Nr. 9 / Dezember 1998

















Gästebuch


Kurztips

[mz] Während die Franzosen (allen voran das Pariser Label ODD Size) geradezu wild sind auf strenge deutsche Klänge (P16 D4, Tietchens, SBOTHI etc.) gibt es auch anderswo noch ein paar Überzeugungstäter die die Fahne der Avantgarde hochhalten. Staalplaat in Amsterdam/Berlin ist so ein Label. Asmus Tietchens/Achim Wollscheids "Repetitive Movements" mutet - wie zu erwarten - dem Hörer oder der Hörerin einiges zu: Tietchens ist der musique concrete verpflichtet. Auf "Repetitive movements" [Staalplaat] organisiert er die Klangskulpturen Wollscheids im Studio neu, dekonstruiert sie gleichsam. Das Ausgangs-material ist in Form von ‘hidden tracks’ den drei Kompositionen Tietchens zwischengeschaltet. Die eigentliche "Klangbewegung" findet in eben diesem Zwischenraum statt. Tietchens/Wollscheid: Musique concrete, white  noise, space.

[tb] Tarwater sind Ronald Lippok (auch bekannt von To Rococo Rot) und Bernd Jestram, die mit ihrem dritten Al-bum "Silur" [Kitty Yo/EfA] ihr Meisterwerk abgelegt haben. Ich habe jedenfalls selten eine solch gelungene Synthese aus so etwas wie Post-Rock, Electronica und blankem Pop, Dub im New Yorker Illbient-Stil, Trip-Hop, Filmmusik und Kraftwerk gehört wie auf diesem 12 Tracks starken Teil.

[tb] Seit gut einem Jahr am Start, erstaunt die Experimentierfreude, die V 2, das neue Label des Multimillionärs und ehemaligen Virgin-Chefs Kirk Branson, an den Tag legt.  Neben potentiellen Chartbreakern wie den walisischen Stereophonics und den rappenden Gravediggaz kümmert sich das Label auch um seltsame Gewächse wie z.B. Oli-vias Tremor Control oder das Nordlondoner Projekt Broken Dog. Mazzy Star, Nick Drake, Syd Barrett und die omnipräsenten Velvet Underground mögen Inspirationsquellen von Clive und Martine sein, die auf ihrem zweiten Album "Zero" [V 2/RTD] mit ätherischem psychedelischem Pop aufwarten. Sehr schön, vor allem das hitverdächtige "New year".

[fs] "Atemzüge" [Schott/Wergo] - schon der Titel spricht für sich. Wie Klang-Laut-Klänge ist es das reine phonetische Material, mit dem Dieter Schnebel hier wie sonst bastelt. Reine intensive Gesten, würde Artaud sagen, ein Schauspiel des Jetzt: Atmen, Röcheln, Seufzen oder Schnaufen, eine eskalierende Palette phonetischer Affekte, die das Maulwerk überhaupt produzieren kann. Daneben reizen die "Choralvorspiele I/II" für Orgel, Neben-instrumente und Tonband das ganze Frequenzband des Hörvermögens aus, gerade wenn die zahlreichen und nur vage zu assoziierenden sonstigen Klänge der vertraut/ unvertrauten Nebeninstrumente etwas verdichten, in das die Orgel gerne wütend einbricht und das Gefüge skandiert. Ein Spektakel, keine Frage.

[tb] Für den englischen Gitarrenpop sehr einflußreich, hierzulande jedoch nie so richtig wahrgenommen, wurden die schottischen Atzec Camera, deren Kopf Roddy Frame schon mit 16 in den englischen Charts stand: 1983 mit "Somewhere in my heart". Nach dem Ende der Band 1995, versucht sich Frame nun am Comeback unter dem eigneen Namen, wobei "The North Star" [Independiente/Epic] da weitermacht, wo Aztec Camera aufgehört ha-ben. Hübscher Gitarrenpop, allerfeinst arrangiert, mit jangling guitars und Frames angenehmer Stimme. Wobei der Eröffnungstrack "Back to the one" durchaus Hitqualitäten hat.

[lind] Keiner kann mit der Kick auf dem Beat und dem Hi-hat auf dem Off-Beat eine derartig hypnotische Spannung erzeugen wie der Plastikman. Kunst der Verzögerung, der Weg weist nach innen. Auf der neuen CD "Artifakts" [minus/Novamute] treten die trockenen, typischen Hawtin-Beats zurück hinter atmosphärischen Zirkeln , liquiden, endlosen Schleifen, die kaum merklich wandeln, und in ihrer entatischen Selbstversunkenheit meditativ wirken: Zen oder die Kunst, Q-Base zu programmieren. Sag Dub dazu oder auch Meisterstück....

