Bücher
Thomas Meinecke
Tomboy
[Suhrkamp, 252 Seiten]
[tb] Nach dem
wirklich großartigen Roman "The Church Of John F.Kennedy"
nun also das, so sagt man im "Musik-Biz", "schwere
zweite Album", respektive Buch des Thomas Meinecke, den Pop-Fans
ansonsten vielleicht als einen der Fünf der wunderbaren FSK (siehe
auch die Plattenkritik von deren neuestem Album "Tel Aviv"
auf den Plattenseiten) kennen. "The Church..." machte
mir großes Ver-gnügen zu lesen, bei "Tomboy", mußte ich
mich dagegen über weite Strecken eher durchquälen. Was wohl auch
am Thema liegen mag. All die Diskussionen um "gender troubles",
um "Geschlechterverhältnisse", Polaritäten & Co. finde
ich persönlich so spannend nicht. "Not my cup of tea"
würde Kollege Hablizel sagen. Sei’s drum, faszinierend ist
wieder einmal, wie der Autor hier alles miteinander vermischt, ohne
daß das in blanken Eklektizismus ausartet, und dabei von leichter
Hand Michael Foucault mit Courtney Love zusammenbringt, die Krautrock-Combo
Faust mit Mark Twain, das legendäre Sozialistische Patientenkollektiv
(SPK) mit House Music, "urinale Segregation" mit der Geschichte
der BASF. Das ist mitunter recht vergnüglich und auch spannend zu
lesen, gelegentlich dann aber auch, wie gesagt, etwas zähflüssig.
In "Tomboy"
(der Term bezeichnet ein Mädchen, das sich gegen die Rollenklischees
wie ein Junge benimmt) geht es um die deutsch-amerikanische Studentin
Vivian Atkinson, die sich in ihrer Magisterarbeit u.a. mit der Feministin
Judith Butler beschäfigt und deren bizarren Freundeskreis, in dem
sich u.a. ein feministischer Arzthelfer (Männer, die sich selber
als Feminist bezeichnen, fand ich schon immer unheimlich), eine
bisexuelle Tennispielerin, eine feministische Doktorandin und deren
"phallische Verlobte" Angela (einst Angelo) mit Hang zum
Katholizismus tummeln. Mal mehr, mal weniger munter entwickelt sich
hier ein Reigen rund um die angesprochenen Gender-Themenkreise und
auch um deutlich Profaneres wie die alten Fragen: wer mit wem und
wenn nicht, warum?
Joachim Christian
Huth (Hg.)
Das Lindenstraßen-Universum
Band 1: Alle Geschichten
Band 2: Daten, Fakten, Hintergründe
(VGS-Verlag, DM 39,80 u. DM 29,80)
[tb] Ich bekenne,
daß ich süchtig bin! Als Seher der ersten Stunde habe ich bis heute
keine 10 Sendungen der "Lindenstraße" verpaßt und wo andere
Erstseher längst ausgestiegen sind, bleibe ich immer noch dabei.
Mehrmals haben wir in LEESON geklagt, daß es keinen adäquaten Nachfolger
für das legendäre und inzwischen schon längst vergriffene Lindenstraßen-Buch
von Martin Keß aus dem Jahre 1989 gibt: Nach 200 Sendungen gab`s
dort schöne Porträts und einen Episodenführer unserer Leib- und
Magenserie. Nach eher mißglückten späteren Buch-Versuchen liegt
nun endlich ein zufriedenstellendes zweibändiges Werk vor. Während
der erste Band ein ausführlicher Episode Guide ist, in dem alle
682 Folgen bis Weihnachten 1998 mit kurzen Inhaltsangaben aufgeführt
werden, kommt der zweite Band als gut gemachtes Lexikon rund um
die 1985 gestartete Serie daher. Von A wie Abel, Inge (= Dr. Eva-Maria
Sperling) bis Z wie "Zorro" Pichelsteiner werden hier
die Schauspieler und Serienfiguren mit kurzer Serien-Biografie vorgestellt.
Wobei auch kleine Nebenfiguren wie der Rosenverkäufer Zeki Kurtalan
oder der Fascho Hilmar Eggers ("Herrchen" von "Hermann
dem Zwoten") nicht vergessen werden. Von A wie Abschiebung
oder Ausländerfeindlichkeit bis Z wie Zölibat werden aber auch die
Themenkomplex, Problemkreise, die in der Serie bislang vorkamen,
angerissen. Abgerundet wird dieses für alte und neue Fans unverzichtbare
Gesamtpaket durch ein Poster (auch hier knüpft man an das oben erwähnte
erste Buch an), das Klarheit ins Beziehungsgeflecht der Lindensträßler
bringt. Tolle Sache!
Michel Houellebecq
Les particules élémentaires
[Flammarion, 394 Seiten, 105 FF]
Michel Houellebecq
Extension du domaine de la lutte
[Editions J’ai lu, 156 Seiten, 20 FF]
[mz] In Frankreich
ist der 1958 geborene Michel Houellebecq momentan in aller Munde.
Grund: Sein zweiter Roman "Les particules élémentaires"
["Die Elementarteilchen"] spaltet die intellektuellen
Zirkel in Paris und führt zugleich die Bestsellerliste an. Die Literaturzeitschrift
Perpendiculaire, in deren Redaktion auch Houellebecq sitzt, schloß
ihn aus der Redaktion aus und warf ihm rechtes Gedankengut vor.
Als Konsequenz trennte sich Flammarion, der Verlag von Houellebecq,
von der ebenfalls hauseigenen Literaturzeitschrift Perpendiculaire.
Als sei das alles noch nicht genug, fühlt sich nun auch noch ein
esoterisch angehauchter Campingplatz, den Houellebecq in seinem
Roman parodiert, auf den Schlips getreten und fordert gar mit gerichtlichen
Mittel das Werk verbieten zu lassen, da Houellebecq Fiktion und
Realität vermischen würde.
Ein Blick in
das Werk selbst, läßt diesen ganzen Intellektuellenstreit zur Farce
werden. "Les particules élémentaires" ist eine negative
Utopie, eine Zukunftsvision, die zwar, wenn man so will, die Entartung
des Westens und den Verfall der Werte thematisiert (also der neuen
Rechte nahestehende Themen), ohne aber eine eindeutige Konsequenz
daraus zu ziehen. Es ist eine Satire, die sich eher unter dem Postmannschen
Credo "Wir amüsieren uns zu Tode" fassen läßt, als unter
irgendwelchen, wie auch immer gearteten Ideologien. Dem "Menschen"
ist dieses Buch gewidmet, erzählt wird es von einem Klon.
Houellebecq
entwirft ein Modell des Entweder/Oder, erzählt die Geschichte von
zwei Halbbrüdern in der "zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts".
Während der eine (Bruno) ein rein lustorientiertes Dasein führt,
widmet der andere (Michel) sein Leben der Wissenschaft, der Biologie
und Eugenik. Beide scheitern. "Les particules élémentaires"
ist die Geschichte des "okzidentalen Selbstmordes", zugleich
aber auch eine Kulturgeschichte, in der die Sixties auf die Neunziger
treffen, Charles Manson auf esoterische Selbsterfahrungswochenenden
und Swingerclubs.
Bereits Houellebecqs
Erstlingswerk "Extension de la domaine de lutte" ["Ausweitung
des Kampfgebiets"], das 1994 von Maurice Nadeau veröffentlicht
worden ist, und das in den folgenden Jahren zu einem Kultbuch avancierte,
findet im Scheitern des Protagonisten, im Angesicht der Natur, sein
Finale: "Der Eindruck der Trennung ist vollkommen; ich bin
von nun an ein Gefangener in mir selbst. Sie wird nicht stattfinden
die erhabene Fusion; das Lebensziel ist verfehlt. Es ist zwei Uhr
Nachmittags."
"Extension" erzählt von dem trostlosen Dasein eines Informatikers,
vom alltäglichen Horror, von Arbeitskollegen und Ritualen am Kaffeeautomaten,
von abendlichen Feiern, Schulterklopfereien und schlecht gerahmter
"Kunst" im Büro des Vorgesetzten, von all den Gräßlichkeiten
die die Arbeitswelt bestimmen können.
Weder "Extension"
noch die "particules élémentaires" liegen bislang auf
deutsch vor. Bleibt abzuwarten, wie die deutsche Kritik auf die
beiden Werke reagieren wird, denn vielleicht hat der ganze französischen
Intellektuellenstreit in nichts anderem seinen Ursprung als in einem
Geflecht aus verletzten Eitelkeiten und Neid. Auch dies wäre nicht
das erste Mal.
ANNETTE KILZER/STEFAN
ROGALL
Das filmische Universum von Joel u. Ethan Coen
[Schüren Presseverlag, 191 Seiten]
PETER KÖRTE/GEORG
SEESSLEN
Joel & Ethan Coen
[Dieter Bertz Verlag, 287 Seiten]
[mz] Da gibt
es jahrelang kein deutschsprachiges Werk zu den Filmen der Coen
Brüder und nun erscheinen mehr oder weniger zeitgleich zwei Bü-cher.
Eines im Bertz Verlag [Peter Körte/ Georg Seeßlen - Joel und
Ethan Coen] und eines im Schüren Presseverlag.
Beide Bücher
stellen die Filmographie, Essays zu den einzelnen Filmen ins Zentrum
und warten mit einem Gespräch anläßlich des neusten Filmes "The
Big Lebowski" auf. Grundlegend unterscheiden sich die beiden
Bücher in ihrer Herangehensweise. Körte und Seeßlen gehen theoretischer
vor, bieten neben der Auseinandersetzung mit den einzelnen Filmen
und dem Gespräch eine theoretische Bestimmung des Oeuvres an ("Spiel.
Regel. Verletzung. Auf Spurensuche in Coen Country"). Ein bißchen
populistischer, im Grund-ansatz etwas weniger tiefgehend, ist das
Werk von Annette Kilzer und Stefan Rogall, die zwar auch theoretisches
zu bieten haben ("Reisen durch Raum und Zeit - Die Bildkompositionen
der Coen-Brüder") ansonsten aber anekdotenhafter vorgehen.
Unter der Überschrift "Klinische Leiden-schaft oder warum die
Coen-Brüder mehr sind als verspielte Stilisten" versucht Rogall
den Vorwurf der Künstlichkeit und Kälte, der immer wie-der im Zusammenhang
mit den Filmen der Coen-Brüder auftaucht, zu entkräften. Er will
stattdessen die Filme der Brüder als die Werke von zwei "lei-denschaftlichen
Filmemachern" verstanden wis-sen, die sich schlicht und ergreifend
der Senti-mentalität des amerikanischen Mainstream- Kinos verwehren.
Deutlich weniger überzeugend ist Rogalls Versuch die vielfältigen
Zitate und Genrequerverweise, die ein wesentliches Element des filmischen
Universums der Coen-Brüder sind, lediglich als Beiwerk des narrativen
Vorgangs zu verstehen. "The Big Lebowski" zum Beispiel,
das jüngste Werk, entfaltet seinen Reiz eigentlich erst ausgehend
von einem filmischen und kulturellen Hintergrundswissen. In diesem
Sinne ist "The Big Lebowski" ein wahrlich postmoderner
Film, der im Spiel der Referenzen zu sich selbst gelangt.
Die Frage welches
der beiden Bücher denn nun zu empfehlen sei, muß jeder für sich
selbst entscheiden: Wem nach einer theoretisch geprägteren Auslegung
der Filme der Coen-Brüder verlangt, dem sei das Buch von Körte/Seeßlen
wärmstens empfohlen, wer stattdessen filmtheoretisch weniger gebildet
ist und schlicht eine umfassende Einführung in das Werk möchte,
der ist mit Stefan Rogall und Annette Kilzer gut beraten.
MONOCHROM
#8-10
[lind] Was lesen
eigentlich Magazinmacher? Eigent-lich eine doofe Frage, die an das
noch doofere Paradox vom Friseur im Alpendorf erinnert (alle Männer,
die sich nicht selbst rasieren, gehen zum Friseur), wäre da nicht
als breitester aller anzunehmenden Konsense, ‘monochrom’,
aus Stockerau fast bei Wien, auszu-machen. Hey, dieses Zine schreibt
I.R.O.N.I.E. wieder groß (groß scheint angesichts einer Quellekatalog-dicken
dreifach-Nummer ohnehin das beherrschende Adjektiv, oder, wie es
die Heraugeber nennen, ‘erbärm-lich fett’). ‘mono’
berichtet über Theorie, Tantren-Sex, Bewußtseinsmaschinen, Serienkiller
und einiges mehr - you asked for it, people! Nur schade, daß dieses
Teil, ‘gebenedeit unter den illustrierten’ so selten er-scheint,
und an Unregelmäßigkeit der Erscheinungsweise sogar das vorliegende
Organ um Längen übertrifft - derweil müssen wir uns halt mir SPEX,
De:Bug, Wired, Wire und dem anderen Muff über Wasser halten. Zum
Schluß noch mein liebster ‘mono’-Praxistip: ‘falls
probleme mit dem gewicht dieses druckwerks auftauchen sollten, empfehlen
wir die fertigung eines henkels, etwa aus salzteig’ bestellen!
und zwar unter info@monochrom.at oder natürlich mit der Schnecken-post
bei der ‘wunderbaren Allesaufeinmalzusammenadresse’:
Dr. Karl-Wallek-Str. 12, A-2000 Stockerau, Österreich.
MARTIN HEIDEGGER
.. liest Hölderlins "Erde und Himmel"
Der Satz der Identität [Neske/Klett-Cotta]
[fs] Ein Meister aus Deutschland spricht wieder, und das nach knapp
40 Jahren. Dies längst vergriffenen Dokumente des eher schweigsamen
(gegenüber P. Celan), dafür aber potenziert natürlichen ("das
Geviert") Heidegger, der seine Wurzeln zum Schwäbisch-Ländlichen
nie ernsthaft in Frage stellte, hierher eher seine Kraft und Nahrung
für die Tiefe seines Denkens bezog, widmet sich nun (nach-)denkend
- hier liegt auch das philosophische Gewicht, die Frage nach dem
Denken erneut zu stellen, Fragen und Denken auseinander abzuleiten,
innigst aufeinander zu beziehen - einer naturalistischen Frage,
die ihre Inkarnation in Friedrich Höl-derlin fand. "Laßt mich
vor, ich kann das Schicksal ertragen", so das emphatische Credo
Hölderlins. Solcher Enthusiasmus, die Geschicke der Erde und des
Himmel so selbst in die Hand zu nehmen, trifft mit einer sachlich-analytischen
Nüchterheit Heideggerscher Sprache, ständig auf der Suche
nach der eigenen geschichtlichen Identität, zusammen, pro-voziert
allein schon diese paradoxe Verbindung eine Faszina-tion, der man
sich kaum entziehen kann. Auch "Der Satz der Identität",
ein Nachdenken über die Stellung und Bedeutung der Technik in der
modern-zivilisierten Welt, die auch seit diesem denkwürdigen Sommertag
1957 in den kühlen Ge-mäuern der Uni Freiburg kaum an Bedeutung
eingebüßt hat, ist ein ausgefeiltes und überlegt vorgetragenes Stück
Sprache, die sich, so O-Ton Heidegger, im Zuge der Auseinandersetzung
"entbergen" muß; und dies stellt auf Anhieb zwar ein eher
unverständlich-vages als nachvollziehbares Unternehmen dar, bis
es sich dann in vieldiskutierter (der "braune" Meister)
und eigentümlicher Weise, hier auf CD, selbst zu Wort meldet, das
Denken sich selbst auf den Weg macht. Faszinierend und erhellend
zugleich. |