Verwegene Rhythmen,herzzerreißende
Melodien
Die
rumänische Zigeunerband Taraf de Haidouks
Seit
einigen Jahren gelten die rumänischen Taraf de Haidouks als die
Sensation in der Weltmusik-Szene. Dieser Tage erscheint das dritte
Album der Roma-Band aus dem Dorf Clejani. LEESON besuchte die Gruppe
bei einem Konzert in Brüssel, der homebase ihres Labels Crammed
Disc.
von
Thomas Bohnet
Clejani.
Ein kleines 3000-Seelen-Dorf im rumänischen Südosten, in der Walachei
gelegen. Hier, rund vierzig Kilometer südlich der Hauptstadt Bukarest,
in der Nähe der bulgarischen Grenze, sagen sich Hase und Fuchs gute
Nacht. Eine ungeteerte Hauptstraße, armselige Hütten und eine Kneipe.
Aus Clejani kommt aber auch eine der bemerkenswertesten Weltmusik-Gruppen,
die Taraf de Haidouks. Seit das heute dreizehnköpfige Ensemble 1991
erstmals in Westeuropa aufgetreten ist, gelten die rumänischen Roma
als die Sensation der internationalen Weltmusik-Szene. Ob beim Womad-Festival
in Barcelona oder Yokohama, beim Rockfestival im englischen Reading,
bei Konzerten in Berlin oder jüngst erst in New York – die
Rumänen rissen noch jedes Publikum zu Begeisterungsstürmen hin und
provozierten jedesmal überschäumende Kritiken. Dieser Tage erscheint
beim belgischen Label "Crammed Disc" das dritte Album
der Rumänen mit dem Titel "Dumbala Dumba".
Entdeckt
wurden die Musiker schon 1989, kurz bevor der rumänische Diktator
Ceausescu gestürzt worden ist. Der belgische Musikfan Stéphane Karo
reiste damals durch Osteuropa und stieß in Clejani auf die Zigeuner-Musiker.
Bis dahin waren die "lautari", wie sich die tradtionellen
Berufsmusiker nennen, nie außerhalb ihrer Region live aufgetreten.
Karo war so begeistert von den Musikern und ihrer ganz speziellen
Musik, daß er zusammen mit seinem Freund Michel Winter, einem in
Brüssel lebenden Franzosen, ein Jahr später erneut nach Clejani
kam. Schnell reifte der Plan, etwas mit den Virtuosen aus dem rumänischen
Niemandsland zu machen. "Stéphane kam damals aus diesem Dorf
zurück und war komplett begeistert", erinnert sich Michel Winter.
"Er habe dort einige wundervolle Menschen getroffen, die total
verrückt seien und tolle Musik machen: Wir müßten unbedingt etwas
mit denen machen". Damals war freilich noch Ceausescu an der
Macht und also erstmal nicht so viel möglich. Erst als die Revolution
erfolgreich war, fuhren Karo und Winter wieder nach Clejani. "Wir
haben dort noch viel mehr herausgefunden", erzählt Michel Winter,
"so viele Musiker in diesem kleinen Dorf und noch verrückter,
als Stéphane das geschildert hatte." Rund sechzig aktive Berufsmusiker
leben in Clejani, wo rund ein Zehntel der Dorfbewohner Roma sind.
Üblicherweise bilden vier oder fünf Musiker, in wechselnden Koalitionen,
eine Gruppe für eine Hochzeit oder eine andere Feier. Je nachdem,
wieviel Geld jemand hat und für sein Fest ausgeben kann oder will,
werden die Bands zusammengestellt. Winter und Karo blieben drei
Monate in Clejani, lernten die Musiker kennen, entdeckten die verschiedenen
Stile und Vorlieben. Die beiden Musikfans stellten eine größere
Band zusammen, mit denen die ersten Konzerte in Belgien organisiert
wurden.
Da
die Musiker in ihrer Heimat keinen Namen hatten, musste erst noch
einer gefunden werden. Wobei man schnell auf Taraf de Haidouks kam.
"Taraf" bedeutet einfach "Orchester" während
Haidouk auf die gleichnamigen Freiheitskämpfer des 18. Jahrhundert
anspielt. Räuber, die damals in bester Robin-Hood-Manier die reichen
Großgrundbesitzer ausplünderten und die Beute unter den Armen aufteilten.
Da viele Stücke der Musiker aus Clejani von diesen Haidouken handeln
oder darauf zurückgehen, bot sich der Name an.
Nach
ersten begeisterten Auftritten in Belgien nahm man für das renommierte
belgische Label Crammed Disc 1991 ein erstes Album auf: "Musques
de tsiganes de Roumanie". Crammed, das älteren LEESON-LeserInnen
vielleicht noch durch ihre 80er-Jahre-Veröffentlichungen bekannt
ist (die grandiosen Tuxedomoon veröffentlichten dort einst), hatte
gerade mit Cramworld ein Sub-Label ge-gründet, wo die afrikanische
Frauenband Zap Mama gerade eine Platte herausgegeben hatte. Nach
dem schönen Debüt der Tarafs folgte 1994 das zweite Album "Honourable
Brigands, Magic Horses And Evil Eye", ein echtes Meisterwerk,
ein Album, das hierzulande zurecht, von den Kritiker zur besten
Weltmusik-Platte des Jahres gewählt worden ist.
Szenenwechsel
nach Brüssel. Am Stammsitz ihrer Plattenfirma spielen Taraf de Haidouk
heute abend für einige hundert junge Menschen im sehr schön restaurierten
städtischen Kulturzentrum "Ancienne Belgique". Im Rahmen
der Feierlichkeiten zum 50jähigen Bestehen des AFS, einer Organisation,
die sich um den internationalen Jugend-austausch kümmert, tritt
dort das, wie es in flämisch auf dem Info steht, "unicum uit
de Roemeense zigeunermusziekcultuur" auf.
Mit
"Sabarelu", dem schönsten Lied des neuen Albums "Dumbala
Dumba" steigen die Taraf de Haidouks ins Konzert ein. Der kleine
glatzköpfige Sänger Mitica Ca-curica, der mit seinem schelmischen
Gesicht ein bißchen wie der französische Komiker Louis de Funès
aussieht, steht stocksteif auf der Bühne und singt mit überraschend
hoher Stimme herzzereißend ins Mikro. Ein Akkordeon, zwei Geigen
und ein Kontrabaß liefern die Musik dieser traurig anmutenden Weise.
Der schmale Ilie Iorga und der beleibte Costica, zwei andere ältere
Herren, wechseln sich mit Cacurica am Mikro ab. "Sabarelu ist
eine alte Liebesgeschichte mit phantastischen Elementen", erklärt
Michel Winter beim Interview vor dem Konzert im Ancienne Belgique:
Ein Liebender wartet auf seine Liebste an einem Fluß, der –
keiner weiß warum – zu jeder Jahreszeit extrem warm ist. Balladen
und alte Liebesgeschichten sind die Domäne der älteren Bandmitglieder,
wie eben Ilie Iorga, Cacurica oder des Geigers Ion Manole. Ion Manole
ist mit 77 Jahren der Senior der Gruppe. Der alte Herr mit Hut und
Brille spielt trotz fortgeschrittenen Alters und, wie Michel Winter
erzählt, fortschreitender Alterstaubheit eine ausgesprochen wilde
Violine. Neben traurigen Balladen und dramatischen Liebesgeschichten
sind es vor allem auch die verwegen klingenden Hochzeitstänze, die
Instrumentals im Hochgeschwindigkeits-Rausch, die beeindrucken.
In atemberaubendem Tempo fegen Violinen und Akkordeon durch das
Stück "Tot taraful" und bei "Terno chelipé"
über-holen sich Geige und die kleine Flöte gegenseitig. Bei "Ru-stem",
einem anderen Song, gesellen sich kleines und großes Cymbal zum
Instrumentarium dazu. Das Cymbal ist wichtiger Bestandteil der Musik,
eine Art Hackbrett, ein trapezförmiges Holzgestell, auf das Metallsaiten
gespannt sind, die mit Klöppeln angeschlagen werden. Während man
das kleine Cymbal um den Hals vor dem Bauch hängen hat, steht das
große, wie ein Vibraphon auf vier Beinen.
Beim
Konzert wechseln sich Lieder und Instrumentals ab. In verschiedenen
Gruppen, mal zu viert, mal zu fünft, kommen die Musiker auf die
Bühne. Erst zum grossen Finale steht das ganze Dutzend gemeinsam
auf der Bühne und bringt ein grandioses Schlußstück. Hier stechen
auch die jüngeren Gruppenmitglieder heraus: Der dunkelhäutige Geiger
Caliu, etwa, ein Meister des flinken Bogenstrichs oder der Flötenspieler
Falcaru, der mit seiner Siebziger-Jahre-Frisur ein wenig aussieht
wie der ehemalige Gladbacher Fußballer Hacki Wimmer oder ein anderer
Fußballstar von damals.
