Die virtuelle
Leichtigkeit der Kontaktaufnahme - Let’s start a new life im
"Cycosmos"
von
Florian Schreiner
Viel bedarf
es nicht, um "connected" zu sein, um sich auf eine virtuelle
Reise zu begeben, sich durch die Netzwerke des Wissens zu schlagen
und das Fenster zu einer anderen Welt zu öffnen, selbst interaktiv
zu werden. Keine beschwörende Formel, kein Zauberspruch, ein einfacher
Schlüssel reicht aus: http://www.cycosmos.com.
Ein
männliches Wesen, mit blauen Augen und dunkelbraunem Haar erscheint
und stellt sich vor: Hy, my name is e-cyas, i am a virtual human
being, visit me in my cycosmos, recreate yourself!
Eine Einladung wozu und wohin? In ein neues soziales Netzwerk
körperloser Kommunikation und Interaktion, Liebe und Geborgenheit,
die die be-kannten Grenzen interaktiver Spieltätigkeit sprengt?
Die spielerischen Charaktertypen waren schließlich weitgehend vorgegeben,
die dann per gewandter Beherrschung zur Identifikationsgrundlage
generieren konnten. Was nun, wenn man sich selbst kopiert und sein
virtuelles Abbild in ein neuartiges soziales Feld entläßt, das omnipräsent
ist?
Es sind dann nicht mehr die allerlei bunten Knuddeleier, pelzummantelten
Furbies, Fin-Fins und sonstigen Creatures, die man sozialisieren
kann und die die Bühnen häuslicher Idyllen bevölkern. Es sind die
virtuellen Existenzen, sogenannte Avatare (= Kunst-menschen) jenseits
des Bildschirms, die ihr Recht aufs Dasein einfordern und die Grenze
von Realität und Virtualität überschreiten. Reality goes virtual,
virtualty becomes real!
Die erste prophetische
Wegmarke immerhin datiert auf das Jahr 1996, als DK-96, das erste
"digital kid" in einem kleinen idyllischen Randbezirk
Tokyos, fernab des hektischen Großstadtbetriebes, unter einem funkelnden
hard-ware-Himmel, das Licht einer ganz besonderen Welt erblickte.
Sie ist 162 cm groß, hat den Scorpion zum Sternzeichen und Blutgruppe
A, liebt schwarz/weiß, "Toy Story", den smarten Christian
Slater und ist auch sonst sehr nett anzusehen. Schon zeitig
entwickelt die frühreife "Kyoko Date" ambitionierte Träume,
die sie jüngst ins Tonstudio, auf Konzertbühnen Japans, nach Washington,
eigentlich virtuell überallhin katapultierte, wo man einen Computer
besaß und ihn auch bedienen konnte. Beileibe kein von Bits und Bytes
belebtes Einzelphänomen mehr. Auch die Ärzte hatten in ihrem Video
"Männer sind Schweine" mit einem an femininen Reizen reichlich
beglückten Avatar, der auch U2 auf ihrer jüngsten Tournee virtuell
begleitete, zu ringen, mit Lara Croft aus Tomb Raider, einem der
auflagenstärksten Fluchtpunkte des Multimediabetriebs.
Doch um Flucht
geht es gar nicht, so zumindest versichert Bernd Kolb als führender
Kopf der Hamburger I-D Gruppe, die den "Cycosmos" kreierte
und schon West, Swatch, Sony und andere Unternehmen medial bediente,
kürzlich in einer Presseerklärung. Vielmehr auf den Wanderungen
durch die verschiedenen Wirklichkeiten auf dem Sprung ins Informationszeitalter
jedermann/-frau die Möglichkeit zu bieten, sich selbst zu entwerfen,
sich "neu zu definieren, ein neues virtuelles Leben zu beginnen
und sich digital mit anderen virtuellen Existenzen zu vernetzen".
Wie soll das gehen?
Erst kreiert
der "Cycosmonaut" seinen eigenen Avatar, sein virtuelles
Abbild, das ihn später im Cycosmos visualisieren wird. Er gibt sein
Geschlecht, seinen Nickname und die optischen Accessoires entlang
dem vorgegebenen Idealtypus ein. Im zweiten Schritt seine Vorlieben,
Präferenzen. Er er-stellt somit sein fiktives oder reales Charaktereogramm
und erhält dann seine zweite Identität, eine offizielle Identity-Card
plus Zugangscode. Daß diese neugewonnene Freiheit des "Cycosmonauten",
wenn er den Kosmos betritt, nicht in völlige Orientierungslosigkeit
stürzt, dafür hat die ID-Gruppe auch gesorgt:
Dreh- und Angelpunkt
dieses "sozialen Be-triebssystems" auf der Suche nach
dem virtuellen Objekt der Begierde im "Cycosmos" ist "E-Cyas"
(Electronic Cybernetic Artifical Superstar), eine hu-manoide Suchmaschine
und universeller Ansprechpartner, konzeptionell dem ZDF-Webface
"Cornelia" (http://www.virtual-friends.de)
ähnlich, der entgegen wiederholter Dementis optisch-idealisiert
doch stark an seinen Geburtshelfer Kolb erinnert und die soziale
Brücke zwischen den "ge-meinsamen Interessen und Hobbies der
Nutzer" schlagen helfen soll. Kuppler, Ansprechpartner und
Orientierungszentrum in einem: Man gibt für die Suche die (beliebig
zahlreichen) gewünschten Interessen oder sonstigen persönlichen
Parameter ein, um vielleicht auch eine eigene (gay-, snowbord-,
Tarantino- oder X-Files-) "community" zu gründen, schiebt
sich zweidimensional durch die verschiedenen Foren, verabredet sich
dann auf eine "Chat-Party" zum kleinen Flirt oder verspricht
sich virtuelle Ewigkeit im "Wedding-Center". 
