Heimelektro
Ulm - Fortschrittliche Popmusik from in beat ween
Die Sterne
stehen gut für Bernd Karner. LEESON traf den Labelmacher von Heimelektro
Ulm, an einem Ort, der besser nicht gewählt werden konnte: Das Café
Fortschritt ist kaum einen Steinwurf von den Heimelektro Headquarters
entfernt und wahrscheinlich der beste Platz auf die Welt, um bei
Kaffee und Kuchen ein sonntagnachmittägliches Interview zu führen.
von
Markus Hablizel
Geht es um elektronische
Musik, haben bestimmte Städte, Regionen oder Länder ihren spezifischen
Klang. Zumindest wird das oft behauptet. Wenn man vom Köln-, Hamburg-,
München- oder Wien-Sound spricht, scheint jeder zu wissen, was gemeint
ist. Dies ist meistens direkt verbunden mit einem oder mehreren
Labels, die den Klang nach außen transportieren, gleichzeitig aber
auch sinnstiftend für das Innen sind. Also für die Produzenten,
DJs, Schreiber und Rezipienten. Im günstigsten Fall hat dieser Klang
einen oder mehrere soziale Orte, einen Club, ein Café oder eine
Lounge. Der überwiegende Teil solcher Sounds wird immer noch in
Metropolen hergestellt und konsumiert. Jetzt schreien einige Beflissene
sicherlich Source/Heidelberg oder Payola/Weilheim. Gut, doch auch
hier bestätigt die berühmte Ausnahme wohl die Regel. Wenn da nicht
...
...Ulm wäre.
Alles
begann 1995 mit einer Radioshow bei Radio Free FM, Ulms nicht-kommerzieller
Radiostation. Die Show wurde gehostet von Tobias Bezler und Bernd
Karner, die bemüht waren, die Klammer elektronische Musik möglichst
weit zu öffnen. Konkret bedeutete das, daß zwischen Oval, Aphex
Twin, Jeff Mills und Liquid Sky immer noch genügend Platz für (noch)
weniger populäre Ansätze blieb. Daß derartige Sendungen kaum ein
Millionenpublikum erreichen, dürfte klar sein. Doch die, die zuhören,
haben ein tiefergehendes Interesse. So auch hier. Alle Künstler,
die heute auf Heimelektro Ulm veröffentlichen, stießen durch die
Sendung auf Karner und Bezler.
Ein Jahr später
konstituierte sich aus eben genannten Ressourcen die Bewegungsgruppe,
die im Jazzkeller Sauschdall (ein studentisch geführter Club in
Ulm) eine wöchentliche Clubnacht installierte. Ohne einen Anfall
von Megalomanie darf behauptet werden, daß diese von 1996-98 existierende
abendliche Ruhe ihresgleichen in Deutschland suchen mußte. Wöchentlich
gab sich die Crème de la Crème europäischer und transatlantischer
Elektronikschaffender die Klinke in die Hand. Die Bewegungsgruppe
ließ nichts unversucht, auch noch den letzten Weirdo hinter seinem
Sampler hervorzulocken. Wie die Legende besagt, habe sogar Richard
James a.k.a. Aphex Twin mit einem Gastspiel geliebäugelt, zu dem
es dann leider nicht gekommen ist. Kurz und gut: Man hatte Glamour
für sich gepachtet. Dummerweise erkannte das Ulmer Publikum die
Aura dieses Abends eher selten und die Musiker schraubten oft vor
40-50 Leuten an ihren Sequenzern. "Durch die Radioshow und
die Clubnacht haben wir ziemlich viel gelernt. Erstens diese ganze
organisatorische Sache und dann kamen natürlich die vielen Kontakte,
die jetzt für Heimelektro sehr dienlich sind".
Parallel zur
Präsentation dufter Künstler, begann man an eigenen Sachen zu basteln
und stellte fest, daß man anderen Soundbastlern in nichts nachstand.
Nachdem diese Ressourcen erkannt waren, gab es verstärkt Abende,
an denen kein auswärtiger Gast zugegen war und man die eigenen Fähigkeiten
präsentierte.
"Irgendwie
war das die Geburt des Labels. Wir haben gesehen, daß wir viele
Dinge genausogut machen, wie die Leute, die wir immer einladen.
Warum also jemanden für einen Abend aus London einfliegen, wenn
man den Platz auch selbst ganz gut ausfüllen kann." Gesagt,
getan. Nach einigen Live-Events mit Leuten aus dem eigenen Umfeld
gründete Karner das Label Heimelektro Ulm, auf dem schon bald eine
erste, selbstgebrannte nichts Negatives. Im Gegensatz zu Großstädten
hast du in Ulm viel mehr Freiraum Dinge zu tun, hier gibt es eben
nicht soviel Konkurrenz. Außerdem ist das Publikum viel gemischter,
so etwas wie eine feste Szene für das, was wir machen, gibt es nicht.
Auch ein fester Club, der natürlich immer bestimmte Regeln und Verhaltensweisen
nach sich ziehen würde, existiert nicht. Aus diesen ganzen Umständen
ergab sich dann eben auch der Name des Labels: Heimelektro Ulm.
Hier findet viel im privaten oder kleinen Rahmen statt."
Zur Zeit releasen
auf dem Label drei Projekte, die aus vier Leuten bestehen: Scarcubem,
Lupo Borax und Urban Soul Research. Hinzukommen noch der Labelchef
selbst, als DJ und ein Zwei-Mann-Projekt namens Lleuchtmittel, das
die Heimelektro-Live PAs mit ihren grandiosen Live-Visuals unterstützt.
Auch außerhalb der Stadt an der Donau ist Heimelektro aktiv. Scarcubems
und Lupo Borax’ Live-Gig im Mai in Hamburg erscheint auf TFSM/Superstition,
sie remixen für eine Plattenmeister-Compilation und sind auf dem
Zehnkampf-Popstar-Sampler vertreten. Außerdem bastelt Urban Soul
Research gerade an einem Track für die CD eines Baseler Kunstprojektes.
Desweiteren ist man live unterwegs, zwischen Helsinki und Neapel.
Da geht einiges…
…music
please!
Wie
also klingt Ulm, respektive Heimelektro Ulm? Antwort des einfachen
Ulmer Volkes: "Gut klingt das." Diesem Urteil würde ich
mich ohne jegliche Einschränkung anschließen. Das schöne an Heimelektro
LP1 ist, daß sich die einzelnen Projekte klanglich extrem voneinander
unterscheiden, aber auf LP-Länge nahezu symbiotisch miteinander
verschmelzen, so-daß an keiner Stelle der Eindruck entsteht, hier
werde vereint, was nicht zusammengehöre. Lupo Borax, der kaum elektronische
Musik hört, verkittet im Er-öffnungsstück extrem skelettierte Beats
mit Slideguitar-, Orgel-, Gesangs- und diversen anderen Samples
zu einem Popsong (sic!), der nicht von dieser Welt zu sein scheint.
Wo Lupo Borax sich in Zen oder der Kunst der perfekten Kombination
von Samples übt, schaltet Urban Soul Research ein leistungsfähiges
Elektronenmikroskop zwischen Klangquelle und Aufnahmemedium. Analyse
statt Synthese. Hier wird Klang atomisiert und erst nach eingehender
Un-tersuchung, mit viel Bewegungsfreiheit ausgestattet, wieder zusammengesetzt.
Die Teilchen bewegen sich fortan von alleine und werden ihrerseits
wieder zu Forschungsobjekten, diesmal für den Hörer. Selten war
Klangforschung spannender. Für Scarcubem spielt (Film-) Sprache
eine wichtige Rolle. Zwar wird mit derartigen Samples sehr sparsam
umgegangen, doch könnte die Wirkung kaum effektvoller sein.
Ähnlich wie
im Hip Hop scheinen (Film-) Zitate als Referenz an Werke zu funktionieren,
die einen subjektiven Wert für die Produzenten besitzen. Zumindest
könnte man dies aus der bewußten Art und Weise herauslesen, wie
Scarcubem mit diesen Samples umgehen. Wer jetzt an flächige 08/15
Blubber-Soundtrackvariationen denkt, liegt meilenweit daneben. Die
meisten ihrer Stücke sind extrem tanzbar und haben einen immens
niedrigen Artyness-Faktor. Die Beats ihrerseits sind kunstvoll aus
allerbestem Material geschnitzt und ich bin der festen Überzeugung,
daß es niemandem gelingen wird, nicht zu tanzen. Ein Tor, wer anderes
dabei denkt.
Mein Eindruck,
daß man bei Heimelektro Ulm nicht an extrem abseitigem, schwer zugänglichem
Sound arbeitet, wird von Bernd Karner gern bestätigt: "Wir
sind ein Poplabel, nenn’ es freie Popmusik." Der Meinung
bin ich auch.
Nachtrag:
Geschichten, die das Leben schrieb: Da sitzt man mit seinem Lebensabschnittsmitbewohner
bei Kerzenschein, Grießbrei und Weißbier in der nächtlichen Küche
und hört den zweiten Heimelektro-Demosampler. Track Nummer elf reißt
einen zu so Bemerkungen hin, wie: "Geiles Stück". Das
Stück antwortet und eine zarte Computerstimme sagt "Fuck me".
Wer will der
kann:
Kontakt Heimelektro Ulm
Bernd Karner
fax ++49.40.3603111040
e-mail heimelektr@aol.com
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