Die
Musik der Taraf de Haidouks ist ein buntes Gemisch verschiedener
Traditionen. Hier trifft der Folk des Balkan auf Orientalisches,
bulgarische Themen treffen auf türkische Melodien, rumänische Folklore,
ungarische, ju-goslawische und griechische verschmelzen zum neuen
Ganzen. Da die "lautari" Berufsmusiker sind, arbeiten
sie auch mit dem traditionellen Material, improvisieren viel und
überarbeiten anderes neu. So kommt es teils zu abenteuerlich anmutenden
Arrangements. "Vom Westen ha-ben sie sicherlich die Art der
Präsentation übernommen," sagt Winter, "die Solo-Spielweisen
zum Beispiel." Aber auch, daß im Westen statt dreitägiger Hochzeitsfeiern
im Konzert halt nur zwei Stunden gespielt wird.
In
Brüssel freilich wird die Konzertroutine durchbrochen. Denn nach
dem offiziellen Teil im Ancienne Belgique schnappen die Rumänen
ihre Instrumente und man zieht, angeführt vom belgischen Impressario
Dirk Seghers in die Kneipe der Schouwburg um. Dort in der Brüsseler
Szenekneipe spielen die Tarafs bis weit nach Mitternacht noch einmal
das ganze Programm durch: Unplugged, sozusagen und ohne Mikros.
Sehr zur Freude des jungen Publikums, das weniger steif ist als
die Austauschstudenten im Konzertsaal.
Für
das neue Album haben sich die Männer aus Clejani, so erzählt Michel
Winter, erstmals "Musafirii", musikalische Gäste, eingeladen.
So singt bei zwei Stücken erstmals eine Frau, die aus dem Nachbardorf
kommende Sängerin Viorica, die leider nicht bei der Tournee mit
dabei sein kann. Bei anderen Stükken sind "Lautari" aus
dem Dorf Mirsa mit von der Partie. Dort pflegt man eine ganz besondere
Art der Gesangsimprovisation, indem die Sänger in einer Art Frage-und-
Antwort-Gesang aufeinander eingehen. Schließlich ist noch der Musiker
Napoleon mit einigen Freunden mit von der Partie. Napoleon ist Angehöriger
der Ursari, einer armen, stark marginalisierten Zigeunergruppe.
Die Ursari waren früher die Bärenbändiger, die mit Tanzbären durch
die Gegend gezogen sind. Die Ursari pflegen eine sehr minimalistische
Musik. Gesang und einfache Rhythmik sind deren Markenzeichen, wobei
man behelfmäßig mit alltäglichen Gegenständen musiziert, mit Löffeln
klappert, auf Töpfe und Plastikkanister klopft oder in die Hände
klatscht. Zwei Beispiele dieser rudimentären Art Musik zu machen,
sind auf der neuen Platte zu hören.
Rumänien
ist ein sehr armes Land. Seitdem die Taraf de Haidouks in die Welt
gezogen sind, können die Musiker und ihre Familien von den Einnahmen
aus Konzerten und Plattenverkäufen leben, wobei einzelne Bandmitglieder
einen großen Familienverband ernähren müssen. In Clejani selber
macht man sich derzeit, so Michael Winter, auch daran, den Nachwuchs
musikalisch auszubilden. So lernen die Kinder, Instrumente zu spielen.
Auch die Mädchen, was bislang in der stark patriarchalisch geprägten
Gesellschaft nicht selbsverständlich war. Da spiele jetzt eine das
Cymbal, die andere lerne Akkordeon und auch die Tochter des Akkordeonisten
Ionitsa übe sich an der Geige und auf dem Piano. "Daß sich
hier einiges verändert hat, liegt auch daran, daß die Musiker auf
Tournee sind", erklärt Michel Winter. "Auf Tour sehen
sie eben, daß es auf der ganzen Welt auch Musikerinnen gibt."
– "Daß das also geht", fügt er lächelnd hinzu.
Winter
und Karo haben vor drei Jahren bereits eine Tournee für eine Kindergruppe
der Tarafs organisiert, im Jahre 2000 soll ein großes Projekt mit
Nachwuchsmusikern in Paris folgen. Zuerst aber ist im nächsten Jahr
eine umfangreiche Tour durch die USA angesagt. Nach Deutschland
kommen Taraf de Haidouk übrigens dieses Jahr im November.
Diskographie:
„Musiques
de Tsiganes de Roumanie" (1991)
„Honourable
brigands, magic horses and evil eye" (1994)
„Dumbala
Dumba" (1998)
Alle drei Alben
sind bei Crammed Disc erschienen und werden
in Deutschland
von EfA, in der Schweiz von RecRec vertrieben. |