Als Produkt
der dritten Generation (nach Kyoko und Lara) ist dieser erste (deutsche)
männliche Avatar mit seinem jungen Jahr auch erstaunlich selbstbewußt,
liebt außergewöhnliche Menschen wie sich selbst und ruft programmgemäß
jedem Be-sucher entgegen: Start a new life behind your computer
screen, let´s all get virtual to become real, en-joy the total freedom!
Freiheit wovon?
Unmittelbar drängt sich diese Frage auf: Freiheit von Verantwortung,
Verpflichtung, von eindeutiger, wahrhafter und globaler Kommunikation,
deren Quersumme ein virtuelles Gefühl von Gemeinschaftlichkeit vermittelt?
Oder eher von den mühevolllen Umwerbungstechniken zwischen-menschlicher
Kontaktaufnahme? Nein! sagt Herr Kolb: Ziel ist "eine größere
kommunikative Bewegungsfreiheit, die zu mehr sozialen Kontakten
führt und sicher nicht zu stärkerer Isolation", und es bleibt
selbstverständlich jedem selbst das Maß und Wie überlassen, sein
virtuelles Alter-Ego zu modellieren, sich in diesem Parallel-Universum
zu bewegen, es zu seiner dritten Natur zu gestalten. Daß dies ein
handliches Unternehmen verspricht, bezeugen nicht allein die mannigfaltigen
Zugangsweisen zum Kosmos: Computer, Fax, SMS oder Pagers, auch die
explodierenden Verkaufsstatistiken des Mobilnetzes sprechen eine
deutliche Sprache.
Solche neuen
"dialoggestützten Betriebssystem-Oberflächen" sind nötig,
"alles wird einfacher und gleichzeitig intelligent lernend
und damit individuell auf die Eigenschaften der jeweiligen Benutzer
zugeschnitten"; HAL 9000 oder disputierwillige Bomben lassen
grüßen.
Oder vielleicht ein Fenster zur Welt, von "Otaku", wie
J.-J. Beineix seine dokumentarische Reise nach Japan und seinen
ewig-jungen weiblichen Idolen zum Sammeln, Anfassen und ...
(1993) betitelte?
Der Cycosmos
entwirft den Blick in eine freie? und noch unbefleckte? Welt, die
weder analog noch virtuell, wohl eher irgendwo dazwischen liegt;
frei vom Zufall und anderen Unpäßlichkeiten, die entläßt das Betriebssystem
aus ihrer Pflicht. Statt dessen ein gigantisches Netzwerk von
Sendern und Suchern, die ihr Umfeld dezent teleaktiv nach kompatiblen
Material hin abscannen und ihrerseits von Marketingbranchen ins
Visier genommen werden. Schließlich finanziert sich das Projekt
der ID-Gruppe in Kooperation mit der Fleed-Gruppe (100%ige Tochter
von Gruner & Jahr) oder VW zukünftig über ge-zielte Foren-Werbung:
Ein unüberschaubares Betätigungsfeld für potentielles Produktmanagement,
wovon man bei KIRA DAY´s Dauerwerbesendung ("Spot ON!"
auf Sat1) immerhin eine leise Vorahnung gewinnen kann. .
Wie dem auch
sei, nach dem ersten Server-Herzinfarkt auf der CeBit Home in einer
wahr-haft mystischen, alle Vergleiche boykottierenden Atmosphäre
und einer nunmehr einmonatigen Kräftigungsphase steht das System
seit Oktober für die mit der Eröffnung registrierten 80.000 Cycosmonauten
(Tendenz steigend) und alle, die es werden wollen, wieder zur Verfügung.
Nebenbei: Der
Plattenvertrag mit EMI Elektrola, der Sprung für "E-Cyas"
und für zukünftige Avatare auf die öffentliche Bühne ist auch schon
unter Dach und Fach, mit einem etwas zu poppig geratenem Stück,
dessen Titel aber für sich spricht: "Are you real?".
[Interview-Infos unter: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2367/1.html
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