Nr. 9 / Dezember 1998

















Gästebuch


FAULIS RESERVAT

Als die Keyboards noch mächtig waberten…

Der Krautrock der frühen 70er wird rehabilitiert:
Neues von der Archäologenfront

von Norbert Faulhaber

Eine höchst innovative Phase in der Geschichte der deutschen Rockmusik waren die Jahre 1970-75, die Blütezeit des sogenannten "Krautrocks", als Bands wie Can, Tangerine Dream, Faust und Amon Düül II sozusagen in alle (musikalischen) Himmelsrichtungen experimentierten und damit sogar großen Erfolg hatten, wenn auch nicht im eigenen Land (in dem der Prophet bekanntlicherweise nichts gilt), sondern vor allem in Großbritannien, in Frankreich und teilweise sogar auch in den USA. Gerade wegen seiner "ty-pisch teutonischen" Ingredienzen kam die Rockmusik made in Germany im westlichen Ausland seinerzeit so gut an: Der bedeutungsschwangeren Schwere, die über den allermeisten Produktionen lastete, der Ernsthaftigkeit, mit der hier "Kunst" zelebriert wurde, und der Experimentierfreude, die nicht zuletzt daher rührte, daß es ja in der BRD keine traditionelle Pop-Kultur gab (und demzufolge sich die Musik vieler Bands mal mehr, mal we-niger subtil an der klassischen Musiktradition orientierte, die wiederum in Deutschland seit jeher einen ganz anderen Stellenwert besitzt als etwa in den USA).

 25 Jahre danach gibt es eine veritable "Krautrock"-Renaissance, wiederum vor allem in Großbritannien, wo viele Bands aus jener Zeit nun schon seit Jahren Kult sind. Amon Düül II haben sich wieder formiert, desgleichen Faust, und Tangerine Dream waren ja nie ganz weg vom Fenster, sondern profilierten sich vor allem in den 80er Jahren als Lieferanten von superben Soundtracks für diverse Hollywoodproduktionen ("Firestarter", "Near Dark"). Selbst neue Platten von den Heroen von einst gibt es wieder und nach und nach werden auch ihre alten Meisterwerke wieder veröffentlicht, fast ausschließlich auf CD, versteht sich.

Aber nicht nur die "Promis" von damals werden heute wiederentdeckt, sondern auch viele Bands, die es seinerzeit nie (oder nie so richtig) geschafft haben. Große Verdienste bei der archäologischen Suche nach verschollenen Schätzen hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren das Hamburger Label "Repertoire Records" erworben: Ein halbes Dutzend Re-Issues allein von Grobschnitt erschien in den letzten Monaten, vom gleichnamigen (`72er) Debüt bis hin zum legendären Live-Album Solar Music Live aus dem Jahre 1978. Über eine eingeschworene Kultgefolgschaft verfügt diese, sich seinerzeit schwer am britischen "Prog-Rock" à la Camel, Yes und (frühen) Genesis orientierende Truppe ja auch heute noch und für sie bleiben wahrlich kaum Wünsche offen: Mit vielen Bonustracks ist diese kleine Edition garniert und Grobschnitt-Mastermind Eroc höchstselbst bearbeitete die Wiederveröffentlichungen, um für eine optimale Klangqualität zu sorgen. Auch sein Solo-Sampler Wolkenreisen ziert selbstverständlich den neuen "Repertoire"-Katalog: Ein (CD-)Doppelalbum, ebenfalls vollgestopft mit Rarem und Unveröffentlichtem aller Art etwas für Jäger und Sammler, keine Frage.

Auch das rührige kleine Bochumer Label "Garden of Delights" macht immer mehr von sich reden, mit Wiederveröffentlichungen vor allem von Bands, die als Geheimtip zu bezeichnen noch eine arge Untertreibung wäre, von denen es aber viele verdient hätten, zumindest posthum noch zu Ruhm und Ehre zu gelangen: Arktis zum Beispiel, eine von 1973 bis immerhin Mitte der 80er Jahre existierende Combo, deren erste drei Alben mittlerweile erschienen sind. Insbesondere On the rocks von `76 ist eine richtige kleine Offenbarung: Symphonischer, keyboardlastiger Hardrock mit deutlichen Reminiszenzen an Bands wie Bloodrock, Qua-termaß oder auch Rare Bird, mit einem genialen Opening-Track ("Dangerous Love") und einem monumentalen 20-Minuten-Stück ("Loneliness"), bei dem die Band buchstäblich alle Register zieht. Eine ganze Menge unveröffentlichtes Material scheint es von dieser Band noch zu geben Stoff für weitere "Garden of Delights"-CD’s?
Aber der (bisher) verschollenen Schätze gibt es ja noch mehr: Das gleichnamige Debütalbum von Eela Craig beispielsweise (1971), einer ebenfalls sehr keyboardorientierten österreichischen Truppe, die es viele Jahre später sogar einmal zu einem richtigen kleinen Radiohit ("A spaceman came travelling") brachte, oder auch die erste und einzige LP der Gruppe Try ("Just a try"), die in ihren besten Momenten (beim Stück "Wreck on the wire" etwa) an Florian Fricke und seine unvergessenen Popol Vuh erinnerte. Aber auch Zyma wären hier zu nennen, eine mehr dem experimentellen Jazzrock zugewandte Gruppe, deren erstes Album Thoughts (von `78) sich stilistisch irgendwo zwischen Soft Machine und den frühen Caravan bewegt. Erwähnt werden müssen hier natürlich auch die schwer kultverdächtigen Gäa, von denen "Garden of Delights" etwas ganz besonderes ausgegraben hat: 20 Minuten einer unvollendeten LP von 1975, ergänzt durch einige wesentlich später entstandenen Stücke (Alraunes Alptraum).

Apropos ausgraben: Die einzigen Aufnahmen, die Kickbit Information, eine Art "Krautrock-Supergroup" mit u. a. Uli Trepte (Guru Guru, Neu!, Faust) und Carsten Bohn (Frumpy) je einspielte, sind unlängst bei "ATM-Records" erschienen (unter dem Titel Bitkicks) rund 50 Minuten freie Improvisationen unter Zuhilfenahme von Baßgitarre, Drums, Violine, E-Piano und diversen Flöten. "Psychedelic Review" heißt eines der Stücke und genauso klingt das Ganze auch: Sehr abgedreht, sehr avantgardistisch, aber auch sehr reizvoll.

Zu loben sind durchweg bei allen drei Labels die dicken, ex-trem informativen Booklets, erstaunlich ist (fast immer) die Klangqualität, wenn man bedenkt, wie alt die Aufnahmen sind. Mit viel Liebe sind diese musikalischen Relikte einer lange zurückliegenden Ära restauriert worden und zu hoffen ist, daß den Idealisten, die sich in diese Aufgabe gestürzt haben, auch irgendwann einmal die gebührende publizistische Amerkennung zuteil wird. Pionierarbeit im wahrsten Sinne des Wortes wurde hier geleistet und für jeden, der einmal vom "Krautrock"-Virus infiziert worden ist, öffnet sich hier eine wahre Fundgrube.

Weit abseits vom angloamerikanisch dominierten Rock-Mainstream existierte damals eine (deutsche!) Szene, die in ihrer Innovationsfreudigkeit und Experimentierlust ihresgleichen suchte und deren Platten seinerzeit oft nur in Insiderkreisen zirkulierten. Auch wenn der mehrfach erwähnte typisch britische "Progressive Rock" jener Zeit des öfteren den Referenzrahmen bildete, auf den sich die oben genannten Bands bezogen, so waren sie doch in in ihrer übergroßen Mehrheit alles andere als Imitatoren importierter Sounds wie auf oben erwähnten Platten unschwer zu hören ist.

Bezugsadressen:

• Repertoire Records & Garden of Delights (c/o Milestone): Adlerhorst 17, 22459 Hamburg
• ATM Records, P.O. Box 54, 28877 Grasberg
 

DISKOGRAPHIE

Arktis: On the rocks (1976/1998, Garden of Delights CD 022)
Eela Craig: Eela Craig (1971/1998, Garden of Delights CD 019)
Eroc: Wolkenreisen (1998, Repertoire Records REP 4710 WR)
Gäa: Alraunes Alptraum (1975/1998, Garden of Delights CD 025)
Grobschnitt: Grobschnitt (1972/1998, Repertoire Records PMS 7093 WP) Jumbo (1975/1998, Repertoire Records PMS 7094 WP) Rockpommel’s Land (1977/1998, Repertoire Records PMS 7095 WP) Solar Music Live (1978/1998, Repertoire Records PMS 7096 WP) Merry-go-round (1979/1998, Repertoire Records PMS 7097 WP) The Grobschnitt Story, Vol. 1 (1994/1998, Repertoire Records PMS 7092 WR)
Kickbit Information: Bitkicks (1975/1998, ATM Records 3823-AH)
Try: Just a try (1980/1998, Garden of Delights CD 027)
Zyma: Thoughts (1978/1998, Garden of Delights CD 026)

Letzte Änderungen: 24.08.2006
Produziert von
Peter Pötsch