[tb] Einer meiner Lieblingstracks dieses Jahr war der Smash-Hit "Ooh la la" der englischen Wiseguys, eine ge-lungene Mischung aus Dancefloor und Exotica, ein zwingender Ohrwurm. Die Wiseguys sind eigentlich der aus der HipHop-Szene kommende DJ Touché alias Theo Keating und Paul Eve. Nachdem man sich getrennt hat, be-streitet Touché gemeinsam mit Gästen wie den Rappern Sense Live und Season das Projekt allein. "The Antidote" [Wall Of Sound/Connected] heißt das neue Album der Labelmates der Propellerheads, das sowohl der HipHop-Fraktion (klasse: "Experience") als auch den Big-Beat-Fans gefallen könnte, wie die Auskopplung "Start the commotion" zeigt. Funky as hell und mit gutem Gespür für den ein oder anderen Einstz diverser Gimmicks und Soundtrackschnipsels.

[fs] "The Pool K III" [alga marghen/Staalplaat] enthält Sounds eines swimming-pools, die in den 50er und 60er Jahren von Brian Gysin, der als Erfinder der "Dream Machine" (1959) und als Wegbegleiter von Burroughs und Sommerville Furore machte, mit "unidentified musicians" produziert wurden: 7 under-water Aufnahmen ("a"-"g") plus "wind" (ein 2minütiger Sturm), die ma-schinelle Quellen (Echolot oder Getriebe) ebenso vermuten lassen wie, sofern überhaupt möglich, konventionelle Instrumente: Ein gelungenes Experiment.

magoo.jpg (9600 Byte)[mz] Bei Chemikal Underground sind die hysterischen Indie-Lärmer Magoo neben den Labelchefs Delgados für die Popabteilung zuständig. Auf "Vote the Pacifist Ticket Today" [Chemikal Underground/EFA], ihrem zweiten Album , geben sie sich gelassener, psychedelischer als auf ihrem Erstlingswerk "The Soateramic Sounds of Magoo". Bereits das Eröffnungsstück wartet mit "Bah bah bah"-Hintergrundschören auf. "Swiss Border Escape" hebt ein nettes, kleines Örgelchen in den Vordergrund und "Holy Smoke", die von John Peel gepushte erste Single vom Album, rockt und zwar hysterisch. Daß sich Magoo dabei immer auf dem schmalen Grat zwischen Genialität ("Vote the Pacifist Ticket today", "Pink Dust") und abgehangener Sixties-Inspiration (vor allem was den Gesang angeht) bewegen , macht vielleicht gerade den besonderen Reiz der vier Norwicher aus, läßt ihre Album aber immer wieder zu einer musikalischen Achterbahnfahrt werden. Einer Achterbahnfahrt, die auch dem Sixties-Süchtigen Kramer gut zu Gesichte stehen würde.

[tb] Aus Nürnberg kommt das jüngste signing des erfolgreichen englischen Big-Beat-Labels Wall Of Sound (Propellerheads, Wiseguys). Mit "Selected Funk" [Wall Of Sound/Connected]  debütieren Martin Kaiser und Tommy Yamaha alias The Strike Boys beim britischen Label. Ziemlich funky kommen die 10 Tracks daher, die Electro und Disco genauso zitieren wie House und HipHop. Ob man das nun Big Beat nennen will oder was auch immer? Wo "Jet Set" an französischen House à la Etienne de Crecy erinnert, offenbaren andere Stücke Seventies-Roots oder man unternimmt Ausflüge ins Dub-Land.

[mh] Die ist nicht meine Tasse Tee. A.D.O.R.s "Shock Frequency" [Cup Of Tea Records/Connected] klingt dünn und erinnert mich schmerzvoll an Essig-Jazz-Zeiten. Damals klang jedes Cabrio nach Capucchino und Live-Hip-Hop wude von Live-Bands unterstützt: Brrrrr! Natürlich findet sich auf dem Album auch das eine oder andere Sahnestückchen, so zum Beispiel "Ruthless Confrontation", das aber letztendlich doch nach frühen Jungle Brothers klingt. A.D.O.R. haben sich zwar wohlklingende Producer besorgt, doch irgendwie vermögen es selbst Diamond D und Pete Rock nicht, mir diese bittere Tasse Tee zu versüßen. Schock-Frequenzen gehen, glaube ich, anders.

[tb] Ich weiß nicht, was es ist, aber die Songs des blutjungen, von den Freunden aus dem Hause Buback entdeckten, Songwriters Patrice erinnern mich an die Lieder des vor zwei Jahren verstorbenen schwarzen kalifornischen Straßenpoeten Ted Hawkins. "Lions" [Yo Mama/RTD] heißt die Mini-CD mit vier Tracks (und drei Versionen). Sparsam instrumentiert und sehr fein von Mathias Arfmann (Kastrierte Philosophen) produziert, verbindet der 19jährige Patrice Babtunde akustischen Reggae mit Blues und Folk, ohne daß das nun abgegriffen oder altbacken daherkäme. Im Gegenteil, das swingt ganz schön.

