FAULIS RESERVAT
Als die Keyboards
noch mächtig waberten…
Der Krautrock
der frühen 70er wird rehabilitiert:
Neues von der Archäologenfront
von
Norbert Faulhaber
Eine höchst
innovative Phase in der Geschichte der deutschen Rockmusik waren
die Jahre 1970-75, die Blütezeit des sogenannten "Krautrocks",
als Bands wie Can, Tangerine Dream, Faust und Amon Düül II sozusagen
in alle (musikalischen) Himmelsrichtungen experimentierten und damit
sogar großen Erfolg hatten, wenn auch nicht im eigenen Land (in
dem der Prophet bekanntlicherweise nichts gilt), sondern vor allem
in Großbritannien, in Frankreich und teilweise sogar auch in den
USA. Gerade wegen seiner "ty-pisch teutonischen" Ingredienzen
kam die Rockmusik made in Germany im westlichen Ausland seinerzeit
so gut an: Der bedeutungsschwangeren Schwere, die über den allermeisten
Produktionen lastete, der Ernsthaftigkeit, mit der hier "Kunst"
zelebriert wurde, und der Experimentierfreude, die nicht zuletzt
daher rührte, daß es ja in der BRD keine traditionelle Pop-Kultur
gab (und demzufolge sich die Musik vieler Bands mal mehr, mal we-niger
subtil an der klassischen Musiktradition orientierte, die wiederum
in Deutschland seit jeher einen ganz anderen Stellenwert besitzt
als etwa in den USA).
25 Jahre
danach gibt es eine veritable "Krautrock"-Renaissance,
wiederum vor allem in Großbritannien, wo viele Bands aus jener Zeit
nun schon seit Jahren Kult sind. Amon Düül II haben sich wieder
formiert, desgleichen Faust, und Tangerine Dream waren ja nie ganz
weg vom Fenster, sondern profilierten sich vor allem in den 80er
Jahren als Lieferanten von superben Soundtracks für diverse Hollywoodproduktionen
("Firestarter", "Near Dark"). Selbst neue Platten
von den Heroen von einst gibt es wieder und nach und nach werden
auch ihre alten Meisterwerke wieder veröffentlicht, fast ausschließlich
auf CD, versteht sich.
Aber nicht nur
die "Promis" von damals werden heute wiederentdeckt, sondern
auch viele Bands, die es seinerzeit nie (oder nie so richtig) geschafft
haben. Große Verdienste bei der archäologischen Suche nach verschollenen
Schätzen hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren das Hamburger
Label "Repertoire Records" erworben: Ein halbes Dutzend
Re-Issues allein von Grobschnitt erschien in den letzten
Monaten, vom gleichnamigen (`72er) Debüt bis hin zum legendären
Live-Album Solar Music Live aus dem Jahre 1978. Über eine eingeschworene
Kultgefolgschaft verfügt diese, sich seinerzeit schwer am britischen
"Prog-Rock" à la Camel, Yes und (frühen) Genesis orientierende
Truppe ja auch heute noch und für sie bleiben wahrlich kaum Wünsche
offen: Mit vielen Bonustracks ist diese kleine Edition garniert
und Grobschnitt-Mastermind Eroc höchstselbst bearbeitete die Wiederveröffentlichungen,
um für eine optimale Klangqualität zu sorgen. Auch sein Solo-Sampler
Wolkenreisen ziert selbstverständlich den neuen "Repertoire"-Katalog:
Ein (CD-)Doppelalbum, ebenfalls vollgestopft mit Rarem und Unveröffentlichtem
aller Art etwas für Jäger und Sammler, keine Frage.
Auch das rührige
kleine Bochumer Label "Garden of Delights" macht immer
mehr von sich reden, mit Wiederveröffentlichungen vor allem von
Bands, die als Geheimtip zu bezeichnen noch eine arge Untertreibung
wäre, von denen es aber viele verdient hätten, zumindest posthum
noch zu Ruhm und Ehre zu gelangen: Arktis zum Beispiel, eine
von 1973 bis immerhin Mitte der 80er Jahre existierende Combo, deren
erste drei Alben mittlerweile erschienen sind. Insbesondere On the
rocks von `76 ist eine richtige kleine Offenbarung: Symphonischer,
keyboardlastiger Hardrock mit deutlichen Reminiszenzen an Bands
wie Bloodrock, Qua-termaß oder auch Rare Bird, mit einem genialen
Opening-Track ("Dangerous Love") und einem monumentalen
20-Minuten-Stück ("Loneliness"), bei dem die Band buchstäblich
alle Register zieht. Eine ganze Menge unveröffentlichtes Material
scheint es von dieser Band noch zu geben Stoff für weitere "Garden
of Delights"-CD’s?
Aber der (bisher) verschollenen Schätze gibt es ja noch mehr: Das
gleichnamige Debütalbum von Eela Craig beispielsweise (1971),
einer ebenfalls sehr keyboardorientierten österreichischen Truppe,
die es viele Jahre später sogar einmal zu einem richtigen kleinen
Radiohit ("A spaceman came travelling") brachte, oder
auch die erste und einzige LP der Gruppe Try ("Just
a try"), die in ihren besten Momenten (beim Stück "Wreck
on the wire" etwa) an Florian Fricke und seine unvergessenen
Popol Vuh erinnerte. Aber auch Zyma wären hier zu nennen,
eine mehr dem experimentellen Jazzrock zugewandte Gruppe, deren
erstes Album Thoughts (von `78) sich stilistisch irgendwo zwischen
Soft Machine und den frühen Caravan bewegt. Erwähnt werden müssen
hier natürlich auch die schwer kultverdächtigen Gäa, von
denen "Garden of Delights" etwas ganz besonderes ausgegraben
hat: 20 Minuten einer unvollendeten LP von 1975, ergänzt durch einige
wesentlich später entstandenen Stücke (Alraunes Alptraum).
Apropos ausgraben:
Die einzigen Aufnahmen, die Kickbit Information, eine Art
"Krautrock-Supergroup" mit u. a. Uli Trepte (Guru Guru,
Neu!, Faust) und Carsten Bohn (Frumpy) je einspielte, sind unlängst
bei "ATM-Records" erschienen (unter dem Titel Bitkicks)
rund 50 Minuten freie Improvisationen unter Zuhilfenahme von Baßgitarre,
Drums, Violine, E-Piano und diversen Flöten. "Psychedelic Review"
heißt eines der Stücke und genauso klingt das Ganze auch: Sehr abgedreht,
sehr avantgardistisch, aber auch sehr reizvoll.
Zu loben sind
durchweg bei allen drei Labels die dicken, ex-trem informativen
Booklets, erstaunlich ist (fast immer) die Klangqualität, wenn man
bedenkt, wie alt die Aufnahmen sind. Mit viel Liebe sind diese musikalischen
Relikte einer lange zurückliegenden Ära restauriert worden und zu
hoffen ist, daß den Idealisten, die sich in diese Aufgabe gestürzt
haben, auch irgendwann einmal die gebührende publizistische Amerkennung
zuteil wird. Pionierarbeit im wahrsten Sinne des Wortes wurde hier
geleistet und für jeden, der einmal vom "Krautrock"-Virus
infiziert worden ist, öffnet sich hier eine wahre Fundgrube.
Weit abseits
vom angloamerikanisch dominierten Rock-Mainstream existierte damals
eine (deutsche!) Szene, die in ihrer Innovationsfreudigkeit und
Experimentierlust ihresgleichen suchte und deren Platten seinerzeit
oft nur in Insiderkreisen zirkulierten. Auch wenn der mehrfach erwähnte
typisch britische "Progressive Rock" jener Zeit des öfteren
den Referenzrahmen bildete, auf den sich die oben genannten Bands
bezogen, so waren sie doch in in ihrer übergroßen Mehrheit alles
andere als Imitatoren importierter Sounds wie auf oben erwähnten
Platten unschwer zu hören ist.
Bezugsadressen:
• Repertoire
Records & Garden of Delights (c/o Milestone): