospektive wie das ‘Who is Who’ aktuellen Hip Hops lesen. Doug E Fresh, Mobb Deep, Jeru, JBs, Q-Tip, Notorious B.I.G., Puff Daddy, Foxy Brown, Guru, De La Soul, Mos Def, Fat Joe,Natural Elements, Supernatural, X-Men - just to name a few. Das ist wirklich nur ein sehr kleiner Auszug aus der langen Liste derjenigen, die schon in der Lounge aufgetreten sind.

Die Lyricist Lounge erfüllt heute mehr denn je mehrere Funktionen gleichzeitig. Sie bietet ungesignten Künstlern die Chance, in einem optimalen Rahmen, gleichberechtigt neben den elder statesmen des Hip Hop auf einer Bühne zu stehen und von den zahlreich anwesenden Producern, A&Rs und Managern ‘entdeckt’ zu werden. Andersherum gilt das natürlich auch für die Musikindustrie (nicht nur Majors, sondern auch kleine Indie-Labels, die in der Lyricist Lounge sicherlich den bestfunktionierendsten Underground-Artist-Pool vorfinden, der je existiert hat.

Das ‘Motto’ der Lounge „No Guestlist, No Cameras, No exceptions" karikiert die Bedingungen, die bei anderen Events herrschen und weist darauf hin, daß niemand bevorzugt behandelt wird. Keine Stretchlimo, Platin-AmEx oder Cham-pagner in Fässern beinflussen die Auswahl der Artists, die gefeaturet werden, sondern Qualität entscheidet, behauptet Anthony und erzählt die Geschichte von Rakim, der bislang noch nicht im Zuschauerraum gesichtet werden konnte. Die Legende ist, daß er einmal vor der Tür gestanden habe, aber nicht hereingelassen wurde, weil der Laden voll war. Da kann man mal sehen.

Anfang Mai erschien nun die CD zum Event. Open Mic Recordings und Rawkus jointen forces und setzten der Lounge ein Denkmal, von dem jeder an-ständige Hip Hop-Lover, der etwas auf sich hält, behaupten würde, es sei fetter als das Leben. Enstanden sind zwei Scheiben, von denen die eine von De La Soul, die andere von Kool Keith und Sir Menelik gehostet wird. Die Hosts präsentieren in einer Quasi-Live-Atmosphäre 21 Headnodder von so illustren Gästen wie KRS-One, Talib Kweli, Mos Def feat. Q-Tip&Tash, Jurassic 5, Natural Elements und vielen anderen gesignten und ungesignten MCs. Um allen Unkenrufen vorzubeugen: Hier handelt es sich nicht um eine fix zusammengezimmerte Compilation, die versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen, um mit dem Label ‘Independent-Hip Hop’ einen schnellen Dollar zu machen. Lyricist Lounge - Volume One ist nicht weniger als die sehr detaillierte Aufarbeitung der Geschichte des vielleicht wichtigsten Hip Hop-Showcases des letzten Jahrzehnts. Ach ja, in Ton, Text und Bild.

Company Flow - Independent as fuck and lovin it

Kaum einer, der sich nicht überschlagen hat, angesichts der letztjährigen De-büt-LP Funcrusher Plus von Company Flow. Auch ich gehörte zu denjenigen, die ihre Konten leerräumten (gerade mal genug cash für die die CF-Doppel-LP), um alles auf Co-Flow setzen. Ich denke, wir wurden nicht enttäuscht. Funcrusher Plus spricht eine sehr deutliche Sprache. Nämlich die, daß es 1997/98 nicht zwingend nötig ist, eighties-Samples alternder Popstars oder schmoove Damen-Hooklines zu verbratzen, um fett viel besseren Hip Hop auf die erfolgreiche Piste zu schicken. Nun, über die Vinyl-Qualitäten der Co-Flows ist schon viel geschrieben worden, doch wer sie einmal live erlebt hat, für den ist nichts mehr so wie es vorher war. El- P(roducto) und Bigg Jus sind zwei Ausnahme-MCs erster Güte. Egal ob Freestyle oder regulärer Track, die beiden produzieren komplett durchgeknallte Styles wie am Fließband und das anderthalb Stunden am Stück. Doch das ist noch nicht alles: Company Flow bringen den DJ zurück in die Hip Hop-Show! Mr. Len dient nicht bloß als gutaussehende Plattendreher-Staffage, wie dies bei vielen Shows leider im-mer noch der Fall ist. Er jugglet, cuttet und scratcht sich seine verdammte Seele aus dem Leib. Hier kommt kein Stück vom DAT, alles ist Handarbeit. Die Grundlage für El-Ps und Bigg Jus’ Reimsalven (was für ein Wort) bilden Mr. Lens Backspins und seine Beat-Juggles, die er mit rohen Scratches noch verfeinert. Umwerfend ihm bei seiner fulminanten Arbeit zuzusehen.

