Nr. 9 / Dezember 1998

















Gästebuch


Comic-Tips

Das Geheimnis der Superbiene

Er brach Frauenherzen ebenso virtuos wie Männerkiefer und hatte auch in den verzwicktesten Situationen das passende Bonmot auf den Lippen: Nick Knatterton, der coolste aller deutschen Comic-Helden.

Sein Schöpfer Manfred Schmidt hatte, so behauptet er zumindest, die Absicht, mit seinem Privatdetektiv Nick Knatterton die amerikanischen Comics so tief ins Lächerliche zu zerren, daß den Lesern der Spaß an dieser "Schwachsinn-Literatur" hätte vergehen sollen. Doch hat sich die angebliche Parodie, die ihre haarsträubenden Fälle von 1958 und 1962 in der Illustrierten "Quick" löste, zum ersten echten Comic-Helden Deutschlands gemausert.

Knatterntons Abenteuer sind meistens noch hanebüchener als sie aufregend sind. Ob er Diamanten aus dem Gipsbein eines Diebs klaubt, ob er sich mit der Mafia, in- und ausländischen Geheimdiensten oder korrupten Wirtschaftsbossen herumschlagen muß, die auf den explodierenden Rasierschaum und andere Geheimwaffen verrückter Wissenschaftler scharf sind - der geübte Krimi-Fan begreift bald, daß die Plots vor allem ein Vorwand sind für die Wortspiele, die anzüglichen Doppeldeutigkeiten und unzähligen Seitenhiebe auf Politik, Armee und Gesellschaft, die aus "Nick Knatterton" den Comic mit der größten Scherzdichte pro Panel machen.

Das war Sex & Crime so scharf und knisternd wie in den prüden fünfziger Jahren nur möglich, und viele Kalauer sind absolut nicht über alle Zweifel erhaben, ganz im Gegenteil. Aber - das gehört sich so und nicht anders, und Manfred Schmidt servierte die ebenso süffigen wie frivolen Krimis mit soviel Ironie und Humor, daß sie auch in der neuen Gesamtausgabe, die zu seinem 85. Geburtstag erschienen ist, köstliches Vergnügen bereiten.

Christian Gasser

Manfred Schmidt: "Nick Knatterton"

(Lappan Verlag, Hardcover, 216 Seiten).

Waffenhändler

Der Neuanfang nach dem Krieg scheint geschafft, Deutschlands Wirtschaft boomt, und der zweite Weltkrieg ist Vergangenheit. In einem  Hamburger Nobelhotel wird Ende der fünfziger Jahre eine Hochzeit vorbereitet, die die Prominenz aus Politik und Wirtschaft anzieht. Gleichzeitig explodiert im Büro eines Dr. Krüger, Geschäftsführer einer Waffenexportfirma, eine Bombe. Zwei Polizisten untersuchen das Attentat, werden jedoch bald zurückgepfiffen - niemand will, daß die heimlichen Verbindungen zwischen Terrorismus, Waffenhandel, Wirtschaft und trüber Vergangenheit aufgedeckt werden.

Das tut an ihrer Stelle Isabel Kreitz, eine der wenigen deutschen Comic-Schaffenden, die ihr Augenmerk auf süffig und unterhaltsam erzählte und zeichnerisch geschickt umgesetzte Geschichten legt. Die 31jährige Comic-Zeichnerin aus Hamburg durchbricht ihren Wirtschaftswunderthriller "Waffenhändler" mit zahlreichen Rückblenden und macht damit sichtbar, daß der Neubeginn keinen echten Bruch mit dem Nationalsozialismus bedeutete, und daß der Schwarzmarkt nach dem Krieg die beste Schule für den Kapitalismus war.

Christian Gasser

Isabel Kreitz: "Waffenhändler"

(48 Seiten, s/w, 19.90.-)

Grelle Polit-Fiction

Der in Paris lebende Enki Bilal ist sicherlich einer der wichtigsten Comic-Zeichner der letzten Jahrzehnte, wobei der gebürtige Ju-goslawe inwzischen auch durch seine Filmarbeiten, ob nun als Regisseur ("Tykho Moon") oder als Zuarbeiter für "La vie est un roman" von Alan Resnais, bekannt geworden ist. Schon als Twen schuf Enki Bilal in den Siebzigern zusammen mit dem Autoren Pierre Christen grandiose Science-Fiction-Geschichten mit deutlichem Polit-Bezug. Ob es nun in "Die Kreuzfahrt der Vergessenen" um geheime Militärexperimente mit der Schwerkraft ging oder im "Schlaf der Vernunft" der spanische Bürgerkrieg Jahrzehnte später reaktiviert wurde. Später ist dann unter dem eigenen Namen die grandiose, mehrfach ausgezeichnete Nikopol-Trilogie erscheinen. Sechs Jahre nach seiner letzten Comic-Arbeit, dem Ende der Trilogie ("Äquatorkälte"), gibt`s nun endlich wieder einen "neuen Bilal". Und was für Einen! Mit "Der Schlaf des Monsters" startet der 47jährige einen neuen Zyklus, der auf dem Hintergrund des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawiens wieder sehr geschickt Elemente der Phantastik mit Politischem verbindet, die Science-Fiction-Geschichte auf das aktuelle Zeitgeschehen zurückgreifen läßt. Der auf mehrere Bände angelegte, großartige Comic-Roman schildert die Geschichte dreier im Sarajewo des Bürgerkriegs geborener Kinder im unwirtlichen Jugoslawien der Zukunft, in dem es von religiösen Fanatikern und weirden Mad Scientists nur so wimmelt. Wie immer bei Bilal ist das virtuos gezeichnet, zudem besticht der erste Band durch das geschickte Verflechten verschiedener Handlungsstränge

Thomas Bohnet

Enki Bilal: Der Schlaf des Monsters

(Ehapa Comic Collection, Hardcover, 70 Seiten, DM 34,80).

Kurz & Knapp

[tb] "Der Mondgucker" nennt der Oberhausener Comic-Zeichner Ulf Keyenburg seine Sammlung mit hübschen, in schwarz-weiß gezeichneten, poetischen kleinen Geschichten um eine Comic-Figur mit rundem Kopf und Kegelnase, die mit den Tükken des Alltags zu kämpfen hat. Erschienen ist der feine Band beim Bremer Klein-Verlag Edition Panel, dessen Chef Bert Dahlmann auch das Comic-Musik-Magazin Panel herausgibt. Das Heft gibt`s für schlappe 12 Mark bei: Panel, Postfach 102665, 28026 Bremen.

[tb] Auf zwei preiswerte (9,95 Mark) Neuerscheinungen bei Jochen Enterprises in Berlin (Möckernstr. 78, 10965 Berlin) sei hier kurz hingewiesen: "Hunde über Berlin" heißt Band 3 der kleinen Reihe "Wondertüte", in dem Atak den Teufel in Hundegestalt auftreten läßt. Auch der pfiffige Car-Boy, der Junge mit dem Autokopf erlebt wieder spannende Abenteuer in "Container 3", dem jüngsten Heft des grandiosen schwedischen Comiczeichners, den Kollege Gasser schon in LEESON 5 ausführlich vorgestellt hat.

[cg] In "Jago" (rororo, 29 Mark 90) verläßt Ralf König den heutigen Alltag bewegter Männer und anderer Schwuler nicht zum ersten Mal - nach Aristophanes "Lyssistrate" verarbeitet er nun die Stoffe des, so König, mutmaßlich bisexuellen Shakespeare aus einer schwulen Perspektive. Gekonnt und humorvoll verquirlt er Versatzstücke aus "Othello", "Macbeth", "Romeo und Julia" und dem "Sommernachtstraum zu seiner eigenen, ebenso lustigen wie blutigen Tragikomödie um Leidenschaft, Knollennasen, giftige Elexiere und schwulem Lebensstil.

[tb] Ziemlich seltsam und grotesk sind die Abenteuer eines buckligen Freaks in "Amerika" (Jochen Enterprises, 24 Mark 90), dem jüngsten Comicband von Reinhard Kleist, in dem ex-trem symbolüberfrachtete Krähen U-Bahnzüge verspeisen und Haie für den Posten des Bürgermeisters kandidieren.

Letzte Änderungen: 24.08.2006
Produziert von
Peter Pötsch