[lind] Schon älteren Datums, aber mitunter eine der es-sentiellsten Veröffentlichungen des Jahres ist "CD 1" [Kiff SM/Connected] von Pole. Irgendwo zwischen Rauschen, Schleifen und der Berliner Minimal Dub-Schule des Palais-Schaumburg-Dissidenten Moritz von Osswald angesiedelt. Radikal und gut!

[tb] "Nobody? No!" [AtaTak/EfA] heißt das jüngste Werk der Düsseldorfer A Certain Frank, dem neuen Projekt von Frank Fenstermacher und Kurt "Pyrolator" Dahlke, die einst zusammen mit dem inzwischen in München lebenden Maler Moritz R das fantastische Düsseldorfer Pop-Projekt Der Plan bildeten. Inzwischen sind die beiden beim Club-Pop gelandet und hantieren mit House, Exotica, ein bisserl Drum & Bass, ein wenig Soundtrack-Sauce und so etwas wie Acid-Jazz (was Kollege Habba in seiner bewärhten Mischung asu humorig und abwertend "Essig-Jazz" nennt, hmm?) und Anderem herum, wobei dann auch mal sehr schön bei "It`s" De La Soul gesampelt wird.

[mz] "The place is glacial" [Touch and Go/EFA] heißt das jüngste Album der US-Amerikaner Seam. Es ist das erste musikalische Lebenszeichen seit knapp drei Jahren, seit "Are you driving me crazy?" um genau zu sein. Musikalisch hat sich wenig verändert: Schwebende Feedbackgitarren, Noiseausbrüche und der dezent in den Hintergrund ge-mischte Gesang prägen das musikalische Geflecht von Chris Manfrin, Sooyoung Park & Co. Anspieltips: "Kanawha", "Nisei Fight Song".

[tb] Es war ein Mords-Spaß, die guten 22-Pistepirkko nach so vielen Jahren endlich wieder einmal, im Münchner Backstage, live zu sehen. Immerhin hatte ich, ge-meinsam mit einer Handvoll anderer Glücklicher (hallo EfA-Suzie!) das Glück, die drei seltsamen Finnen bei ihrem legendären (jawohl!), allerersten Deutschland-Konzert anno 1989 auf der Berliner Messe BID zu sehen und später in Konstanz gar selber zu veranstalten. Nun, eigentlich haben sich die Brüder Asko und PK und ihr Freund Espe nicht groß verändert, sieht man mal vom vermehrten Einsatz von Elektronik ab, der die seltsamen Songs der Marienkäferchen mit den 22 Punkten (so, wenn ich mich recht erinnere, die öbersetzung des Namens, oder hieß es "22 Marienkäferchen"?) naja, modernisiert. Auf jeden Fall ist "Eleven" (Clearspot/EfA] wieder ein feines Album geworden. Das schöbe Cover mit den Tigern haben übrigens unsere beiden Freunde Timo und Vilunki von Larry & The Lefthanded gestaltet.

[lind] "The State Of Emotion, Vol. 6" [EfA] ist ein lässiges Teil, das zu benutzerfreundlichem Preis, die vorbildliche Arbeit des EfA-Dance-Elektronik-Departments dokumentiert. Eine Doppel-CD gespickt mit Kostbarkeiten der vertriebenen Labels von Sub Rosa bis WordSound, von Mille Plateaux zu Rephlex. Need we say more?

crocket.jpg (10550 Byte)[tb] Wie die Tindersticks und Nick Cave haben sich auch die amerikanischen Geat Crusades dem bedeutungsschwangeren, pathetisch aufgeladenen Pop verschrieben. In besseren Momenten klingt "The first spilled drink of the evening" ( Trocadero/East West) wie das Album vierer Cave-Zöglinge (z.B. beim opener "When the stars have run out the souls"), auf der anderen Seite greifen die Vier dann auch schon mal in die Kiste Schweinerock & Co. wie beim Song "The Great Crusade", wo dann auch schon mal ein besonders abgegriffenes Gitarrenriff kreisen darf. Durchwachsene Platte also. [tb] Wie die bekannteren Label-Kollegen Stereophonics kommen auch die Crocketts aus Wales, die auf ihrem De-büt "We May Be Skinny & Wirey" eine seltsame Melange aus Punk, Folk, (ja so was wie) Country und Lärm-Pop an-rühren. Die Clash und Pogues kommen einem ebenso in den Sinn wie die Levellers und die frühen New Model Army, wobei das Ganze dann doch wesentlich stilisher daherkommt als bei den letztgenannten. Höre das sehr schöne "Explain" oder das explosive "Will you still care", das schon auf ihrer ersten EP "Hello and good morning" zu finden war.

ramirez.jpg (11585 Byte)[lind] Auch unser Ravensburger Kumpel Mellokat hat zum Erstschlag ausgeholt: Unter dem doppelt ansprechenden Namen sub.version records veröffentlicht er die besten Tracks seines Bruders Cornelius Klaus, hier also Basslab Productions. "Midnight x.press" bringt experimentellen Drum & Bass, dubbige Effekte, dumpfe Bässe. Massive! Schreibt an: suversionrec@hotmail.com. [tb] Latin, Soul, Funk, ein wenig Drum & Bass und viel Pop - "Distant Dreams" heißt das Debütalbum der 27jährigen Karen Ramirez, mit dem die schwarze Britin mich voll ins Herz trifft. Bei manchen Stücken wie der ersten Single "Troubled Girl" oder ihrem Hit "Looking For Love" klingt die sympathische Sängerin wie Sade oder wie Nicolette, was für die wandlungsfähige Stimme spricht. Ansonsten sind ihre Songs absolut eigenständig, auch wenn gerade die Covversion von Everything but The Girl (Looking for love) ein Hit ist. Auch live überzeugt Karen Ramirez, trotz schlechter Abmischung im Vorprogramm der Lighthouse Family im Münchner Circus Krone. Nächstes Frühjahr ist eine Clubtour geplant!

[tb] Ziemlich seltsam, was Max Goldt gemeinsam mit Stephan Winkler unter dem Projektnamen Nuuk (= Hauptstadt von Grönland) musikalisch anstellt. "Nachts in schwarzer Seilbahn nach Waldpotsdam"

[Traumton/Indigo] heißt diese erste Zusammenarbeit der Beiden, die mich als alten Goldt-Fan etwas ratlos zurückläßt. Nichts gegen Schwermut in der Musik, aber das kommt mir, im Gegensatz zu den alten Foyer-des-Artes-Werken allzu dü-ster daher und klingt über weite Strecken überambitioniert. [tb] So ganz nachvollziehen kann ich den Hype um die Würzburger Band Miles zwar nicht, nett ist deren neues Album "The Day I Vanished" [V2/RTD] aber schon. Hübscher, von den Beatles und jüngeren Brit-Bands beeinflußter Whimp-Pop mit einem sanften Sänger, der sicherlich so manches Mädchen-Herz zu brechen in der Lage ist. Bei I`m an astronaut" müßten doch eigentlich ganze Sturzbäche von Mädchentränen die Clubs der Republik füllen, oder?. Und eigentlich klingt das ganze auch ziemlich erfolgversprechend.

[mz] Compilations sind ja meistens so eine leidige Sache, bestehen zu 80 Prozent aus bekannten, wild zusammengewürfelten Stücken und ein, zwei unveröffentlichten Raritäten, wegen denen man den Schmarrn dann kauft. Was sollte also an Tindersticks "Donkeys 92-97"

[Mercury] anders sein. Nun, zunächst einmal relativ wenig: Natürlich gibt es auch hier die ein, zwei Raritäten (u.a. ein Duett mit Isabella Rosselini!) und natürlich wird auch hier mehr oder weniger chronologisch der Bogen von den Anfängen ("Marbles") in die Gegenwart ("Bathtime") geschlagen. Andererseits wirkt "Donkeys" keineswegs wie eine reine Compilation, eher wie ein geschlossenes Album, was vielleicht auch daran liegt, daß man auf vieles verzichtet hat, was durchaus auch noch auf diesem Al-bum vertreten hätte sein können (man denke nur an die Townes Van Zandt Coverversion "Kathleen"). "Donkeys" läßt die verflossenen Asphalt Ribbons in einer rauheren Version von "Patchwork" noch einmal auferstehen und bringt mit "No more affairs", das vielleicht herzerweichenste und schönste Stück der Tindersticks überhaupt, auf französisch noch einmal ins Gedächtnis zurück. Lediglich auf "Travelling light" mit der unsäglichen Carla Torgerson (von den Walkabouts) hätte man verzichten können, aber vielleicht ist das ja auch zuviel verlangt. [tb] Eher enttäuschend finde ich das Remix-Album "Lollo Rosso" [V 2/RTD] der High Llamas, auf dem Llama-Kopf Sean O`Hagan befreundete Musiker an das Material der Briten herangelassen hat. Trotz eindrucksvollem Line-Up von Mouse On Mars und Schneider TM über den japanischen Elektro-Weirdo Cornelius, die Briten Stockhausen & Walkman und den Experimental-Gott Jim O`Rourke bis hin zum Franzosen Kid Loco reicht. Fans müssen das Album natürlich trotzdem haben.

[tb] Schwer und mächtig rocken die Gitarren und eine Stimme erzählt uns was von der Pubertät ("Pubertäterä") oder röchelt: "Bitte halt mich fest, denn ich bin...(Pause) ...dermaßen voll". Naja, ganz so schlimm ist es ja nicht, was Pendikel auf ihrem Album "Phantasievoll (aber un-praktisch)" [bluNoise/EfA] anrichten. Doch wer braucht die Mischung aus rockendem Kreuzüber, Deutschrock und unverstandenem Diskurs-Rock? Zwei der vier Musiker sitzen übrigens in der Redaktion des Umsonst-Musikblattes INTRO. Ähem?! - LEESON wird seine LeserInnen verschonen, selber Musik zu machen. Versprochen? Naja, ausgenommen unsere Glamour-Twins Hablizel und Linder, die trotz ihrer Aktivitäten als Rapper respektive Saxofonist, die Musikwelt mit CDs verschont haben. Bislang jedenfalls.....

[tb] Die Stimme erinnert frappant an Tom Waits, ansonsten hört man dem Songwriter Jon Dee Graham auf "Escape From Monster Island" [GlitterhouseTIS/eastwest] schon seine texanische Herkunft an. Der Mann aus Austin hält`s mit countrygetränkten Rockballaden und eleganten midtempo Songs. Spezialisten werden den Namen vermutlich kennen, war Graham doch einst mit seiner eigenen Band, den True Believers unterwegs. Feines, klassisches Austin-Album!

[mz] Portishead live, kann das funktionieren? Ja! "PNYC" [Motor], Portisheads Live-Mitschnitt eines Konzertes im Roseland Ballroom in New York City im Juli 97 ist das bessere zweite Album, was nicht nur daran liegt, daß knapp die Hälfte der Stücke vom ersten Album stammen. "PNYC" hat Soul, hat Leben und zwar wesentlich mehr als das doch relativ steril geratene zweite Portishead-Werk. Gibbons, Barrow & Co vereinen auf "PNYC" das beste was sie zu bieten haben: Orchestrale Soundtrack-Versatzstücke, Music-hall-Einflüsse und Soul mit einer aus dem Jahre 1994 kolportierten Vorstellung von Beats.

[mz] Während Sarah Peacock, Daren Seymour und Justin Fletcher mit Seefeel (im Verbund mit Mark Clifford) einer unglaublichen, spannungsgeladenen, elektronischen Ambient-Trip-Out-Musik nachjagen ist Scala gleichsam die popmusikalische Ausformulierung der drei Soundtüftler. Eine Art Laika meets Massive Attack mit üppigen Streicherarrangements und Gitarrenschleifen. Auf "To you in Alpha" [Too Pure/RTD], dem lang ersehnten Too-Pure-Debütwerk, bewegen sie sich dann auch in diesem musikalischen Fahrwasser, türmen Gitarrenschleifen zu wuchtigen Soundwällen, vermischen fette Beats mit Sarah Peacocks engelsgleichem Gesang. Mitunter hätte man in Anbetracht der gewaltige Debütsingle "VDT" zwar ein paar Wagnisse mehr gewünscht, nichtsdestotrotz schrauben sich die repetitiven Too-Pureschen Rhythmusexzesse hartnäckig in die Gehörgänge.

[tb] Für einmal hat auch das Alte-Tanten-und-angehende Deutschlehrer-Blatt "Die Zeit" recht, bezeichnet man die Steve Westfield Slow Band, doch nicht ganz untreffend als "vielleicht einzige Alternative-Artrock-Band der Welt". Mit einer haarsträubenden Instrumentierung, inklusive Tuba, Posaune, Lap-Steel-Guitar und Vibraphon entführt uns der 33jährige Bostoner Musiker auf "Stuporstar" [Glitterhouse/TIS/eastwest] in seine sehr bizarre Klangwelt. Die kann mal an die Slow-Country-Stücke der Palace oder den Simon-And-Garfunkel-Meets-Felt-Pop der schottischen Belle & Sebastian (klasse Konzert auf der Münchner Praterinsel!) erinnern oder auch mal krautrockiger, in-klusive endloser Gitarrensoli daherkommen. Wenn es dann auch noch jazzy wird, dann ist die Verwirrung komplett. Zudem ist das ganz lustig: "The TV is my shepherd...".

shudder.jpg (17701 Byte)[tb] "First Love, Last Rites" [epic/Sony] ist nicht das neue, reguläre Album der Shudder To Think sondern der Sound-track zum gleichnamigen Film, bei dem das Washingtoner Trio von einer stattlichen Anzahl bekannter Kollegen als GastsängerInnen begleitet wird. Liz Phair und Nina Persson (von den Cardigans) sind ebenso mit von der Partie wie der verstorbene Jeff Buckley, Billy "Smashing Pumpkin" Corgan oder Matt "The The" Johnson. Weniger heftig als bei Shudder üblich gibt`s hier klassische Rocksongs mit Country- und Folkeinflüssen. Wunderschön!

[tb] Früher machte Malka Spigel mit ihrer alten Band, den belgisch-israelischen Minimal Compact dunklen Post-Wave (sehr empfehlenswertes Album von 1984: "Deadly Weapons"). Inzwischen hat Frau Spigel zusammen mit ihrem Ehemann Colin Newman (der einstige Kopf der grandiosen englischen Wire) das innovative Swim-Label gegründet, das im weitesten Sinne auch mit elektronischer Musik hantiert. "My Pet Fish" (Swim/EfA] heißt die jüngste Soloplatte von Malka Spigel, auf der sie durchaus an ihre Zeit bei Minimal Compact anknüpft, 80s Pop mit moderneren Klängen mischt und so ein ziemlich schönes Album vorlegt.

condemek.jpg (14967 Byte)[fs] Wer meint, der klassische Industrial habe mit SPK oder Whitehouse das Zeitliche gesegnet und sei fließend-lautlos in den Techno übergegangen, der irrt gewaltig. "Technological Shack Job" [Funtional Org/Tesco] von ConDemek erinnert mit seinen hypnotischen Beats eindrücklich an die Phase von SPK, bevor das Kollektiv sich aufs poppige Terrain wagte. Scheiben wie "Information Overload Unit" und "Leichenschrei" sind bei den sechs Parts von "Christian Phonesex", die die CD immer wieder durchkreuzen, ebenso präsent wie bei "Full" oder "Maxball". Zudem glänzt auch Lee Ranaldo (Sonic Youth) bei "Strategies Against Communication" mit einem ausgezeichneten Gastauftritt, der den retardieren Rhythmus mehr als bereichert: US-Industrial in Reinkultur.

[tb] "Zur Hölle Mama" [Trikont/Indigo] heißt die dritte Folge mit "Perlen deutschsprachiger Musik", die der bayrische Literat Franz Dobler zusammengestellt hat. Ein sehr durchwachsener Sampler, der neben gutem, allerdings auch längst bekanntem Stoff von Fink, Knarff Rellöm, Isar 12 oder den Kinderzimmer Produtions auch viel mittelmäßiges und völlig unnötiges Zeug bringt wie das Hörspiel von Halb, die drögen Herbst In Peking oder die überschätzten Freundeskreis. Der schwächste Sampler so far!

tornados.jpg (21093 Byte)[tb] Brit-Pop, die Sixties! Mit eine der richtig legendären Combos der Vor-Beatles-Zeit waren die Tornados, grandiose Soundeskapisten und Instrumentalinnovatoren, ne-ben denen die gerühmten Shadows die reinsten Waisenknaben waren. Unter dem Titel "Telstar: The Complete Tornadoes" [Shack/Edel] gibt`s nun erstmals auf 2 CDs alle 65 Stücke der Band, darunter ihr Riesenhit "Telstar" aber auch B-Seiten, outtakes und das bisher unveröffentlichte "Red Rocket".

[tb] Spielkreis Berlintokyo ist das Label der Galerie Berlin-tokyo, einem Kunst-Kultur-Projekt am Hackeschen Markt. Nach einem ersten Sampler und einem schön aufgemach-ten Heft gibt`s jetzt "Spielkreis 03" [Bungalow/EfA], den Sampler, auf dem amüsante Pop-Terroristen, Lo-Fi-Gladiatoren und Elektro-Teufelchen wie das Jeans Team, die Looney Tunes, Fusions, Rope, der Lo-Fi Generator oder Stereo Total versammelt sind. Eine hübsche Compilation. Infos zum Spielkreis: Tel. 030 - 4489435.

[tb] Franzosen-House rules! Daft Punk und Superdiscount lenkten im vergangenen Jahr die Blicke Richtung Seine. Dort lebt auch Gilb-R alias Gilbert Cohen alias "Cheek", gefragter Remixer, House- und Drum-And-Bass-Produzent, Gründer sowie Chef von Versatile Records, dem Label, das I-Cube herausgebracht hat. Vorliegender Sampler (Elektro Motor) stellt die bisherigen Produktionen des 1996 gegründeten Labels vor: astreiner Franzosen-House mit Disco-, Elektro- und Drum-And-Bass-Exkursionen. Neben I-Cube und dem Chef persönlich gibt`s acts wie Mike 303, Pepe Bradock oder Delit-K zu entdecken.

[fs] Die Hommage an den Maler Kurt Kocherscheidt, dessen abstrakten Werken Wolfgang Rihm seine Inspirationen für "Kolchis" (1992) und "Dritte Musik" (1993) verdankt, stellt schwarze, schöne Melodielandschaften her, die eigentlich nichts anderes beschreiben, als sich selbst und die ihre Energie aus dem steten Wandel von einem Intensitätszentrum zum anderen schöpfen. Bewegung und Ruhe, Klang und Verklingen - "Antlitz" und "von weit" (beide 1993) - das ist das zarte Gewebe: ein Gepräch zwischen Kosmos und Erde oder Luft und Atem, das mit Leichtigkeit schwebend, trotzdem nie seinen gründenden Selbststand verliert: Ein eindrucksvolles Werk. : "Imaage-Echo, Bilder-Echo" [Schott-Wergo].

[tb] Lieben Sie auch 10-inches? Ein schönes Exemplar dieses Schallplattenformats zwischen Singles und LPs (für die jüngeren unter den LeserInnen: Schallplatten sind die runden, schwarzen Dingern mit dem Loch in der Mitte!) hat das herzige Trio SteffiHamburg gerade veröffentlicht. Auf "The Fantastic World Of Fishing" [Uli Klammt, Am Brunnenhof 30, 22767 Hamburg, Tel. 040-43252185] spielen Kerstin, Christiane und Uli erfrischenden, schrammelnden POP in großen Buchstaben. Schön. Die würde ich, wenn ich könnte, mit den Würzburger Miles zusammen auf Tour schicken.

[tb] "Turbo Beats" [Cup Of Tea/Connected] heißt die Com-pilation von Scott Henry, seines Zeichens DJ der Purple Penguin, der hier ziemlich klasse Breakbeats, HipHop und Instrumental HipHop von seinen Labelmates bei Cup Of Tea Records und dem neuen HipHop-Label Uppercut mischt. Smoothe Beats und cooles Gescratche, aufge-nommen bei einer Clubnacht im Blue Mountanin in Bristol.

[tb] Donna Neda und Donna Maya sind Die Patinnen, ein DJane-Duo, das anscheinend, so das Pressinfo, seit einigen Jahren die Hamburger mit furiosen DJ-Sets beglückt. Was die Ladies mit ihren zur CD geronnenen "Murder Beats, Vol. 1" [Disko Grönland/Indigo] beweisen wollen. öbrigens kein DJ-Mix-Album sondern eigene Sounds/ Songs, die mit den Vokabeln "Freestyle/Soundtrack" ganz gut beschrieben sind: Filmmusikartiges, Drum & Bass, brechende Beats und mörderische Rhythmusschleifen. Wobei dann auch schon mal (habe ich richtig gehört?) die Hamburger Slow-Country-Band Fink, gesampelt wird? Gute Platte!

[tb] "Blech" [Clearspot/EfA] heißt das Debütalbum der Hamburger Band plexiq, die elektronische Musik im Band-format produziert. Was sich schlimm anhört (von wegen "handgespieltem Drum & Bass" oder so) klingt gar nicht so unspannend. Breakbeats und Drum & Bass, ein wenig House und poppige Electronica, manchmal ein bisserl Indie-Rock-Gitarren. Angenehmes Album.

[tb] Mit Add N To X und Scott 4 hat das englische Label Satellite Records leider schon früh seine besten Kräfte an die Majors respektive an größere Indies verloren. Ob die englisch-deutschen Karamasov mit "On Arival" und der Brite Yossarian mit "Elegant Time" [beide: Satellite/Indigo] in die Lücke stoßen können, wage ich zu bezweifeln. Erstere versuchen sich am Post- und Kraut-Rock, während Tim London aka Yossarian post-psycehdelische Sounds-Spielchen betreibt, was zugegeben nicht ganz unhübsch ist. Mr. London sollte sich vielleicht mit Herrn Julian Cope zusammen tun zum gemeinsamen Pilzverzehr.

[fs] Elektronische Musik ist ohne György Ligetis "Artikulation" [Schott-Wergo] aus dem Jahre 1958 gar nicht vorzustellen. Auch wenn dieser "Sphäriker" eher durch die Klassiker "Atmosphere" und "Lux aeterna" (in Kubricks "2001") bekannt geworden ist (unter Bernstein/Ormandy kunstvoll von Subotnik elektronisch verziert). "Artikulation" ist zwar auch auf der Geburtstagsedition (6 CDs, Wergo) erschienen, aber leider ohne optischen Leit-faden, der allein durch dieses 227-sekündige elektronische Sinus-Rauschen führen kann (Frequenzdiagramm, Hörpatitur und Hintergrundinfos via Booklet) und als Poster (Hör-patitur, kostet leider extra) jede Räumlichkeit verziert: Akustisch und optisch eine Perle.

[tb] Kurz vor Redaktionsschluß flattert mir noch eine sehr schöne CD ins Haus, die all jene, die vielleicht von der neuen Combustible Edison eher enttäuscht sind, erfreuen sollte. Dodo nennt sich eine junge Dame aus London, die anscheinend früher bei der eher mäßigen Popcombo "The Beloved" getrommelt hat und die auf "The Android`s Dream" [Sideburn/EfA] elektronische Soundlandschaften entwirft, in denen sich Space-Sounds, Exotica, Easy-Listening-Pop, Drum & Bass und vieles mehr tummelt. Interessant: der gelegentlich recht exzessive Einsatz eines Theremins, jenes skurrilen frühen Synthesizer. Klasse Album!

[mz] Langsam beginne ich diese Jungs aus München wirk-lich zu mögen: die jüngste Veröffentlichung "Thonträger" [Blickpunkt Pop/Semaphore] der fußballwahnsinnigen Sportfreunde Stiller geht ins Ohr und bleibt auch dort! Warum muß ein Power-Pop-Hit nicht mehr als drei Akkorde haben? Warum sind Sportfreunde Stiller so ein Art Kreuzung aus Supergrass und Tocotronic und was hat Jack Kerouac zusammen mit Olaf Thon auf einer Mini-CD von Stiller zu suchen? Fragen, die die drei Sportfreunde im Eiltempo zu beantworten wissen und zwischendurch sogar noch eine herzzerreißende Protest-Ballde hinbekommen ("Jetzt haben wir’s euch gezeigt"). Tatsächlich, denn jetzt heißt es gespannt sein auf den ersten Long-player der drei Münchner. Coole Sixties Garagentunes sind das Markenzeichen einer anderen Band aus München, der Chamberdeacons, die auf "Gigant 200" [Blickpunkt Pop/Semaphore] "The sound of silence", diesen verdammten Schweineohrwurm von Simon & Garfunkel, elektrifizieren, ansonsten an die amerikanischen Miracle Workers, sowie diverse andere Neo-psychedelische Bands erinnern, und mit "She moves slowly" einen kleinen Sixties-Hit ihr eigen nennen.

[tb] Vielleicht nicht ganz so zwingend wie der Erstling "Rockers To Rockers" schwingt aber auch "Overproof" [WEA], das neueste Werk der Birminghamer Rockers Hi-Fi gekonnt zwischen Dub, Drum & Bass, P-Funk und HipHop der englischen Art. Die ausgekoppelte Single "Transmission Central" klingt, als hätten die Briten einen House-Kursus bei den Buben von Daft Punk belegt. Insgesamt großer, guter Dance-Stoff jedenfalls!

[fs] Der Meister des Hochfrequenz-Minimal-Techno treibt wieder sein Unwesen. Nach zwei grandiosen Veröffentlichungen auf dem Londoner Avantgardelabel Touch (The Hafler Trio, Strafe Für Rebellion) mit "0.0 Degrees" und "+/-" ist Ryoji Ikeda nun auch exclusiv auf Staalplaat mit seiner Doppel-MiniCD vertreten. "Time-space" ist ein hochfrequent-sphärisches Projekt, das man nicht einmal begrifflich zu fassen bekommt, da es sich immer wieder erfolgreich in ein entrücktes Schweben von Zeit und Raum verflüchtigt. Übrig bleibt letztlich eine faszinierende Impression, die es in sich hat. [fs] Diesesmal keine radical-string-music, wie man sie sonst von Jon Rose gewohnt ist. Seine fünfte Veröffentlichung auf RéR [EfA] gleicht eher einer kriegerisch-politischen Meditation über die nordirischen Freiheitskämpfe und die Teilung. "Horch, horch, lausche dem "Fence", es war einmal ein eiserner Vorhang, die Notwendigkeit der Teilung; sie nennen es die Friedenslinie, aber es ist auch die "Fence", und die geht durch Belfast". Geführt wird dieser rote Faden durch die vorwiegend deutsche Er-zählerstimme, die die unruhigen strings begleitet und doch eine gewisse Ausdauer voraussetzt. Nun ja.

vienna.jpg (24026 Byte)[tb] Kruder & Dorfmeister und Curd Duca, die Sofa Surfers oder die Herren Pulsinger und Tunakan - die Wiener Elektronik-Szene gilt seit einigen Jahren als umtriebige und innovative. Einen guten öberblick über die vielfältigen Ausdrucksformen dieser Szene gibt der Sampler The Eclectic Sound Of Vienna [Spray/BMG Ariola], auf dem neben Duca, Kruder (Peace Orchestra) und den Sofa Surfers auch Hans Platzgumer (mit Cube & Sphere) und viele weniger bekannte acts versammelt sind.  

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch