An Jugendbewegungen
teilnehmen
Das Hamburger
Independent-Label L’age d’Or wird zehn Jahre alt
Tocotronic und Die Sterne, Whirlpool Productions und Sensorama
- ob "Hamburger Schule" oder Pop-House-Electro-Produktionen,
die kleine Hamburger Plattenfirma Lado mit ihren Sub-Systemen L`Age
D`Or (Rock) und Ladomat 2000 (Electro) hat eine höchst erfreuliche
Erfolgsgeschichte hinter sich. Zum 10jährigen Bestehen porträtiert
LEESON eines seiner Lieblings-Labels.
von
Thomas Bohnet
"Fantum
und Aktionismus" der beiden Labelgründer Carol von Rautenkranz
und Pascal Fuhlbrügge standen am Anfang der Geschichte von L`Age
D`Or. Das meint jedenfalls Thorsten Weßel, einer der heutigen drei
Chefs der Firma. Thorsten, den alle nur seit seiner Jugend "Taucher"
nennen ("ich bin halt früher schon gerne gesegelt und so")
erzählt von den Anfängen. Davon, daß Mitte der Achtziger die Hamburger
Szene in "Post-Punk- und New-Wave-Traditionen darniedergelegen"
sei und neue Bands kaum eine Chance gehabt hätten. Von Rautenkranz
und Fuhlbrügge begannen als Konzertveranstalter solcher ungeliebter
Bands. Vierteljährlich gingen in der Hamburger Werkstatt ab 1986
kleine Festivals mit neuen hanseatischen Bands über die Bühne. Für
die ersten Singles wurden später eine Plattenfirma (L`Age D`Or)
und ein Verlag (Gold) gegründet. Die ersten Alben von Bands wie
Die Gants und Der Schwarze Kanal folgen. Für überregionale Aufmerksamkeit
sorgen die vom Titel her an die damals in Indie-Deutschland angesagte
Bostoner Melody-Punk-Szene angelehnte Compilation "Dies ist
Hamburg (nicht Boston)" und das erste Album einer Band, die
für das, was man später Hamburger Schule nennen sollte, ungemein
wichtig war: die Kolossale Jugend. Ungestüm und dabei so lässig
erinnerten die Core-Sounds mit den deutschen Texten von Kristof
Schreuf und seiner Band an die Fall und an Sonic Youth. Trotz massiver
guter Kritiken war die Zeit allerdings noch nicht reif für die Hamburger
Schule, was im übrigen auch Huah!, eine andere dieser Vorläufer-Bands,
zu spüren bekam. Den Erfolg ernteten ein paar Jahre später Gruppen
wie Blumfeld, in deren Reihen neben Sänger Jochen Distelmeyer auch
zwei Musiker des Schwarzen Kanals waren sowie Die Sterne und Tocotronic.
Bandwurmnamen
und andere Liebhaber-Bands
Bei
L`Age D`Or tummelten sich zu Anfang Liebhaber-Bands wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs
oder die beiden inzwischen leider aufgelösten Combos We Smile und
Hallelujah Ding Dong Happy Happy. Mit der Essener Kultband Die Regierung,
der Gruppe um Tilman Rossmy, und der Gelsenkirchenern Carnival Of
Souls kamen auch Bands aus anderen Städten als aus Hamburg zum Zuge,
mit Mastino präsentierte man zudem eine der ersten deutschen HipHop-Crossover-Bands.
Anfang der neunziger Jahre schließt L`Age D`Or mit der Polydor und
deren "Wunderknaben" Tim Renner (heute Chef seiner eigenen
Firma "Motor Music") einen Label-Vertrag ab, der Lado
finanziell absichert und dem major Zugriff auf Bands mit Crossover-Potential
Richtung breiterer Käuferschichten bringt. In dieser Zeit erscheint
1993 die erste Sterne-Single mit dem schönen Titel "Fickt das
System!", dem ein Jahr später die ersten Songs des jungen,
dynamischen Slacker-Trios Tocotronic folgen. Songs wie "Ich
möchte Teil einer Jugendbewegung sein" oder "Meine Freundin
und ihr Freund" schlagen ziemlich ein, ebenso das großartige
Debütalbum "Digital ist besser". Der Tocotronic-Hype kulminiert,
als im Jahr 1997 das vierte Album der Drei bis auf Platz 13 der
deutschen Albumcharts hochklettert. Tocotronic habe Lado in den
letzten zwei Jahren ganz erheblich finanziert, erzählt Taucher,
der sogar soweit geht zu sagen, daß die Tocos die Firma vor der
Pleite bewahrt haben. Denn vorher hatte man echte Krisenzeiten erlebt.
