Nr. 9 / Dezember 1998

















Gästebuch


An Jugendbewegungen teilnehmen

Das Hamburger Independent-Label L’age d’Or wird zehn Jahre alt Tocotronic und Die Sterne, Whirlpool Productions und Sensorama - ob "Hamburger Schule" oder Pop-House-Electro-Produktionen, die kleine Hamburger Plattenfirma Lado mit ihren Sub-Systemen L`Age D`Or (Rock) und Ladomat 2000 (Electro) hat eine höchst erfreuliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Zum 10jährigen Bestehen porträtiert LEESON eines seiner Lieblings-Labels.

von Thomas Bohnet

"Fantum und Aktionismus" der beiden Labelgründer Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge standen am Anfang der Geschichte von L`Age D`Or. Das meint jedenfalls Thorsten Weßel, einer der heutigen drei Chefs der Firma. Thorsten, den alle nur seit seiner Jugend "Taucher" nennen ("ich bin halt früher schon gerne gesegelt und so") erzählt von den Anfängen. Davon, daß Mitte der Achtziger die Hamburger Szene in "Post-Punk- und New-Wave-Traditionen darniedergelegen" sei und neue Bands kaum eine Chance gehabt hätten. Von Rautenkranz und Fuhlbrügge begannen als Konzertveranstalter solcher ungeliebter Bands. Vierteljährlich gingen in der Hamburger Werkstatt ab 1986 kleine Festivals mit neuen hanseatischen Bands über die Bühne. Für die ersten Singles wurden später eine Plattenfirma (L`Age D`Or) und ein Verlag (Gold) gegründet. Die ersten Alben von Bands wie Die Gants und Der Schwarze Kanal folgen. Für überregionale Aufmerksamkeit sorgen die vom Titel her an die damals in Indie-Deutschland angesagte Bostoner Melody-Punk-Szene angelehnte Compilation "Dies ist Hamburg (nicht Boston)" und das erste Album einer Band, die für das, was man später Hamburger Schule nennen sollte, ungemein wichtig war: die Kolossale Jugend. Ungestüm und dabei so lässig erinnerten die Core-Sounds mit den deutschen Texten von Kristof Schreuf und seiner Band an die Fall und an Sonic Youth. Trotz massiver guter Kritiken war die Zeit allerdings noch nicht reif für die Hamburger Schule, was im übrigen auch Huah!, eine andere dieser Vorläufer-Bands, zu spüren bekam. Den Erfolg ernteten ein paar Jahre später Gruppen wie Blumfeld, in deren Reihen neben Sänger Jochen Distelmeyer auch zwei Musiker des Schwarzen Kanals waren sowie Die Sterne und Tocotronic.

Bandwurmnamen und andere Liebhaber-Bands

ladosin.jpg (29792 Byte)Bei L`Age D`Or tummelten sich zu Anfang Liebhaber-Bands wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs oder die beiden inzwischen leider aufgelösten Combos We Smile und Hallelujah Ding Dong Happy Happy. Mit der Essener Kultband Die Regierung, der Gruppe um Tilman Rossmy, und der Gelsenkirchenern Carnival Of Souls kamen auch Bands aus anderen Städten als aus Hamburg zum Zuge, mit Mastino präsentierte man zudem eine der ersten deutschen HipHop-Crossover-Bands.
Anfang der neunziger Jahre schließt L`Age D`Or mit der Polydor und deren "Wunderknaben" Tim Renner (heute Chef seiner eigenen Firma "Motor Music") einen Label-Vertrag ab, der Lado finanziell absichert und dem major Zugriff auf Bands mit Crossover-Potential Richtung breiterer Käuferschichten bringt. In dieser Zeit erscheint 1993 die erste Sterne-Single mit dem schönen Titel "Fickt das System!", dem ein Jahr später die ersten Songs des jungen, dynamischen Slacker-Trios Tocotronic folgen. Songs wie "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" oder "Meine Freundin und ihr Freund" schlagen ziemlich ein, ebenso das großartige Debütalbum "Digital ist besser". Der Tocotronic-Hype kulminiert, als im Jahr 1997 das vierte Album der Drei bis auf Platz 13 der deutschen Albumcharts hochklettert. Tocotronic habe Lado in den letzten zwei Jahren ganz erheblich finanziert, erzählt Taucher, der sogar soweit geht zu sagen, daß die Tocos die Firma vor der Pleite bewahrt haben. Denn vorher hatte man echte Krisenzeiten erlebt. "Wir hatten ein, zwei Jahre lang Platten herausgebracht, die einfach nicht so funktioniert haben", sagt Taucher. "Platten, die zwar großen Kredit bekommen haben wie "Scheiß Kapitalismus" von Huah!, die aber dann nicht verkauft werden konnten, weil die Vertriebe schlecht gearbeitet haben, bis wir zu Rough Trade gekommen sind".

Als Konsequenz aus diesen Krisenzeiten, hat man sich ein neues Konzept überlegt, das auf die heutige Dreiteilung der Firma Lado GmbH hinweist: Grundsätzlich nimmt man eine Band in den eigenen Gold Verlag auf, der dann entweder auf einem der beiden Labels L`Age D`Or oder Ladomat 2000 seine Platten veröffentlicht oder an einen Major weitergereicht wird, wenn das Potential da ist. - Oder an einen anderen Indie weitergeht, wie im Falle von Tilman Rossmy, der jetzt bei Glitterhouse ist oder der phantastischen Countryband Fink, die bei XXS veröffentlicht. "Nur so konnten wir langfristig mit Tocotronic und den Sternen so arbeiten, wie wir das gemacht haben", erzählt Taucher. Bei diesen beiden Bands, die im Falle von Tocotronic beim Major Motor, im Falle von Die Sterne bei Sony veröffentlichen, bleiben Management und Produktion, Marketing und Merchandising, Mail-Order, Vinylveröffentlichungen und Teile der Promotion in der Hand von Lado. "Wir haben mit Tocotronic zum Beispiel einen Künstlervertrag und reichen die Platte weiter an Motor. Motor ist dann der Partner von uns, natürlich auch der von Tocotronic, aber geschäftlich von uns."
War Lado zu Anfang noch in der WG eines der Chefs untergebracht, so hat man inzwischen ein eigenes Büro am Rande des Hamburger Schanzenviertels. Zehn MitarbeiterInnen hat die Firma heute, deren drei Ressorts von den Lado-Besitzern geleitet werden. Während Taucher dem Verlag vorsteht, sind die beiden anderen Mitinhaber der Firma, Carol von Rautenkranz und Charlotte Goltermann, für die Labels zuständig. Ersterer betreut L`Age D`Or während die eigentlich aus München kommende Charlotte Ladomat 2000 unter ihren Fittichen hat.

Willkommen in Electronic City

Das auf Elektronik, House und Dancefloor spezialisierte Sub-Label Ladomat 2000 hat durch exzellente Veröffentlichungen wesentlich mit zum guten Ruf von Lado beigetragen. Gestartet wurde Ladomat 2000 vor vier Jahren mit der ersten Maxi-Single des Projektes Bungalow. Hinter Bungalow verbirgt sich Mense Reents, ehedem Musiker bei der inzwischen aufgelösten Lado-Band Das Neue Brot, heute zudem bei der jüngsten Lado-Hit-Band, dem Trio Stella aktiv. Später bringt Charlotte, die vom Münchner Label Sub Up/Disko B nach Hamburg gekommen ist, das Kölner Trio Whirlpool Production unter Vertrag, deren Debüt "Brian De Palma" das erste Ladomat-Album wird. Das Darmstädter Duo Sensorama, Netto Houz und die großartigen Egoexpress veröffentlichen ebenso auf Lado-mat 2000 wie der Kölner Techno-Guru Mike Ink, die skurrilen Kraut-Technoiden Workshop, die Münchner Milch, Subtle Tease oder der blutjunge Akkordeon-House-Produ-zent Arj Snoek. Nach einigen Maxis hat jüngst die Techno-Supergroup Forever Sweet ihr erstes Album bei Ladomat veröffentlicht.

Für Wirbel im Ausland sorgen vor allem Whirlpool Productions, das Kölner Trio des SPEX-Redakteurs Hans Nieswandt, am Bodensee in Friedrichshafen aufgewachsen, und inzwischen via Hamburg in Köln gelandet. Whirlpools Hitsingle "From disco to disco" enterte 1997 sogar die italienischen Single-Charts und schoß dort so ganz nebenbei U 2 von Platz 1 ab.

Forever Sweet, Netto Houze und das Debütalbum des jungen Turner sind die neuesten Releases von Ladomat 2000, während beim "Rockpartner" L`Age D`Or die neuesten signings zum einen die allerorten abgefeierten Stella, die von den Tocotronic entdeckten Provinzbuben von Jonas sowie die hier in LEESON schon mehrfach abgefeierten Schweizer Aeronauten sind.

