Don’t stop the Body Rock
Von der Auferstehung des Hip Hop in Zeiten seiner absoluten
Popularität
Von Markus Hablizel
In letzter Zeit wurde viel über den Niedergang der
HipHop-Kultur spekuliert. Es existieren unzählige Verschwörungstheorien darüber, ob
Puff Daddy jetzt doch der uneheliche Sohn von Bill Gates ist und ernsthaft daran arbeitet,
HipHop aufzukaufen, um endgültig das Monopol zu besitzen oder ob Puffy an den Crossroads
seine Seele tatsächlich dem Teufel verhökert hat, der ja bekanntermaßen die
Verwertungsrechte aller bisher von Mr. Combs ausgebeinten Songs sein Eigen nannte. Die
Wahrheit ist: auch wir wissen es nicht. Markus Hablizel hat sich aufgemacht zu erkunden,
was sich abseits der MTV Music Awards und fischäugiger Videoclips tut und ob die
vielbeschworene neue Independent - HipHop - Szene das hält, was sie für andere zu
versprechen scheint.
I Death Row an MC With Mic Cables
The Epic Is At A Rush Associated Labels (GZA)
Eigentlich hätte der ganze Wu-Tang Clan
anwesend sein sollen, ausgenommen Ol’ Dirty, der sich, unbestätigten Gerüchten
zufolge, bei seiner Mutter von einer Sommergrippe erholen wollte. Doch wie das Leben so
spielt, zog es der Clan vor, in Shaolin bzw. bei diversen Kurzurlauben und Radioshows zu
bleiben oder schlichtweg verschollen zu sein. Sollte Jörg Wontorra arbeitslos werden,
wäre es si-cherlich eine prima Idee, einer amerikanischen Fernsehstation ein spezielles
‘Wu-Tang Bitte melde dich!’ anzubieten. Doch nun zurück zum Ge-schehen –
Sommer 1995, Rote Fabrik, Zürich.
Ol’ Dirty Bastard war gemeinsam mit seinem
Brooklyn-Zoo-Kollegen Buddah Monk, der als MC und DJ fungierte, angetreten, die Clanehre
in der Schweiz und Deutschland zu retten. Der weltbeste Entertainer zog eine über
zweistündige Freestyle-Show vom Riemen, die sich gewaschen hatte. Buddah Monk und er
surften perma-nent zwischen haarsträubenden Verschwörungstheorien, Weed rauchen und der
Performance von Tracks unterschiedlichster Wu-Members hin und her. Zwischendrin wurde
abgebrochen, da Ol’ Dirty während der Show seinen Pager verloren hatte und diesen,
unter Androhung ernst-hafter Prügel, vom Publikum zurückforderte. Als man sich endlich
an den Stop and Go-Charakter des Auftritts gewöhnt hatte, hielt Dirty plötzlich inne und
hob zu einer der wohl unglaublichsten Reden an, die je auf das kontinentaleuropäische Hip
Hop-Volk niedergegangen war. „ Stop, stop, stop. You know what ? We all gotta go
underground!" Tosender Applaus. „No, stop. You don’t even know what
I’m talkin’ ‘bout." Konsterniertes Schweigen. Darauf folgte eine ca.
zehnminütige Erklärung, was es denn mit der „go underground"-Aufforderung auf
sich habe. Damit sei keines-wegs so etwas wie der musikalische Hip Hop-Underground
gemeint, von wegen realness, ruffneck-tum and the whole nine yards. No way! Dieser Tage
müßten sich „Nigger" wie er (idealerweise das Züricher Publikum gleich mit)
eingraben, eine neue, unterirdische Lebensgrundlage schaf-fen, um vor der Verfolgung durch
sämtliche existierende US-Nachrichten-dienste und anderer potentieller Attentäter sicher
zu sein. Zudem sei man dort unten prima geschützt, sollte einem jemand mittels atomarer
Waffen ans Fell wollen. So far, so good.
Die Frage, die sich stellt, ist folgende: Was hat diese
Ol’ Dirty-Anekdote in einem Artikel zu suchen, der den Versuch unternimmt, ein wenig
Licht ins Dunkel einer, wie auch immer ge-arteten Underground-Hip Hop-Szene zu bringen?
Antwort: Zum einen kommt man am Wu-Tang Clan nicht vorbei, (wie sich noch zeigen wird)
wenn man über (Underground-) Hip Hop schreiben möchte. Zum anderen macht oben erzählte
Geschichte deutlich, wie problematisch es ist, sich dieser Tage über ein Konstrukt -
Underground - zu unterhalten, über das im Laufe seiner Existenz schon sehr viel
spekuliert worden ist. Mißverständnisse oder zumindest unterschiedliche Lesarten waren
schon beim ersten Auftauchen dieses Begriffs angelegt, wann und wo auch immer das gewesen
sein mag.
Wie Ralf Niemczyk und Katharina
Wein-gartner Ende 1993 (Vgl. Spex 12/93) sehr scharfsinnig festgestellt haben, hatte
„...der US-HipHop nie Berührungsängste mit dem großen Ge-schäft, was bislang
seine große Stärke und Schwäche zugleich war." Etwas weiter im Text: „Eine
extrem rasante, künstlerisch innovative, so-zial und politisch relevante Bewegung hat in
15 langen Jahren keine nen-nenswerte >Underground<-Infrastruktur aufgebaut, wo
Absturz und Aufstieg von Trends in einer Art Indie-Bereich austariert werden
könnten."
Diese Diagnose ist deswegen so hilfreich, weil sie als
Ausgangspunkt für die hier anzustellenden Überlegungen geradezu ideal ist. Die
Berührungsängste mit dem großen Geschäft hat US-Hip Hop heute weniger denn je. In den
seltensten Fällen würde ich das als Schwäche bezeichnen. Wenn man heute vom großen
Geschäft spricht, ist sicherlich etwas anderes gemeint als am Ende der 80er oder zu
Beginn der 90er Jahre. Während damals unzählige Hip Hop-Gruppen in Standby-Stellung
darauf warteten, vom A&R eines Unterhaltungsgiganten entdeckt zu werden, um einen mehr
schlechten als rechten Deal zu bekommen, der durch einen hohen Vorschuß glänzte, von dem
aber noch die Kosten für Aufnahmestudios und Videoproduktion abgingen und am Ende
lediglich ein kleines Taschengeld übrigblieb, stellt sich die Situation heute grundlegend
anders dar. Man hat aus den Fehlern ge-lernt, sich businessmäßig schlau gemacht und den
Scheiß selbst in die Hand genommen. Zwei der kommerziell erfolgreichsten Hip Hop-Labels
aller Zeiten sind zum einen Death Row Records, established 1992 by Dr. Dre und Suge
Knight, jetzt unter der alleinigen Leitung von Knight und zum anderen Ruthless Records,
ehemals regiert von Eazy E und nach dessen Tod übernommen von seiner Witwe Tomica
Woods-Wright. Doch es ist nicht alles Platin was glänzt. Wie die Entwicklung der letzten
Jahre gezeigt hat, ist die Tatsache, daß Labels von Leuten geführt werden, die einem Hip
Hop-Background entstammen, nicht zwangsläufig ein Garant für den nötigen Respekt
gegenüber gesignten Künstlern oder für innovative Outputs. Schenkt man Snoop Doggy Dogg
Glauben, so hat er keinen Einblick in die Gewinne, die Death Row mit seinen Platten
er-zielt hat und somit auch keine Kontrolle, was die ihm auszubezahlenden Anteile
anbelangt. Auch bei Ruthless liefen einige Dinge schief, da Eazy zu Lebzeiten dem
Vertriebspartner Relativity zu viel Entscheidungskompetenz zugestanden hatte. Mittlerweile
hat Tomica einen neuen Deal mit Sony ausgehandelt.
Ein weiteres, aktuelles Beispiel für die fehlenden
Berührungsängste mit dem großen Geschäft wäre die Posse um Bad Boy-Chef Sean
‘Puffy’ Combs. Kein Radio-, Musik-TV-Sender, Soundtrack, Jugend- oder
Musikmagazin, das eines seiner Produkte nicht schon gefeaturet hätte. Puffy ist der Mann
der Stunde, der es schafft, noch Monate nach Biggie Smalls Tod neue Songs und Videos auf
den Markt zu werfen, die Notorious B.I.G featuren und sich noch besser verkaufen als
geschnitten Brot. Belassen wir es hierbei, auf Puff Daddy komme ich später noch kurz zu
sprechen.
Back to the beginning. Eine andere Strategie, sich in der
corporate music industry ein Überleben zu sichern, hat der Wu-Tang Clan vorgelegt.
Anstatt alle Wu-Releases bei einem Major unterzubringen, versucht man, soviel verschiedene
Majors wie möglich zu besetzen. Zur Zeit tätigt der Wu Geschäfte mit fünf Labels. Was
nicht heißen soll, daß das Verhältnis zwischen Clan und Major Companies ein
ungetrübtes ist, schließlich hat man genügend schlechte Erfahrungen gemacht. Nicht nur
das Zitat zu Beginn dieses Artikels illustriert dieses mehr als deutlich. Das Stück
stammt von GZAs Solo-LP Liquid Swords, nennt sich Labels und ist eine knapp
dreiminütige Abrechnung mit dutzenden von Labels, an denen Genius kaum ein gutes Haar
läßt: „Tommy ain’t my mutherfuckin’ Boy / when you fake moves on a
nigga you em-ploy." Doch schon auf der ersten Wu-Tang-Single, Protect ya Neck,
die zuerst auf dem hauseigenen Label Wu-Tang Records erschien und später von RCA neu
releast wurde, macht GZA deutlich, was er von dem Business hält: „The Wu is too
slammin’ for those Cold Killin’ labels(...) First of all, who’s your
A&R?/A mountain climber who plays an electric guitar?" Die zwei eben
genannten Auszüge beziehen sich auf Erfahrungen/Verträge, die Rakeem und Genius mit den
Time Warner-Sublabeln Tommy Boy und Cold Chillin’ gemacht haben, wie sich sicherlich
nur un-schwer erkennen läßt. Lustigerweise erschien Liquid Swords bei einem der
berüchtigsten Majors: Geffen Records, Inc.
Fünf Jahre nach der von Niemczyk und Weingartner
diagnostizierten Situation einer fehlenden „>Underground<-Infrastruktur",
stellen sich die Dinge anders dar. Wenn Cypress Hill, der Wu-Tang Clan oder Das EFX, die,
was Verkaufszahlen anbelangt, allesamt topcats sind, sich selbst im Underground verorten,
stellt sich natürlich die Frage, was damit gemeint ist. Da Underground hier sicherlich
nicht bedeutet, abseits des weltweit verfügbaren Mainstreams (Magazine, Musiksender,
Konzerte etc.) in dunklen Kellern und kleinen geheimen Zirkeln seiner Berufung
nachzugehen, sondern guten Gewissens behauptet werden darf, daß jeder einigermaßen
aufgeschlossene junge Piercingträger schon von Cypress Hill, Wu-Tang und Konsorten
gehört hat, muß Underground etwas anderes bedeuten. Skiz Fernando traf den Wu-Tang 1993,
als sie noch dreckige Straßenkids waren. 1992, als noch dreckigere Straßenkids,
versuchten sie Protect ya Neck, das raw as hell ist (ich kenne nur die LP-, bzw.
die 12"-Version von 1993, ein Jahr zuvor klang das Ganze sicherlich noch ein gutes
Stück rougher) an den Mann zu bringen und scheiterten. Kein A&R glaubte damals, daß
sich diese ungehobelte Scheiße jemals verkaufen würde. Heute holt jeder Wu-Release
Platin. Was ist also passiert? Protect ya Neck wurde vom Wu selbst releast und
schlug im TriState ein wie eine Bombe. Na-türlich nicht im großen Stil, sondern nur bei
den Leuten, die über genügend Wissen verfügten, die Mixtape-, Party- oder die
ich-kenne-da-jemanden-mit-heißer-Scheiße-am-Start - Quelle anzuzapfen. Urplötzlich
zeigten auch die Majors Interesse, erkannten die Chance, wenn auch nicht das Potential des
Clans, und es kam zum RCA-Release. Von da an ging es steil bergauf. Die Käufer wurden
also auf den haarigen Wu-Sound vorbereitet und wollten schließlich kaum noch etwas
anderes.
Dieses Beispiel weist auf zwei Ebenen hin. Erstens könnte
Underground die Bezeichnung für die ökonomische Unabhängigkeit, selbstgewählt oder aus
den Umständen erwachsen, eines Labels/Artists von der Corporate Musikindustrie sein.
Underground wäre hier Independent, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, daß keine
Geschäfte mehr mit Major Companies gemacht werden, allerdings dann unter ausgeglicheneren
Bedingungen als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Das Verständnis vom
Verhältnis zwischen Indie und Major, das heute teilweise immer noch als das schematisch
Gut und Böse angesehen wird, funktioniert so sicherlich nicht mehr. Zweitens: Underground
als Haltung, die sich durch Produktionsweisen, Inhalte, Dresscodes, Sprache etc.
mani-festiert, charakterisiert durch eine gewisse Unnachgiebigkeit gegenüber Forderungen
anderer an die eigene Person/Arbeit und durch eine hohe Stufe der Selbstreflexivität, was
die eigene Position/Arbeit betrifft.
Diese sehr statisch daherkommenden Formeln versuchen
lediglich einen definitorischen Rahmen für das zu schaffen, was sich heute im Hip Hop
abseits der üblichen Major-Verdächtigen abspielt. Man könnte den obigen
Definitionsversuchen sicherlich etliches hinzufügen oder sie widerlegen, doch als grobe
Verständnisgrundlage für die heutige Situation werden sie ausreichend sein.
In diesem Artikel wurde bislang sehr viel über den Wu-Tang
Clan gesprochen. Das ist deshalb nötig, weil er getrost als einer der wichtigsten
Wegbereiter für Heerscharen von MCs, DJs, Produzenten und Labelbetreibern verstanden
werden darf, die angetreten sind, ihr Hip Hop-Ding zu machen und zwar genau nach ihren
Vorstellungen und nichts als ihren Vorstellungen. Ob das tatsächlich so einfach ist und
wer die Schlüsselfiguren in dem Spiel called Underground-, Indie-Hip Hop sind, soll im
folgenden beantwortet werden.
Lyricist Lounge - loungin’ with the fat clientele
Obwohl New York City the home of Hip Hop ist, gab es
während der letzten zehn Jahre nur eine Hand voll Clubs, die sowohl für schwarze als
auch für weiße, asiatische und hispanische Kids zugänglich und erschwinglich waren.
Zusätzlich gab es vielerorts haarsträubende Dresscodes: „No sneakers, no boots -
dress to impress", die den Zweck hatten, B-Boys/-Girlz und das damit assoziierte
Konfliktpotential fernzuhalten. Trotz aller noch so paranoiden Security-Maßnahmen mußten
viele Clubs ihre Türen so schnell wieder schließen, wie sie sie geöffnet hatten. Das
Problem waren Schlägereien und häufig auftretende gunfights. Existierte ein Club über
längere Zeit, hieß das nicht unbedingt, daß hier eine Keimzelle der Hip Hop-Kultur
entstand, sondern oftmals handelte es sich nur um das übliche weekend-fun-Programm, gegen
das natürlich nichts einzuwenden ist. Aufgrund dieser Situation entstand das Bedürfnis
nach einem Ort, an dem Headz abhängen, ihre Skillz erproben/verbessern konnten und an dem
Gewalt keinen Zutritt hatte. Danny Castro und Anthony Marshall of Kalodge Projects &
Open Mic Recordings Fame (ihre eigene Promotion-agentur und ihr Label) erkannten die Lage
und gründeten 1991, damals 17 bzw. 16 Jahre alt, die Lyricist Lounge. Anfangs trafen sich
ca. 25 Leute in einem kleineren Loft Space an der Orchard Street auf Manhattans Lower East
Side, chillten, schrieben rhymes und präsentierten sie den anderen Anwesenden.
„The idea was to bring all sorts of interested people
together. MCs, Producer, Fans - they all came", erklärt Anthony Marshall die Idee
hinter der Lounge. Schnell wuchs die loungende Posse und man mußte sich nach einem
größeren Platz umschauen, was sich zuerst als schwierig erwies. Wie sollten zwei
Minderjährige einen Clubbesitzer davon überzeugen, daß ein Freestyle-Showcase genau das
ist, worauf New York seit Jahren gewartet hat. Herbst 1992 war es dann soweit. Die erste
große Lyricist Lounge fand im ‘The Muse’ statt und zog knapp 300 Leute an. Am
Start waren unter anderem Mos Def und The Crew Rotten Candy mit ihrem Female MC Nefertiti
aka Foxy Brown, damals im zarten Alter von 14 Jahren. Bis heute gab es ca. 20
Veranstaltungen der Lyricist Lounge, die sich in der Retrospektive wie das ‘Who is
Who’ aktuellen Hip Hops lesen. Doug E Fresh, Mobb Deep, Jeru, JBs, Q-Tip, Notorious
B.I.G., Puff Daddy, Foxy Brown, Guru, De La Soul, Mos Def, Fat Joe,Natural Elements,
Supernatural, X-Men - just to name a few. Das ist wirklich nur ein sehr kleiner Auszug aus
der langen Liste derjenigen, die schon in der Lounge aufgetreten sind.
Die Lyricist Lounge erfüllt heute mehr denn je mehrere
Funktionen gleichzeitig. Sie bietet ungesignten Künstlern die Chance, in einem optimalen
Rahmen, gleichberechtigt neben den elder statesmen des Hip Hop auf einer Bühne zu stehen
und von den zahlreich anwesenden Producern, A&Rs und Managern ‘entdeckt’ zu
werden. Andersherum gilt das natürlich auch für die Musikindustrie (nicht nur Majors,
sondern auch kleine Indie-Labels, die in der Lyricist Lounge sicherlich den
bestfunktionierendsten Underground-Artist-Pool vorfinden, der je existiert hat.
Das ‘Motto’ der Lounge „No Guestlist, No
Cameras, No exceptions" karikiert die Bedingungen, die bei anderen Events herrschen
und weist darauf hin, daß niemand bevorzugt behandelt wird. Keine Stretchlimo,
Platin-AmEx oder Cham-pagner in Fässern beinflussen die Auswahl der Artists, die
gefeaturet werden, sondern Qualität entscheidet, behauptet Anthony und erzählt die
Geschichte von Rakim, der bislang noch nicht im Zuschauerraum gesichtet werden konnte. Die
Legende ist, daß er einmal vor der Tür gestanden habe, aber nicht hereingelassen wurde,
weil der Laden voll war. Da kann man mal sehen.
Anfang Mai erschien nun die CD zum Event. Open Mic
Recordings und Rawkus jointen forces und setzten der Lounge ein Denkmal, von dem jeder
an-ständige Hip Hop-Lover, der etwas auf sich hält, behaupten würde, es sei fetter als
das Leben. Enstanden sind zwei Scheiben, von denen die eine von De La Soul, die andere von
Kool Keith und Sir Menelik gehostet wird. Die Hosts präsentieren in einer
Quasi-Live-Atmosphäre 21 Headnodder von so illustren Gästen wie KRS-One, Talib Kweli,
Mos Def feat. Q-Tip&Tash, Jurassic 5, Natural Elements und vielen anderen gesignten
und ungesignten MCs. Um allen Unkenrufen vorzubeugen: Hier handelt es sich nicht um eine
fix zusammengezimmerte Compilation, die versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen, um mit
dem Label ‘Independent-Hip Hop’ einen schnellen Dollar zu machen. Lyricist
Lounge - Volume One ist nicht weniger als die sehr detaillierte Aufarbeitung der
Geschichte des vielleicht wichtigsten Hip Hop-Showcases des letzten Jahrzehnts. Ach ja, in
Ton, Text und Bild.
Company Flow - Independent as fuck and lovin it
Kaum einer, der sich nicht überschlagen hat, angesichts
der letztjährigen De-büt-LP Funcrusher Plus von Company Flow. Auch ich gehörte
zu denjenigen, die ihre Konten leerräumten (gerade mal genug cash für die die
CF-Doppel-LP), um alles auf Co-Flow setzen. Ich denke, wir wurden nicht enttäuscht. Funcrusher
Plus spricht eine sehr deutliche Sprache. Nämlich die, daß es 1997/98 nicht zwingend
nötig ist, eighties-Samples alternder Popstars oder schmoove Damen-Hooklines zu
verbratzen, um fett viel besseren Hip Hop auf die erfolgreiche Piste zu schicken. Nun,
über die Vinyl-Qualitäten der Co-Flows ist schon viel geschrieben worden, doch wer sie
einmal live erlebt hat, für den ist nichts mehr so wie es vorher war. El- P(roducto) und
Bigg Jus sind zwei Ausnahme-MCs erster Güte. Egal ob Freestyle oder regulärer Track, die
beiden produzieren komplett durchgeknallte Styles wie am Fließband und das anderthalb
Stunden am Stück. Doch das ist noch nicht alles: Company Flow bringen den DJ zurück in
die Hip Hop-Show! Mr. Len dient nicht bloß als gutaussehende Plattendreher-Staffage, wie
dies bei vielen Shows leider im-mer noch der Fall ist. Er jugglet, cuttet und scratcht
sich seine verdammte Seele aus dem Leib. Hier kommt kein Stück vom DAT, alles ist
Handarbeit. Die Grundlage für El-Ps und Bigg Jus’ Reimsalven (was für ein Wort)
bilden Mr. Lens Backspins und seine Beat-Juggles, die er mit rohen Scratches noch
verfeinert. Umwerfend ihm bei seiner fulminanten Arbeit zuzusehen.
Juvenile Techniques, die von El-P im Alleingang
produzierte erste 12" erschien bei einem befreundeten Indie-Label. Mit der
Freundschaft war Schluß, als Bigg Jus, der damals für das Label arbeitete, El-P
mitteilte, daß das Label vor-hatte, alle Finanzen aus dem Projekt zurückzuziehen. Dieses
war der Moment, in dem Company Flow geboren wurde. Man verließ das Label, zog zusammen in
ein Loft und arbeitete an neuem Material. Mitten im andauernden Rechtsstreit mit dem
ehemaligen Label stieß Mr. Len dazu und schloß sich El-P und Bigg Jus an. Um die volle
Kontrolle über alles zu haben, was mit Co-Flow zu tun hat, wurde Official Recordings
gegründet, wo Funcrusher Plus dann letztendlich auch erschien. Um die Headz
worldwide zu beliefern, schloß man einen Lizensierungs-Deal mit Rawkus ab, dem
derzeitigen Fixstern der amerikanischen Indie-Labels.
Daß die Geschichte mit der Kontrolle nicht immer so eine
einfache Sache ist, macht folgendes deutlich. Nachdem ich über mehrere Tage mit vier
verschiedenen Leuten gedealt hatte, kam (nach mehreren Absagen) ein Interviewtermin
zustande, zu dem Co-Flow dummerweise nicht auftauchten. Nach der Show auf den versäumten
Date angesprochen, erklärte mir El-P, nichts davon gewußt zu haben, entschuldigte sich
und bot mir an (3 Uhr morgens, nach 1.5 stündiger Show und 10 stündiger Autofahrt),
umgehend ein Interview zu ge-ben. Wie sich dann herausstellte, wäre mein vereinbarter
Interviewtermin unmöglich gewesen, weil sich Co-Flow aufgrund des miserablen routings zu
dieser Zeit noch auf der Autobahn befunden hatten. Here we go y’all:
Wie kam es zu Official Recordings ?
„Wir haben Official Recordings in erster Linie
gegründet, um unsere Musik herauszubringen. Wir wollten die Kontrolle darüber haben, wie
unser Zeug vermarktet wird und was damit geschieht. Nicht zuletzt ist es für uns auch
profitabler. Du kannst ja auch nicht dein ganzes Leben lang MC bleiben, sondern mußt
früh genug eine Basis schaffen, um nicht wie viele andere plötzlich mit leeren Händen
dazustehen, wenn es mit der Karriere vorbei ist. Wenn du ein Label aufgebaut hast, kannst
du den Leuten ganz anders gegenübertreten, die Deals die du abschließt und die
Forderungen die du stellst werden endlich ernstgenommen."
Gibt es so etwas wie eine Underground- Hip Hop Szene in
New York ?
„Ja, die gibt es. Genau da kommen wir her. Neben der
Lyricist Lounge gibt es eine riesige Szene, nicht unbedingt feste Clubs, aber es finden
jede Woche irgendwelche Events statt. Da kommen wir her, Leute wie die Juggaknots,
Arsonists, Non Phixion, Siah, Yeshua, alle Fondle ‘Em und die meisten der
Rawkus-Künstler. Das Ganze ist large, aber gleichzeitig Underground."
Könnt ihr denn mittlerweile von der Musik leben ?
„Wir können jetzt davon leben, aber du mußt auch
sehen, daß wir den ganzen Scheiß schon seit sieben Jahren machen. Jahrelang haben wir
uns den Arsch abgearbeitet, umsonst gespielt und versucht unser Zeug auf Mixtapes
unterzubringen. Wenn du Geld mit deiner Musik verdienen möchtest, mußt du ein anderes
Spiel spielen. Du kannst nicht einfach zu ‘nem Major gehen, bring’ dein Zeug
selbst heraus. Das der Hase so läuft, haben die Leute erst vor kurzem begriffen. Ich will
nicht sagen, daß wir die ersten waren, aber wir waren sicher ganz vorne mit dabei. Dieser
Umschwung im Denken ist vielleicht die wich-tigste Veränderung der letzten Jahre. Um
nicht zu verlieren, was dir so wichtig ist, nämlich die Liebe für die Kultur, der ganze
B-Boyism, mußt du die Sache selbst in die Hand nehmen und dich darum kümmern. Die
Platten kommen mittlerweile aus der Kultur selbst, nicht von außenstehenden
Plattenfirmen."
Du hast vorher von Kontrolle gesprochen. Stört es dich,
daß ihr nicht mehr die Kontrolle über absolut alles habt, das mit Co-Flow in Verbindung
gebracht wird ?
„Seit wir den Deal mit Rawkus haben und mehr Geld in
die Promotion ge-steckt wird, ist es schwieriger geworden. Es sind einfach viel mehr Leute
zwischengeschaltet und du weißt nicht über alles Bescheid was im Namen von Company Flow
alles passiert. Wir sind natürlich bemüht soviel wie möglich mitzukriegen, doch das ist
schwierig, denn das menschliche Element läßt sich nicht kontrollieren. Die meisten
Künstler kennen sich auf der Business-Seite nicht aus und haben keine Vorstellung
darüber, wie ihr Zeug präsentiert und verkauft werden soll. Wir sind nicht so. Wir üben
Kontrolle aus und sagen den Leuten wie wir es gerne hätten. Den meisten schmeckt das
nicht und du wirst gefragt: Wer denkst du, wer du bist ? Ich sage dann: Hey, ich bin ein
Mann, ein menschliches Wesen auf dieser Welt. Wenn dich der Scheiß interessiert den wir
machen, dann setzen wir uns zusammen und reden zivilisiert miteinander.
Insgesamt betrachtet muß ich jedoch sagen, daß wir ein
großartiges Netzwerk an Leuten hinter uns haben. Official Recordings, Rawkus und all die
Vertriebe verstehen unser Anliegen und ich habe das Gefühl, daß es für uns sehr gut
funktioniert. Sollte dies einmal nicht mehr der Fall sein - hey - dann ziehe ich einfach
den Stecker."