Juvenile Techniques, die von El-P im Alleingang produzierte erste 12" erschien bei einem befreundeten Indie-Label. Mit der Freundschaft war Schluß, als Bigg Jus, der damals für das Label arbeitete, El-P mitteilte, daß das Label vor-hatte, alle Finanzen aus dem Projekt zurückzuziehen. Dieses war der Moment, in dem Company Flow geboren wurde. Man verließ das Label, zog zusammen in ein Loft und arbeitete an neuem Material. Mitten im andauernden Rechtsstreit mit dem ehemaligen Label stieß Mr. Len dazu und schloß sich El-P und Bigg Jus an. Um die volle Kontrolle über alles zu haben, was mit Co-Flow zu tun hat, wurde Official Recordings gegründet, wo Funcrusher Plus dann letztendlich auch erschien. Um die Headz worldwide zu beliefern, schloß man einen Lizensierungs-Deal mit Rawkus ab, dem derzeitigen Fixstern der amerikanischen Indie-Labels.

Daß die Geschichte mit der Kontrolle nicht immer so eine einfache Sache ist, macht folgendes deutlich. Nachdem ich über mehrere Tage mit vier verschiedenen Leuten gedealt hatte, kam (nach mehreren Absagen) ein Interviewtermin zustande, zu dem Co-Flow dummerweise nicht auftauchten. Nach der Show auf den versäumten Date angesprochen, erklärte mir El-P, nichts davon gewußt zu haben, entschuldigte sich und bot mir an (3 Uhr morgens, nach 1.5 stündiger Show und 10 stündiger Autofahrt), umgehend ein Interview zu ge-ben. Wie sich dann herausstellte, wäre mein vereinbarter Interviewtermin unmöglich gewesen, weil sich Co-Flow aufgrund des miserablen routings zu dieser Zeit noch auf der Autobahn befunden hatten. Here we go y’all:

Wie kam es zu Official Recordings ?

„Wir haben Official Recordings in erster Linie gegründet, um unsere Musik herauszubringen. Wir wollten die Kontrolle darüber haben, wie unser Zeug vermarktet wird und was damit geschieht. Nicht zuletzt ist es für uns auch profitabler. Du kannst ja auch nicht dein ganzes Leben lang MC bleiben, sondern mußt früh genug eine Basis schaffen, um nicht wie viele andere plötzlich mit leeren Händen dazustehen, wenn es mit der Karriere vorbei ist. Wenn du ein Label aufgebaut hast, kannst du den Leuten ganz anders gegenübertreten, die Deals die du abschließt und die Forderungen die du stellst werden endlich ernstgenommen."

Gibt es so etwas wie eine Underground- Hip Hop Szene in New York ?

„Ja, die gibt es. Genau da kommen wir her. Neben der Lyricist Lounge gibt es eine riesige Szene, nicht unbedingt feste Clubs, aber es finden jede Woche irgendwelche Events statt. Da kommen wir her, Leute wie die Juggaknots, Arsonists, Non Phixion, Siah, Yeshua, alle Fondle ‘Em und die meisten der Rawkus-Künstler. Das Ganze ist large, aber gleichzeitig Underground."

Könnt ihr denn mittlerweile von der Musik leben ?

„Wir können jetzt davon leben, aber du mußt auch sehen, daß wir den ganzen Scheiß schon seit sieben Jahren machen. Jahrelang haben wir uns den Arsch abgearbeitet, umsonst gespielt und versucht unser Zeug auf Mixtapes unterzubringen. Wenn du Geld mit deiner Musik verdienen möchtest, mußt du ein anderes Spiel spielen. Du kannst nicht einfach zu ‘nem Major gehen, bring’ dein Zeug selbst heraus. Das der Hase so läuft, haben die Leute erst vor kurzem begriffen. Ich will nicht sagen, daß wir die ersten waren, aber wir waren sicher ganz vorne mit dabei. Dieser Umschwung im Denken ist vielleicht die wich-tigste Veränderung der letzten Jahre. Um nicht zu verlieren, was dir so wichtig ist, nämlich die Liebe für die Kultur, der ganze B-Boyism, mußt du die Sache selbst in die Hand nehmen und dich darum kümmern. Die Platten kommen mittlerweile aus der Kultur selbst, nicht von außenstehenden Plattenfirmen."

Du hast vorher von Kontrolle gesprochen. Stört es dich, daß ihr nicht mehr die Kontrolle über absolut alles habt, das mit Co-Flow in Verbindung gebracht wird ?

„Seit wir den Deal mit Rawkus haben und mehr Geld in die Promotion ge-steckt wird, ist es schwieriger geworden. Es sind einfach viel mehr Leute zwischengeschaltet und du weißt nicht über alles Bescheid was im Namen von Company Flow alles passiert. Wir sind natürlich bemüht soviel wie möglich mitzukriegen, doch das ist schwierig, denn das menschliche Element läßt sich nicht kontrollieren. Die meisten Künstler kennen sich auf der Business-Seite nicht aus und haben keine Vorstellung darüber, wie ihr Zeug präsentiert und verkauft werden soll. Wir sind nicht so. Wir üben Kontrolle aus und sagen den Leuten wie wir es gerne hätten. Den meisten schmeckt das nicht und du wirst gefragt: Wer denkst du, wer du bist ? Ich sage dann: Hey, ich bin ein Mann, ein menschliches Wesen auf dieser Welt. Wenn dich der Scheiß interessiert den wir machen, dann setzen wir uns zusammen und reden zivilisiert miteinander.

Insgesamt betrachtet muß ich jedoch sagen, daß wir ein großartiges Netzwerk an Leuten hinter uns haben. Official Recordings, Rawkus und all die Vertriebe verstehen unser Anliegen und ich habe das Gefühl, daß es für uns sehr gut funktioniert. Sollte dies einmal nicht mehr der Fall sein - hey - dann ziehe ich einfach den Stecker."

Five Boroughs - Coming With The Dope Sound

Die Underground-Hip Hop-Szene von der El-P gesprochen hat, ist im Big Apple in ihrer Ganzheit nicht zu erfassen. Unzählige kleine Labels releasen unzählige große 12inches und teilweise auch LPs. Für alle Headz, Hip Hop-Drunkies und andere Interessierte, die sich nicht wöchentlich durch etliche whitelabels wühlen möchten, gibt es derzeit dufte Compilations, die von innen kommen, also von den Protagonisten selbst. Oben schon angesprochene Lyricist Lounge - Volume One ist uneingeschränkt zu empfehlen, desweiteren, ebenfalls ein Rawkus-Output, mixt Evil Dee of Black Moon-Fame auf Sound-bombing seine favourite artists. Stretch Armstrong presents Lesson 1 kommt zwar etwas zu sehr mit dem erhobenen Zeigenfinger daher, doch er präsentiert auf seinem eigenen Label Dolo einen korrekten Querschnitt zu beachtender Künstler. Unbedingt auscheckenswert ist die von Premier gemixte Triple-LP New York Reality Check 101, die zwar schon 1997 erschienen ist, aber in keinem guten Haushalt fehlen darf. Noch nicht gehört, aber wahrscheinlich trotzdem zu empfehlen, ist Connected auf 3-2-1Records, die so illustre Menschen wie Channel Live und Ultramagnetic MCs mir unbekannten cats wie Labtekwon oder Jahred Jedeye gegenüberstellt. Den besten Überblick und oftmals auch den neuesten und heißesten Scheiß bieten natürlich Mixtapes. Wer also seine Hände drankriegt, sollte sich welche besorgen. Immer eine gute Adresse ist ‘Such a Sound’ in Berlin. Doch Vorsicht: Laßt euch gut beraten, in letzter Zeit werden horrende Preise für whacke Tapes abgezogen.