Hoch leben die Krebse!

1999 sollen sowohl von Jonas und Stella als auch von den beiden erfolgreichen Flaggschiffen Die Sterne und Tocotronic neue Alben erscheinen. Eine Gruppe, die bislang noch, obwohl schon lange dabei, ein Schattendasein in der Hamburger Szene geführt hat, sind Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Es scheint, als hätten OZSWMK vom Hoch der Hamburger Schule in den vergangenen Jahren nicht profitiert. "Das lag wohl auch mit daran", so Sänger Carsten Hellberg beim Gespräch im Münchner Baader Café, "daß diese Hamburger Sache keine stilistische Eindeutigkeit hatte, abgesehen davon, daß es hier um Rockmusik mit deutschen Texten ging, die aber anders als BAP oder Westernhagen klingt. Für uns kam damals nicht in Frage, überhaupt deutsche Texte zu machen und zu der Zeit als das Hamburg-Ding seine Blüte hatte, so um 1994, hatten wir uns sogar entschlossen nicht mehr zu singen sondern Instrumentalmusik zu machen und da fielen wir dann aus dem Raster raus."

Mit der neuen, sehr schönen Platte "Leichte Teile kleiner Rock" sollte man jedoch auch von einem größeren Publikum wahrgenommen werden, klingt die Platte doch wie das fehlende Glied zwischen Blumfed und den Sternen und scheinen die "Suppenwürfel" den Groove gefunden zu haben. "Stimmt, Groove hat`s bei uns früher nicht gegeben", sagt Carsten, "das hat sich über die Jahre so entwickelt und hängt auch mit unserem Schlagzeuger Harry zusammen. Der kommt aus einer sehr spielerischen Ecke und hatte früher seine Technik, sein Können, so eingesetzt, viel zu spielen. Inzwischen legt er mehr Kraft in einzelne Sachen rein. Das hängt aber vielleicht auch damit zusammen, daß wir Anfang der Neunziger auch viel HipHop gehört haben. Da bekommst du plötzlich auch eine andere Vorstellung was ein Schlagzeug sein kann."
Wie kam man denn bei der Bandgründung 1986 auf diesen seltsamen Namen? "Das war eine klassische Notsituation, wie das ja häufig ist", erzählt Carsten, "wir brauchten schnell einen Bandnamen, es gab einen Auftritt, aber noch keinen Namen." Bei einem Brainstorming sei man auf diesen Namen gekommen. "Der Name klang so absurd, überhaupt nicht wie ein Bandname, was unserem Selbstverständnis sehr entgegenkam". Wollte man doch auch keine normale Band sein. "Später gab`s dann schon Momente, wo man sich an den Kopf gefaßt hat und gedacht hat: Scheiße, warum haben wir denn den Namen genommen. Aber ansonsten ist das heute genauso zu einem Namen geworden wie zum Beispiel The The."

Wie nennt Ihr Euch denn selber? "Wir sagen untereinander eigentlich immer "Suppenwürfel", bei Lado hießen wir ne Zeitlang "Suwü" oder eben OZSWKM. In Berlin nannte man uns aber seltsamerweise schon öfter "Die Krebse".

Ungewöhnlich scheint auf den ersten Blick, daß mit den Schaffhausener Aeronauten eine Schweizer Band auf dem Hamburger Label ist. "Die Aeornauten hatten schon länger eine Affinität zu Hamburg", sagt Taucher, "schon oft hier gespielt und auch Freundschaften mit anderen Hamburger Bands geschlossen." Parallell ist Aeronauten-Manager Michael Bugmann nach Hamburg gezogen und hat dort den Deal klargemacht. "Eigentlich ist es auch Wurst, ob die nun aus der Schweiz kommen oder wie Jonas aus Bad Bentheim", sagt Taucher. "Wir wollten uns ja auch nicht nur auf nen Kreis von Hamburger Muskern verlassen."

Wie die jüngste Tour gezeigt hat, ziehen die Aeronauten endlich auch in Deutschland eine größere Menge Fans an. Sowohl im K 9 in Konstanz als auch im Atomic Café in München sahen zum Beispiel jeweils gut zweihundert ZuschauerInnen die ziemlich unterschätzte sympathische Band aus Helvetien.

http://www.snafu.de/~lado/Rest/htmls/unithtml/lage.htm
 

DISKOGRAPHIE

Vertrieb in Deutschland: Rough Trade
Vertrieb in der Schweiz: Musikvertrieb

1. L`Age D`Or

(nur LPs/CDs)

Die Aeronauten: 1:72 (1993)
Die Aeronauten: Gegen Alles (1994)
Die Aeronauten: Jetzt Musik! (1997)
Die Aeronauten: Honolulu (1998)

Carnival Of Souls: dito (1991)
Carnival Of Souls: Melodie und Rhythmus (1992)
Carnival Of Souls: Emozional (1993)

Das Neue Brot: Arbeit (1993)

Der Schwarze Kanal: Der endgültige Abschied des Erdgasröhrengeschäftes! (1988)

Die-Gants: Fishing for compliments (1988)

Die Regierung: Supermüll (1984)
Die Regierung: So allein (1990)
Die Regierung: So drauf (1992)
Die Regierung: Unten (1994)

Die Sterne: Wichtig (1993)
Die Sterne: In Echt (1994)
Die Sterne: Unter Geiern (1995)
Die Sterne: Posen (1995)
Die Sterne: Themenläden und alle Remixe (1997)
Die Sterne: Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die interessanten (1997)

Guz: In Guz we trust (1997)
Guz: Starquick (1998)

Hallelujah Ding Dong Happy Happy!: Hi! (1991)
Hallelujah Ding Dong Happy Happy!: Mikrokosmos (1992)

Huah!: Was machen Huah! jetzt?: (1990)
Huah!: Scheiß Kapitalismus (1992)

Jonas: September Sex Relationship (1998)

Schorsch Kamerun: Warum Ändern schlief (1996)
Schorsch Kamerun: Now: Seximage (1997)

Kissin Cousins: Halbtotsicher (1990)
Kissin Cousins: Lautermuschel (19919
Kissin Cousins: 3 (1992)

Kolossale Jugend: Heile Heile Boches (1989)
Kolossale Jugend: Leopard II (1990)

Mastino: Brüder und Schwestern (1993)
Mastino: Heimatfront (1995)

Milch: 500 (1994)

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Für zuhause (1991)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Absolut nicht frei (1992)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: Keinseier (1994)
Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs:

Leichter Teile - Kleiner Rock (1998)

Hans Platzgumer: Aura Anthropica (1997)

Tilmann Rossmy: Willkommen zuhause (1996)
Tilman Rossmy: Selbst (1997)
Tilman Rossmy: Passagier (Glitterhouse, 1998)

Stella: ExtraLife (1998)

Tocotronic: Digital ist besser (1995)
Tocotronic: Nach der verlorenen Zeit (1995)
Tocotronic: Wir kommen um uns zu beschweren (1996)
Tocotronic: Es ist egal aber (1997)

Arne Zank solo: Die Mehrheit will das nicht hören, Arne! (Cassette, 1996)

We Smile: Say hello (1991)
We Smile: Für die anderen (1992)

Workshop: Talent (1994)

Sampler:
Vorwärts (MC, 1987)
Dies ist Hamburg (nicht Boston) (1989)
Billiger als Turnschuhe (1992)
L`Amigamore (1995)
Camp Imperial (1996)
Bessere Zeiten: Klingt gut (1996)
Musik für junge Leute (1997)
Soundtrack - Der Strand von Trouville (Thomas Wenzel/Frank Will, 1998)

2. Ladomat 2000

(nur LPs/CDs)

ARJ SNOEK: Fruit Of The Loop (1997)

ERIC D.CLARK: Fur Dancefloor (1998)

EGO EXPRESS: Foxy (1996)

FOREVER SWEET: Geben und Nehmen (1998)

MILCH: 505 (1994)

NETTO HOUZ: Room 7102 (1998)

SENSORAMA: Welcome Insel (1995)
SENSORAMA-Diverse: Zu Gast auf der Welcome Insel (1996)
SENSORAMA: Love (1998)

SUBTLE TEASE: The Goings Of An Offer (1997)

TURNER: Lukin Orgel (1998)

WHIRLPOOL PRODUCTIONS: Brian de Palma (1995)
WHIRLPOOL PRODUCTIONS: Dense Music (1996)
WHIRLPOOL PRODUCTIONS: ??? (1998)

WORKSHOP: Talent (1994)
WORKSHOP: Meiguiweisheng Xiang (1997)

COMPILATIONS:

DIVERSE: Compact Disc Volume One (1996)
DIVERSE: Compact Disc Volume Two (1997)
DIVERSE: Kollektion Grün (1998)
DIVERSE: Compact Disc Volume Three (1998)

Letzte Änderungen: 24.08.2006
Produziert von
Peter Pötsch