Five Boroughs - Coming With The Dope Sound
Die Underground-Hip Hop-Szene von der El-P gesprochen hat,
ist im Big Apple in ihrer Ganzheit nicht zu erfassen. Unzählige kleine Labels releasen
unzählige große 12inches und teilweise auch LPs. Für alle Headz, Hip Hop-Drunkies und
andere Interessierte, die sich nicht wöchentlich durch etliche whitelabels wühlen
möchten, gibt es derzeit dufte Compilations, die von innen kommen, also von den
Protagonisten selbst. Oben schon angesprochene Lyricist Lounge - Volume One ist
uneingeschränkt zu empfehlen, desweiteren, ebenfalls ein Rawkus-Output, mixt Evil Dee of
Black Moon-Fame auf Sound-bombing seine favourite artists. Stretch Armstrong
presents Lesson 1 kommt zwar etwas zu sehr mit dem erhobenen Zeigenfinger daher, doch
er präsentiert auf seinem eigenen Label Dolo einen korrekten Querschnitt zu beachtender
Künstler. Unbedingt auscheckenswert ist die von Premier gemixte Triple-LP New York
Reality Check 101, die zwar schon 1997 erschienen ist, aber in keinem guten Haushalt
fehlen darf. Noch nicht gehört, aber wahrscheinlich trotzdem zu empfehlen, ist Connected
auf 3-2-1Records, die so illustre Menschen wie Channel Live und Ultramagnetic MCs mir
unbekannten cats wie Labtekwon oder Jahred Jedeye gegenüberstellt. Den besten Überblick
und oftmals auch den neuesten und heißesten Scheiß bieten natürlich Mixtapes. Wer also
seine Hände drankriegt, sollte sich welche besorgen. Immer eine gute Adresse ist
‘Such a Sound’ in Berlin. Doch Vorsicht: Laßt euch gut beraten, in letzter Zeit
werden horrende Preise für whacke Tapes abgezogen.
An Rawkus kommt im Moment niemand vorbei, der sich für Hip
Hop jenseits des großen Wassers und jenseits fischäugigen Glamours interessiert. Neben
der Lyricist Lounge, Co-Flow, Reflection Eternal (Talib Kweli feat. Mos Def & Mr. Man)
und dem notorischen Vielveröffentlicher Kool Keith, hat Rawkus 1997 eine 12"
verbrochen, die seit mehreren Monaten auf meinem Plattenteller klebt: RA the Rugged Man
feat. 8 Off. Das Titelbild des Horrorschockers Basketcase ziert das pechschwarze Cover von
Till My Heart Stops und verweist auf die vinylgewordene Paranoia, die RA und 8-Off
‘The Assassin’ Aguilar perfekt verbreiten. Ein spärlicher Beat kittet das
melancholische Piano-Sample an ein kaum wahrnehmbares Cello, darüber werden dann
Geschichten von ganz unten ausgeschüttet.
Doch nicht nur Rawkus-Releases sind ein guter Grund, sich
zwei Wochen von Wasser und trocken Brot zu ernähren, um den neuesten NYC-Output
finanzieren zu können. Fondle ‘Em Records, das Label von Bobbito ‘The
Barber’ Garcia, entstand 1995 aus Jux und Dollerei. Kool Keith und Godfather Don
produzierten unter dem Projektnamen The Cenobites eine EP, die eigentlich nur als Promo
für die Stretch & Bobbito Radioshow auf WKCR gedacht war. Aufgrund der großen
Nachfrage nutzte Garcia seine guten Kontakte zur lokalen Underground-Szene und gründete
das Label. Released haben unter anderem The Juggaknots, Siah, M.F. Doom,Yeshua da PoED,
Scienz of Life und die fantastischen Arsonists.
Ein kleineres Label ist Guess Whyld Productions, die es
bislang auf sieben Veröffentlichungen bringen, hauptsächlich 12inches von den mir
unbekannten Lace Da Booms und dem auch auf Lyricist Lounge gefeaturten Mike Zoot.
Zoot erscheint auch auf eastern conference records, die
sich hauptsächlich um die Belange von High & Mighty, Mad Skillz und den Smut Peddlers
kümmern. Doch auch hier fehlen die üblichen Verdächtigen nicht: El-P, Mos Def, Kool
Keith und Bobbito tauchen auf einzelnen Tracks auf. Ebenfalls 1995 ge-gründet wurde Raw
Shack Productions. Label Owner Georges Sulmers hat es sich zur Aufgabe gemacht, „to
provide our artists with a forum not only to make the records they want to make, but to
express their thoughts about the wide spectrum of ideas and experiences that inspires them
to strive to approach their art the way they do." Dieser hehre Anspruch hat bisher
Maxis von J-Live (Longevity wurde lizensiert von groove attack), Mr. Complex und
dem grandiosen Yeshua da PoED entstehen lassen.
Die Liste zu berücksichtigender Labels ließe sich
beliebig lange fortsetzen, doch auch außerhalb vom großen Apfel tut sich in Sachen Hip
Hop einiges. Wer in Atlanta weilt, sollte nicht versäumen, sich von Mass Influence
beeinflussen zu lassen, die auf Elemental Recordings erscheinen. Drüben im We-sten
knüpfen ABB Records mit Defari und den fulminanten Dilated Peoples an den Erfolg von
Freestyle Fellowship, The Pharcyde und Souls of Mischief an. Nix Gangster, nix böse. Beni
B., der eine der erfolgreichsten Hip Hop-Radioshows auf KALX hostet und die Bay Area Hip
Hop Coalition gegründet hat, verläßt sich seit der Gründung von ABB im Jahre 1997, auf
Mund zu Mund-Propaganda und die persönlichen Beziehungen, die er und seine Künstler
landesweit geknüpft haben.
Etwas ruhiger geworden war es die letzten Jahre um Del und
seine Hieroglyphics Family. Jetzt sind sie zurück mit der selbstreleasten Doppel-LP Third
Eye Vision und kicken Arsch wie nix Gutes.
Wer jetzt noch Kapazitäten frei hat, sollte sich der
Schallplatten von Stones Throw Records annehmen, die kommen nämlich von niemand
geringerem als dem Peanut Butter Wolf, dessen Name und outputs ja ohnehin blind ge-kauft
werden dürfen.
Zum Abschluß stellen wir unsere Empfänger auf Nord
Virginia ein. Dort hat sich der Demolition Circle zum Ziel gesetzt, die Künstler, die auf
dem hauseigenen Label Depth Charge Records unter Vertrag genommen wurden, gegen die bösen
Majors zu verteidigen. Die meisten der gesignten Artists hatten zu-vor schlechte bis sehr
schlechte Erfahrungen mit dem big business gemacht, und fanden bei Depth Charge ein neues
Heim. Lower Life Forms, Kreative Natives und der neu hinzugekommene Orson Faust bereiten
sich derzeit darauf vor, die Hip Hop-Welt von Virginia aus aus den Angeln zu heben. Mitte
98 wird eine Compilation erscheinen, die einen Überblick über die Arbeit des kompletten
Demolition Circle geben wird. Watch out!
What we gonna do right here is go back
Und zwar zurück zu Ralf Niemczyk und Katharina
Weingartner. Vieles hat sich seit the days of wayback verändert in der Art und Weise wie
Hip Hop produziert und an den Käufer gebracht wird. Indie-Labels gab es schon immer,
eigentlich schon seit den Tagen als Hip Hop laufen lernte. Doch Indie hieß nicht
zwangsläufig, daß die gesignten Artists mit dem nötigen Respekt be-handelt und
anständig bezahlt
worden sind. Über lange Zeit waren Hip Hop Artists den
Vorstellungen der Labels ‘ausgeliefert’, egal ob es sich um Majors oder Indies
handelte. Natürlich klingt diese Feststellung völlig undifferenziert, daß diese
Prozesse un-endlich vielschichtiger ablaufen, dürfte wohl den meisten klar sein, doch es
gibt genügend Beispiele für diese Schwarz-Weiß-Malerei. Das von Niemczyk und
Weingartner diagnostizierte Fehlen einer Infrastruktur, die Abstürze auffängt und
Erfolge vorbereitet, trifft heute nicht mehr zu. Wie wir oben gesehen haben, gibt es
unzählige Möglichkeiten als MC, DJ oder Producer, die gegebenen Strukturen für seine
Zwecke zu nutzen. Was auf den letzten Seiten sträflich vernachlässigt wurde, ist die
Rolle, die die Vertriebe im Indie-Hop-Spiel einnehmen. Zwar werden einige der kleinen
Labels über größere Plattenfirmen vertrieben, doch kann die Arbeit, die Fat Beats
Distribution oder Sandbox Automatic leisten, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Fat
Beats hat mittlerweile Niederlassungen in New York, Los Angeles und Am-sterdam und ist
konstant damit beschäftigt, Vinyl, CDs, Videos, Tapes und vieles andere, weltweit
verfügbar zu machen. Sandbox existiert mittlerweile seit drei Jahren, fällt also vom
Gründungsdatum her genau in die Zeit, in der viele oben besprochene Labels loslegten.
Ohne Sandbox wären viele Underground-Labels in Europa schlichtweg unbekannt.
In letzter Zeit wurden verstärkt Stimmen laut, die in der
erhöhten Aufmerksamkeit seitens der verschiedensten Medien und dem Auftauchen diverser
Indie-Hip Hop-Compilations, einen hausgemachten Trend sehen. Völlig von der Hand zu
weisen ist dieses natürlich nicht. Allerdings ist immer irgendwer beleidigt, wenn ihm
sein liebstes Spielzeug weggenommen wird, von dem er dachte, bislang alleine damit
gespielt zu haben.
We not like you other MCs
Ridin’ fake props
I be in this rap shit till my
fuckin’heart stops
RA the Rugged Man feat. 8 Off |