An Rawkus kommt im Moment niemand vorbei, der sich für Hip Hop jenseits des großen Wassers und jenseits fischäugigen Glamours interessiert. Neben der Lyricist Lounge, Co-Flow, Reflection Eternal (Talib Kweli feat. Mos Def & Mr. Man) und dem notorischen Vielveröffentlicher Kool Keith, hat Rawkus 1997 eine 12" verbrochen, die seit mehreren Monaten auf meinem Plattenteller klebt: RA the Rugged Man feat. 8 Off. Das Titelbild des Horrorschockers Basketcase ziert das pechschwarze Cover von Till My Heart Stops und verweist auf die vinylgewordene Paranoia, die RA und 8-Off ‘The Assassin’ Aguilar perfekt verbreiten. Ein spärlicher Beat kittet das melancholische Piano-Sample an ein kaum wahrnehmbares Cello, darüber werden dann Geschichten von ganz unten ausgeschüttet.

Doch nicht nur Rawkus-Releases sind ein guter Grund, sich zwei Wochen von Wasser und trocken Brot zu ernähren, um den neuesten NYC-Output finanzieren zu können. Fondle ‘Em Records, das Label von Bobbito ‘The Barber’ Garcia, entstand 1995 aus Jux und Dollerei. Kool Keith und Godfather Don produzierten unter dem Projektnamen The Cenobites eine EP, die eigentlich nur als Promo für die Stretch & Bobbito Radioshow auf WKCR gedacht war. Aufgrund der großen Nachfrage nutzte Garcia seine guten Kontakte zur lokalen Underground-Szene und gründete das Label. Released haben unter anderem The Juggaknots, Siah, M.F. Doom,Yeshua da PoED, Scienz of Life und die fantastischen Arsonists.

Ein kleineres Label ist Guess Whyld Productions, die es bislang auf sieben Veröffentlichungen bringen, hauptsächlich 12inches von den mir unbekannten Lace Da Booms und dem auch auf Lyricist Lounge gefeaturten Mike Zoot.

Zoot erscheint auch auf eastern conference records, die sich hauptsächlich um die Belange von High & Mighty, Mad Skillz und den Smut Peddlers kümmern. Doch auch hier fehlen die üblichen Verdächtigen nicht: El-P, Mos Def, Kool Keith und Bobbito tauchen auf einzelnen Tracks auf. Ebenfalls 1995 ge-gründet wurde Raw Shack Productions. Label Owner Georges Sulmers hat es sich zur Aufgabe gemacht, „to provide our artists with a forum not only to make the records they want to make, but to express their thoughts about the wide spectrum of ideas and experiences that inspires them to strive to approach their art the way they do." Dieser hehre Anspruch hat bisher Maxis von J-Live (Longevity wurde lizensiert von groove attack), Mr. Complex und dem grandiosen Yeshua da PoED entstehen lassen.

Die Liste zu berücksichtigender Labels ließe sich beliebig lange fortsetzen, doch auch außerhalb vom großen Apfel tut sich in Sachen Hip Hop einiges. Wer in Atlanta weilt, sollte nicht versäumen, sich von Mass Influence beeinflussen zu lassen, die auf Elemental Recordings erscheinen. Drüben im We-sten knüpfen ABB Records mit Defari und den fulminanten Dilated Peoples an den Erfolg von Freestyle Fellowship, The Pharcyde und Souls of Mischief an. Nix Gangster, nix böse. Beni B., der eine der erfolgreichsten Hip Hop-Radioshows auf KALX hostet und die Bay Area Hip Hop Coalition gegründet hat, verläßt sich seit der Gründung von ABB im Jahre 1997, auf Mund zu Mund-Propaganda und die persönlichen Beziehungen, die er und seine Künstler landesweit geknüpft haben.

Etwas ruhiger geworden war es die letzten Jahre um Del und seine Hieroglyphics Family. Jetzt sind sie zurück mit der selbstreleasten Doppel-LP Third Eye Vision und kicken Arsch wie nix Gutes.

Wer jetzt noch Kapazitäten frei hat, sollte sich der Schallplatten von Stones Throw Records annehmen, die kommen nämlich von niemand geringerem als dem Peanut Butter Wolf, dessen Name und outputs ja ohnehin blind ge-kauft werden dürfen.

Zum Abschluß stellen wir unsere Empfänger auf Nord Virginia ein. Dort hat sich der Demolition Circle zum Ziel gesetzt, die Künstler, die auf dem hauseigenen Label Depth Charge Records unter Vertrag genommen wurden, gegen die bösen Majors zu verteidigen. Die meisten der gesignten Artists hatten zu-vor schlechte bis sehr schlechte Erfahrungen mit dem big business gemacht, und fanden bei Depth Charge ein neues Heim. Lower Life Forms, Kreative Natives und der neu hinzugekommene Orson Faust bereiten sich derzeit darauf vor, die Hip Hop-Welt von Virginia aus aus den Angeln zu heben. Mitte 98 wird eine Compilation erscheinen, die einen Überblick über die Arbeit des kompletten Demolition Circle geben wird. Watch out!

What we gonna do right here is go back

Und zwar zurück zu Ralf Niemczyk und Katharina Weingartner. Vieles hat sich seit the days of wayback verändert in der Art und Weise wie Hip Hop produziert und an den Käufer gebracht wird. Indie-Labels gab es schon immer, eigentlich schon seit den Tagen als Hip Hop laufen lernte. Doch Indie hieß nicht zwangsläufig, daß die gesignten Artists mit dem nötigen Respekt be-handelt und anständig bezahlt

worden sind. Über lange Zeit waren Hip Hop Artists den Vorstellungen der Labels ‘ausgeliefert’, egal ob es sich um Majors oder Indies handelte. Natürlich klingt diese Feststellung völlig undifferenziert, daß diese Prozesse un-endlich vielschichtiger ablaufen, dürfte wohl den meisten klar sein, doch es gibt genügend Beispiele für diese Schwarz-Weiß-Malerei. Das von Niemczyk und Weingartner diagnostizierte Fehlen einer Infrastruktur, die Abstürze auffängt und Erfolge vorbereitet, trifft heute nicht mehr zu. Wie wir oben gesehen haben, gibt es unzählige Möglichkeiten als MC, DJ oder Producer, die gegebenen Strukturen für seine Zwecke zu nutzen. Was auf den letzten Seiten sträflich vernachlässigt wurde, ist die Rolle, die die Vertriebe im Indie-Hop-Spiel einnehmen. Zwar werden einige der kleinen Labels über größere Plattenfirmen vertrieben, doch kann die Arbeit, die Fat Beats Distribution oder Sandbox Automatic leisten, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Fat Beats hat mittlerweile Niederlassungen in New York, Los Angeles und Am-sterdam und ist konstant damit beschäftigt, Vinyl, CDs, Videos, Tapes und vieles andere, weltweit verfügbar zu machen. Sandbox existiert mittlerweile seit drei Jahren, fällt also vom Gründungsdatum her genau in die Zeit, in der viele oben besprochene Labels loslegten. Ohne Sandbox wären viele Underground-Labels in Europa schlichtweg unbekannt.

In letzter Zeit wurden verstärkt Stimmen laut, die in der erhöhten Aufmerksamkeit seitens der verschiedensten Medien und dem Auftauchen diverser Indie-Hip Hop-Compilations, einen hausgemachten Trend sehen. Völlig von der Hand zu weisen ist dieses natürlich nicht. Allerdings ist immer irgendwer beleidigt, wenn ihm sein liebstes Spielzeug weggenommen wird, von dem er dachte, bislang alleine damit gespielt zu haben.

We not like you other MCs

Ridin’ fake props

I be in this rap shit till my fuckin’heart stops

 

RA the Rugged Man feat. 8 Off

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch