Nr. 9 / Dezember 1998

















Gästebuch


Eine amerikanische Version der Lindenstraße?

Die TV-"Teenie"-Serie "Party of Five" mit "Scream"-Star Neve Campbell

von Norbert Faulhaber

Seit über zwei Jahren läuft "Party of Five" im RTL-Programm, mittlerweile sogar schon in der vierten Staffel, aber erst nach dem phänomenalen Erfolg von Wes Cravens Horrorschocker "Scream" steigerte sich die Popularität dieser in mehr als nur einer Hinsicht ungewöhnlichen "Teenie"-TV-Serie auch in Deutschland auf ein halbwegs ahnsehliches Level: Neve Campbell, die auch in John McNaughtons erst vor kurzem in den Kinos gelaufenen schwülen Florida-Thriller "Wild Things" eine beachtenswerte Leistung ablieferte, ist das Zugpferd dieser im Kalifornien der Gegenwart spielenden Serie, gemeinsam mit den Nachwuchsstars Scott Wolf und Matthew Fox. Sie verkörpern drei Vollwaisen (Julia, Bailey und Charlie Salinger), die sich gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Geschwistern (Claudia und Owen) durchs Leben schlagen. Ihr Alltag, von früh übernommener Verantwortung und diversen individuellen Problemen geprägt, bildet den Hintergrund für die mal kleinen, mal größeren Geschichten, die in den knapp einstündigen Folgen der Serie mit sehr viel Liebe zu den handelnden Figuren und mit sehr viel Milieutreue erzählt werden.

Stichwort Milieu: Mit dem des mondänen Schickimicki-Suburbs Beverly Hills, das jeden Samstagnachmittag unmittelbar nach "Party of Five" bei RTL besichtigt werden kann, hat Neve Campbells und Scott Wolfs Serie so gut wie gar nichts zu tun, auch wenn der ausstrahlende Sender es sich nicht verkneifen kann, beide "teenie soaps" unter dem Label "Young & Beautiful" zusammenzufassen. Um Liebe, Triebe, Herz und Schmerz dreht sich alles bei Jason Priestley, Jennie Garth & Co., und da zur Not stets reiche Eltern zur Hand sind, spielen materielle, sprich finanzielle Probleme höchstens dann eine Rolle, wenn es darum geht, ein neues Sportcoupé zu erstehen oder sich mal wieder eine ausgedehnte Europareise zu gönnen. "Beverly Hills, 90210" spielt in einer ausgesprochen heilen Welt und je weiter die Serie voranschreitet, desto eifriger basteln ihre Protagonist(inn)en an ihrer individuellen Karriere. Daran, daß so gut wie jede(r) von ihnen sie irgendwann einmal auch realisieren dürfte, ist wohl nicht zu zweifeln.

Keine heile Welt

In "Party of Five" ist die Welt ganz und gar nicht heil, nicht zuletzt auch deshalb, weil Julia, Charlie, Bailey und ihre Geschwister ganz allein auf sich gestellt sind: Ihre Eltern starben bei einem Autounfall, und obwohl sie ihren Kindern immerhin ein Haus und ein halbwegs florierendes Restaurant hinterlassen haben, stehen diese vor einem riesigen Berg von Problemen. Geld muß verdient, Rechnungen müssen bezahlt werden und um den kleinen Owen (mittlerweile vier Jahre alt) muß man sich ständig kümmern. Kurzum, alle Probleme der Erwachsenenwelt stürmen auf die Salingers ein, kaum daß sie ihre eigene Kindheit mehr schlecht als recht bewältigt haben beziehungsweise immer noch bewältigen müssen. Charlie (27 Jahre alt), ist so etwas wie das Familienoberhaupt (zu dem ihn das Testament der Eltern auch offiziell bestimmt), aber er ist sichtlich überfordert mit dieser Rolle und kommt kaum mit seinem eigenen Leben klar. Julia (18) wirkt da schon reifer, stürzt sich aber jäh in eine verfrühte Ehe mit Griffin (Jeremy London), einem etwas lahmarschigen Gelegenheitsmechaniker mit einem Haufen Schulden. Bailey (20), der zweitälteste der Salingers, hat massive Alkoholprobleme, die ihn auch schon beinahe ins Gefängnis gebracht hätten, und die 14jährige Claudia (Lacey Chabert) steckt mitten in der Pubertät, mit allem, was dazugehört: das volle Programm sozusagen.

Im Herbst 1994 startete die "Party of Five"-Serie im amerikanischen Fernsehen und in vielerlei Hinsicht spiegelt sich in ihr das Leben in der Ära Clinton wider, insbesondere das der amerikanischen Mittelklasse, das der "ordinary americans". Zur High Society, wie die Teenies in "Beverly Hills, 90210" gehören die Salingers eindeutig nicht, aber auch nicht zur jugendlichen underclass wie etwa die "Helden" und "Heldinnen" in "Dangerous Minds" (der dritten Samstagnachmittag-Teenie-Serie, die derzeit bei RTL läuft). In einer Zeit, in der auch und vor allem in den USA die Ehescheidungsrate dramatisch anwächst, desgleichen auch die Zahl der "single parent families", spitzt die personelle Konstellation in "Party of Five" die aus dieser Entwicklung resultierenden fundamentalen Veränderungen im US-amerikanischen Sozialgefüge sozusagen auf den Extrempunkt zu: Als "no parents family" fungiert der Clan der Salingers, eine soziologische Struktur, die vor 25 oder 30 Jahren wohl eher als eine (in diesem konkreten Fall aus der Not heraus geborene) Emanzipationschance interpretiert worden wäre, aber heute, in einer Zeit, in der die berühmten Maslow’schen Primärbedürfnisse immer stärker (wieder) an Gewicht gewinnen, für alle Beteiligten den alltäglichen Überlebenskampf nur noch komplizierter macht. Gerade weil sie vor so großen (individuellen wie kollektiven) Herausforderungen stehen, wachsen uns die handelnden Figuren in "Party of Five" letztendlich so sehr ans Herz.

"New Deal"-Version von "Beverly Hills"

Um es einmal ganz salopp zu formulieren: Wenn die "Lindenstraße" die "sozialdemokratische Version der `Schwarzwaldklinik´" ist, ist "Party of Five" die "New Deal"-Version von "Beverly Hills, 90210" eine teenie-soap, deren Heldinnen und Helden zwar auch ausnahmslos jung und hübsch sind, aber ebenso ausnahmslos mit ganz normalen Problemen zu kämpfen haben, mit Problemen, wie sie jeder hat, der keine reichen Eltern hinter sich weiß, die ihm zur Not unter die Arme greifen können. Der grenzenlose Egoismus der me-decade, der Jahre, die politisch von den (neo-)konservativen Regierungen Präsident Reagans und seines Nachfolgers Bush geprägt waren und deren ideologische Versatzstücke sich noch sehr deutlich in der "Beverly Hills"-Serie aufspüren lassen, machen in "Party of Five" Platz zugunsten eines neuen Altruismus, einer durch und durch humanistischen Grundeinstellung, die von der Prämisse ausgeht, daß zunächst einmal jeder, mag er auch manchmal ein ausgemachtes Ekel sein, eine Art Grundrecht auf sein eigenes bißchen Glück hat. Selbstverständlich haben auch Charlie, Julia, Bailey, dessen (Ex?)Freundin Sarah (Jennifer Love Hewitt), und natürlich auch Claudia und der kleine Owen mit schöner Regelmäßigkeit Zoff miteinander: Nicht selten durch äußere Umstände bedingt, wie beispielsweise ihre prekäre finanzielle Situation, aber sie halten dennoch zusammen, begreifen sich als eine Gemeinschaft, die die Aufgabe hat, sich um jedes einzelne Mitglied zu kümmern, wenn es in Schwierigkeiten gerät. Ein typischer 80er Jahre-Yuppie jedenfalls ist in "Party of Five" noch nicht aufgetaucht und er hätte wohl auch einen recht schweren Stand mit seinen Ansichten . . .

Wenn Massenmedien wie das Fernsehen gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln, reflektiert "Party of Five" mal mehr, mal weniger subtil den Wertewandel, der sich in den letzten Jahren im Amerika der Ära Clinton vollzogen hat: Die Raffgier der Reagan/Bush-Jahre wird immer unpopulärer, das Yuppie-Dasein immer weniger zum erstrebenswerten Vorbild. Mal sehen, ob auch einmal eine typische "Erwachsenenserie" diesen Wandel aufgreift 80er-Jahre-Kapitalisten-Opern wie "Dallas" oder "Denver" sind jedenfalls out wie noch nie.

Letzte Änderungen: 24.08.2006
Produziert von
Peter Pötsch