Eine amerikanische
Version der Lindenstraße?
Die TV-"Teenie"-Serie
"Party of Five" mit "Scream"-Star Neve Campbell
von
Norbert Faulhaber
Seit über zwei
Jahren läuft "Party of Five" im RTL-Programm, mittlerweile
sogar schon in der vierten Staffel, aber erst nach dem phänomenalen
Erfolg von Wes Cravens Horrorschocker "Scream" steigerte
sich die Popularität dieser in mehr als nur einer Hinsicht ungewöhnlichen
"Teenie"-TV-Serie auch in Deutschland auf ein halbwegs
ahnsehliches Level: Neve Campbell, die auch in John McNaughtons
erst vor kurzem in den Kinos gelaufenen schwülen Florida-Thriller
"Wild Things" eine beachtenswerte Leistung ablieferte,
ist das Zugpferd dieser im Kalifornien der Gegenwart spielenden
Serie, gemeinsam mit den Nachwuchsstars Scott Wolf und Matthew Fox.
Sie verkörpern drei Vollwaisen (Julia, Bailey und Charlie Salinger),
die sich gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Geschwistern (Claudia
und Owen) durchs Leben schlagen. Ihr Alltag, von früh übernommener
Verantwortung und diversen individuellen Problemen geprägt, bildet
den Hintergrund für die mal kleinen, mal größeren Geschichten, die
in den knapp einstündigen Folgen der Serie mit sehr viel Liebe zu
den handelnden Figuren und mit sehr viel Milieutreue erzählt werden.
Stichwort Milieu:
Mit dem des mondänen Schickimicki-Suburbs Beverly Hills, das jeden
Samstagnachmittag unmittelbar nach "Party of Five" bei
RTL besichtigt werden kann, hat Neve Campbells und Scott Wolfs Serie
so gut wie gar nichts zu tun, auch wenn der ausstrahlende Sender
es sich nicht verkneifen kann, beide "teenie soaps" unter
dem Label "Young & Beautiful" zusammenzufassen. Um
Liebe, Triebe, Herz und Schmerz dreht sich alles bei Jason Priestley,
Jennie Garth & Co., und da zur Not stets reiche Eltern zur Hand
sind, spielen materielle, sprich finanzielle Probleme höchstens
dann eine Rolle, wenn es darum geht, ein neues Sportcoupé zu erstehen
oder sich mal wieder eine ausgedehnte Europareise zu gönnen. "Beverly
Hills, 90210" spielt in einer ausgesprochen heilen Welt und
je weiter die Serie voranschreitet, desto eifriger basteln ihre
Protagonist(inn)en an ihrer individuellen Karriere. Daran, daß so
gut wie jede(r) von ihnen sie irgendwann einmal auch realisieren
dürfte, ist wohl nicht zu zweifeln.
Keine heile
Welt
In "Party
of Five" ist die Welt ganz und gar nicht heil, nicht zuletzt
auch deshalb, weil Julia, Charlie, Bailey und ihre Geschwister ganz
allein auf sich gestellt sind: Ihre Eltern starben bei einem Autounfall,
und obwohl sie ihren Kindern immerhin ein Haus und ein halbwegs
florierendes Restaurant hinterlassen haben, stehen diese vor einem
riesigen Berg von Problemen. Geld muß verdient, Rechnungen müssen
bezahlt werden und um den kleinen Owen (mittlerweile vier Jahre
alt) muß man sich ständig kümmern. Kurzum, alle Probleme der Erwachsenenwelt
stürmen auf die Salingers ein, kaum daß sie ihre eigene Kindheit
mehr schlecht als recht bewältigt haben beziehungsweise immer noch
bewältigen müssen. Charlie (27 Jahre alt), ist so etwas wie das
Familienoberhaupt (zu dem ihn das Testament der Eltern auch offiziell
bestimmt), aber er ist sichtlich überfordert mit dieser Rolle und
kommt kaum mit seinem eigenen Leben klar. Julia (18) wirkt da schon
reifer, stürzt sich aber jäh in eine verfrühte Ehe mit Griffin (Jeremy
London), einem etwas lahmarschigen Gelegenheitsmechaniker mit einem
Haufen Schulden. Bailey (20), der zweitälteste der Salingers, hat
massive Alkoholprobleme, die ihn auch schon beinahe ins Gefängnis
gebracht hätten, und die 14jährige Claudia (Lacey Chabert) steckt
mitten in der Pubertät, mit allem, was dazugehört: das volle Programm
sozusagen.
Im Herbst 1994
startete die "Party of Five"-Serie im amerikanischen Fernsehen
und in vielerlei Hinsicht spiegelt sich in ihr das Leben in der
Ära Clinton wider, insbesondere das der amerikanischen Mittelklasse,
das der "ordinary americans". Zur High Society, wie die
Teenies in "Beverly Hills, 90210" gehören die Salingers
eindeutig nicht, aber auch nicht zur jugendlichen underclass wie
etwa die "Helden" und "Heldinnen" in "Dangerous
Minds" (der dritten Samstagnachmittag-Teenie-Serie, die derzeit
bei RTL läuft). In einer Zeit, in der auch und vor allem in den
USA die Ehescheidungsrate dramatisch anwächst, desgleichen auch
die Zahl der "single parent families", spitzt die personelle
Konstellation in "Party of Five" die aus dieser Entwicklung
resultierenden fundamentalen Veränderungen im US-amerikanischen
Sozialgefüge sozusagen auf den Extrempunkt zu: Als "no parents
family" fungiert der Clan der Salingers, eine soziologische
Struktur, die vor 25 oder 30 Jahren wohl eher als eine (in diesem
konkreten Fall aus der Not heraus geborene) Emanzipationschance
interpretiert worden wäre, aber heute, in einer Zeit, in der die
berühmten Maslow’schen Primärbedürfnisse immer stärker (wieder)
an Gewicht gewinnen, für alle Beteiligten den alltäglichen Überlebenskampf
nur noch komplizierter macht. Gerade weil sie vor so großen (individuellen
wie kollektiven) Herausforderungen stehen, wachsen uns die handelnden
Figuren in "Party of Five" letztendlich so sehr ans Herz.
"New Deal"-Version
von "Beverly Hills"
Um es einmal
ganz salopp zu formulieren: Wenn die "Lindenstraße" die
"sozialdemokratische Version der `Schwarzwaldklinik´"
ist, ist "Party of Five" die "New Deal"-Version
von "Beverly Hills, 90210" eine teenie-soap, deren Heldinnen
und Helden zwar auch ausnahmslos jung und
hübsch sind, aber ebenso ausnahmslos mit ganz normalen Problemen
zu kämpfen haben, mit Problemen, wie sie jeder hat, der keine reichen
Eltern hinter sich weiß, die ihm zur Not unter die Arme greifen
können. Der grenzenlose Egoismus der me-decade, der Jahre, die politisch
von den (neo-)konservativen Regierungen Präsident Reagans und seines
Nachfolgers Bush geprägt waren und deren ideologische Versatzstücke
sich noch sehr deutlich in der "Beverly Hills"-Serie aufspüren
lassen, machen in "Party of Five" Platz zugunsten eines
neuen Altruismus, einer durch und durch humanistischen Grundeinstellung,
die von der Prämisse ausgeht, daß zunächst einmal jeder, mag er
auch manchmal ein ausgemachtes Ekel sein, eine Art Grundrecht auf
sein eigenes bißchen Glück hat. Selbstverständlich haben auch Charlie,
Julia, Bailey, dessen (Ex?)Freundin Sarah (Jennifer Love Hewitt),
und natürlich auch Claudia und der kleine Owen mit schöner Regelmäßigkeit
Zoff miteinander: Nicht selten durch äußere Umstände bedingt, wie
beispielsweise ihre prekäre finanzielle Situation, aber sie halten
dennoch zusammen, begreifen sich als eine Gemeinschaft, die die
Aufgabe hat, sich um jedes einzelne Mitglied zu kümmern, wenn es
in Schwierigkeiten gerät. Ein typischer 80er Jahre-Yuppie jedenfalls
ist in "Party of Five" noch nicht aufgetaucht und er hätte
wohl auch einen recht schweren Stand mit seinen Ansichten . . .
Wenn Massenmedien
wie das Fernsehen gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln,
reflektiert "Party of Five" mal mehr, mal weniger subtil
den Wertewandel, der sich in den letzten Jahren im Amerika der Ära
Clinton vollzogen hat: Die Raffgier der Reagan/Bush-Jahre wird immer
unpopulärer, das Yuppie-Dasein immer weniger zum erstrebenswerten
Vorbild. Mal sehen, ob auch einmal eine typische "Erwachsenenserie"
diesen Wandel aufgreift 80er-Jahre-Kapitalisten-Opern wie "Dallas"
oder "Denver" sind jedenfalls out wie noch nie. |