"Wir hatten ein, zwei Jahre lang Platten herausgebracht, die
einfach nicht so funktioniert haben", sagt Taucher. "Platten,
die zwar großen Kredit bekommen haben wie "Scheiß Kapitalismus"
von Huah!, die aber dann nicht verkauft werden konnten, weil die
Vertriebe schlecht gearbeitet haben, bis wir zu Rough Trade gekommen
sind".
Als Konsequenz
aus diesen Krisenzeiten, hat man sich ein neues Konzept überlegt,
das auf die heutige Dreiteilung der Firma Lado GmbH hinweist: Grundsätzlich
nimmt man eine Band in den eigenen Gold Verlag auf, der dann entweder
auf einem der beiden Labels L`Age D`Or oder Ladomat 2000 seine Platten
veröffentlicht oder an einen Major weitergereicht wird, wenn das
Potential da ist. - Oder an einen anderen Indie weitergeht, wie
im Falle von Tilman Rossmy, der jetzt bei Glitterhouse ist oder
der phantastischen Countryband Fink, die bei XXS veröffentlicht.
"Nur so konnten wir langfristig mit Tocotronic und den Sternen
so arbeiten, wie wir das gemacht haben", erzählt Taucher. Bei
diesen beiden Bands, die im Falle von Tocotronic beim Major Motor,
im Falle von Die Sterne bei Sony veröffentlichen, bleiben Management
und Produktion, Marketing und Merchandising, Mail-Order, Vinylveröffentlichungen
und Teile der Promotion in der Hand von Lado. "Wir haben mit
Tocotronic zum Beispiel einen Künstlervertrag und reichen die Platte
weiter an Motor. Motor ist dann der Partner von uns, natürlich auch
der von Tocotronic, aber geschäftlich von uns."
War Lado zu Anfang noch in der WG eines der Chefs untergebracht,
so hat man inzwischen ein eigenes Büro am Rande des Hamburger Schanzenviertels.
Zehn MitarbeiterInnen hat die Firma heute, deren drei Ressorts von
den Lado-Besitzern geleitet werden. Während Taucher dem Verlag vorsteht,
sind die beiden anderen Mitinhaber der Firma, Carol von Rautenkranz
und Charlotte Goltermann, für die Labels zuständig. Ersterer betreut
L`Age D`Or während die eigentlich aus München kommende Charlotte
Ladomat 2000 unter ihren Fittichen hat.
Willkommen
in Electronic City
Das auf Elektronik,
House und Dancefloor spezialisierte Sub-Label Ladomat 2000 hat durch
exzellente Veröffentlichungen wesentlich mit zum guten Ruf von Lado
beigetragen. Gestartet wurde Ladomat 2000 vor vier Jahren mit der
ersten Maxi-Single des Projektes Bungalow. Hinter Bungalow verbirgt
sich Mense Reents, ehedem Musiker bei der inzwischen aufgelösten
Lado-Band Das Neue Brot, heute zudem bei der jüngsten Lado-Hit-Band,
dem Trio Stella aktiv. Später bringt Charlotte, die vom Münchner
Label Sub Up/Disko B nach Hamburg gekommen ist, das Kölner Trio
Whirlpool Production unter Vertrag, deren Debüt "Brian De Palma"
das erste Ladomat-Album wird. Das Darmstädter Duo Sensorama, Netto
Houz und die großartigen Egoexpress veröffentlichen ebenso auf Lado-mat
2000 wie der Kölner Techno-Guru Mike Ink, die skurrilen Kraut-Technoiden
Workshop, die Münchner Milch, Subtle Tease oder der blutjunge Akkordeon-House-Produ-zent
Arj Snoek. Nach einigen Maxis hat jüngst die Techno-Supergroup Forever
Sweet ihr erstes Album bei Ladomat veröffentlicht.
Für Wirbel im
Ausland sorgen vor allem Whirlpool Productions, das Kölner Trio
des SPEX-Redakteurs Hans Nieswandt, am Bodensee in Friedrichshafen
aufgewachsen, und inzwischen via Hamburg in Köln gelandet. Whirlpools
Hitsingle "From disco to disco" enterte 1997 sogar die
italienischen Single-Charts und schoß dort so ganz nebenbei U 2
von Platz 1 ab.
Forever Sweet,
Netto Houze und das Debütalbum des jungen Turner sind die neuesten
Releases von Ladomat 2000, während beim "Rockpartner"
L`Age D`Or die neuesten signings zum einen die allerorten abgefeierten
Stella, die von den Tocotronic entdeckten Provinzbuben von Jonas
sowie die hier in LEESON schon mehrfach abgefeierten Schweizer Aeronauten
sind.
Hoch leben
die Krebse!
1999 sollen
sowohl von Jonas und Stella als auch von den beiden erfolgreichen
Flaggschiffen Die Sterne und Tocotronic neue Alben erscheinen. Eine
Gruppe, die bislang noch, obwohl schon lange dabei, ein Schattendasein
in der Hamburger Szene geführt hat, sind Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs.
Es scheint, als hätten OZSWMK vom Hoch der Hamburger Schule in den
vergangenen Jahren nicht profitiert. "Das lag wohl auch mit
daran", so Sänger Carsten Hellberg beim Gespräch im Münchner
Baader Café, "daß diese Hamburger Sache keine stilistische
Eindeutigkeit hatte, abgesehen davon, daß es hier um Rockmusik mit
deutschen Texten ging, die aber anders als BAP oder Westernhagen
klingt. Für uns kam damals nicht in Frage, überhaupt deutsche Texte
zu machen und zu der Zeit als das Hamburg-Ding seine Blüte hatte,
so um 1994, hatten wir uns sogar entschlossen nicht mehr zu singen
sondern Instrumentalmusik zu machen und da fielen wir dann aus dem
Raster raus."
Mit der neuen,
sehr schönen Platte "Leichte Teile kleiner Rock" sollte
man jedoch auch von einem größeren Publikum wahrgenommen werden,
klingt die Platte doch wie das fehlende Glied zwischen Blumfed und
den Sternen und scheinen die "Suppenwürfel" den Groove
gefunden zu haben. "Stimmt, Groove hat`s bei uns früher nicht
gegeben", sagt Carsten, "das hat sich über die Jahre so
entwickelt und hängt auch mit unserem Schlagzeuger Harry zusammen.
Der kommt aus einer sehr spielerischen Ecke und hatte früher seine
Technik, sein Können, so eingesetzt, viel zu spielen. Inzwischen
legt er mehr Kraft in einzelne Sachen rein. Das hängt aber vielleicht
auch damit zusammen, daß wir Anfang der Neunziger auch viel HipHop
gehört haben. Da bekommst du plötzlich auch eine andere Vorstellung
was ein Schlagzeug sein kann."
Wie kam man denn bei der Bandgründung 1986 auf diesen seltsamen
Namen? "Das war eine klassische Notsituation, wie das ja häufig
ist", erzählt Carsten, "wir brauchten schnell einen Bandnamen,
es gab einen Auftritt, aber noch keinen Namen." Bei einem Brainstorming
sei man auf diesen Namen gekommen. "Der Name klang so absurd,
überhaupt nicht wie ein Bandname, was unserem Selbstverständnis
sehr entgegenkam". Wollte man doch auch keine normale Band
sein. "Später gab`s dann schon Momente, wo man sich an den
Kopf gefaßt hat und gedacht hat: Scheiße, warum haben wir denn den
Namen genommen. Aber ansonsten ist das heute genauso zu einem Namen
geworden wie zum Beispiel The The."
Wie nennt Ihr
Euch denn selber? "Wir sagen untereinander eigentlich immer
"Suppenwürfel", bei Lado hießen wir ne Zeitlang "Suwü"
oder eben OZSWKM. In Berlin nannte man uns aber seltsamerweise schon
öfter "Die Krebse".
Ungewöhnlich
scheint auf den ersten Blick, daß mit den Schaffhausener Aeronauten
eine Schweizer Band auf dem Hamburger Label ist. "Die Aeornauten
hatten schon länger eine Affinität zu Hamburg", sagt Taucher,
"schon oft hier gespielt und auch Freundschaften mit anderen
Hamburger Bands geschlossen." Parallell ist Aeronauten-Manager
Michael Bugmann nach Hamburg gezogen und hat dort den Deal klargemacht.
"Eigentlich ist es auch Wurst, ob die nun aus der Schweiz kommen
oder wie Jonas aus Bad Bentheim", sagt Taucher. "Wir wollten
uns ja auch nicht nur auf nen Kreis von Hamburger Muskern verlassen."
Wie die jüngste
Tour gezeigt hat, ziehen die Aeronauten endlich auch in Deutschland
eine größere Menge Fans an. Sowohl im K 9 in Konstanz als auch im
Atomic Café in München sahen zum Beispiel jeweils gut zweihundert
ZuschauerInnen die ziemlich unterschätzte sympathische Band aus
Helvetien.
http://www.snafu.de/~lado/Rest/htmls/unithtml/lage.htm
DISKOGRAPHIE
Vertrieb in
Deutschland: Rough Trade
Vertrieb in der Schweiz: Musikvertrieb
1. L`Age D`Or
(nur LPs/CDs)
Die Aeronauten:
1:72 (1993)
Die Aeronauten: Gegen Alles (1994)
Die Aeronauten: Jetzt Musik! (1997)
Die Aeronauten: Honolulu (1998)
Carnival Of
Souls: dito (1991)
Carnival Of Souls: Melodie und Rhythmus (1992)
Carnival Of Souls: Emozional (1993)
Das Neue Brot:
Arbeit (1993)
Der Schwarze
Kanal: Der endgültige Abschied des Erdgasröhrengeschäftes! (1988)
Die-Gants: Fishing
for compliments (1988)
Die Regierung:
Supermüll (1984)
Die Regierung: So allein (1990)
Die Regierung: So drauf (1992)
Die Regierung: Unten (1994)
Die Sterne:
Wichtig (1993)
Die Sterne: In Echt (1994)
Die Sterne: Unter Geiern (1995)
Die Sterne: Posen (1995)
Die Sterne: Themenläden und alle Remixe (1997)
Die Sterne: Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die interessanten
(1997)
Guz: In Guz
we trust (1997)
Guz: Starquick (1998)
Hallelujah Ding
Dong Happy Happy!: Hi! (1991)
Hallelujah Ding Dong Happy Happy!: Mikrokosmos (1992)
Huah!: Was machen
Huah! jetzt?: (1990)
Huah!: Scheiß Kapitalismus (1992)
Jonas: September
Sex Relationship (1998)
Schorsch Kamerun:
Warum Ändern schlief (1996)
Schorsch Kamerun: Now: Seximage (1997)
Kissin Cousins:
Halbtotsicher (1990)
Kissin Cousins: Lautermuschel (19919
Kissin Cousins: 3 (1992)
Kolossale Jugend:
Heile Heile Boches (1989)
Kolossale Jugend: Leopard II (1990)
Mastino: Brüder
und Schwestern (1993)
Mastino: Heimatfront (1995)
Milch: 500 (1994)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs:
Für zuhause (1991)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Absolut nicht frei (1992)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Keinseier (1994)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs:
Leichter Teile
- Kleiner Rock (1998)
Hans Platzgumer:
Aura Anthropica (1997)
Tilmann Rossmy:
Willkommen zuhause (1996)
Tilman Rossmy: Selbst (1997)
Tilman Rossmy: Passagier (Glitterhouse, 1998)
Stella: ExtraLife
(1998)
Tocotronic:
Digital ist besser (1995)
Tocotronic: Nach der verlorenen Zeit (1995)
Tocotronic: Wir kommen um uns zu beschweren (1996)
Tocotronic: Es ist egal aber (1997)
Arne Zank solo:
Die Mehrheit will das nicht hören, Arne! (Cassette, 1996)
We Smile: Say
hello (1991)
We Smile: Für die anderen (1992)
Workshop: Talent
(1994)
Sampler:
Vorwärts (MC, 1987)
Dies ist Hamburg (nicht Boston) (1989)
Billiger als Turnschuhe (1992)
L`Amigamore (1995)
Camp Imperial (1996)
Bessere Zeiten: Klingt gut (1996)
Musik für junge Leute (1997)
Soundtrack - Der Strand von Trouville (Thomas Wenzel/Frank Will,
1998)
2. Ladomat
2000
(nur LPs/CDs)
ARJ SNOEK: Fruit
Of The Loop (1997)
ERIC D.CLARK:
Fur Dancefloor (1998)
EGO EXPRESS:
Foxy (1996)
FOREVER SWEET:
Geben und Nehmen (1998)
MILCH: 505 (1994)
NETTO HOUZ:
Room 7102 (1998)
SENSORAMA: Welcome
Insel (1995)
SENSORAMA-Diverse: Zu Gast auf der Welcome Insel (1996)
SENSORAMA: Love (1998)
SUBTLE TEASE:
The Goings Of An Offer (1997)
TURNER: Lukin
Orgel (1998)
WHIRLPOOL PRODUCTIONS:
Brian de Palma (1995)
WHIRLPOOL PRODUCTIONS: Dense Music (1996)
WHIRLPOOL PRODUCTIONS: ??? (1998)
WORKSHOP: Talent
(1994)
WORKSHOP: Meiguiweisheng Xiang (1997)
COMPILATIONS:
DIVERSE: Compact
Disc Volume One (1996)
DIVERSE: Compact Disc Volume Two (1997)
DIVERSE: Kollektion Grün (1998)
DIVERSE: Compact Disc Volume Three (1998) |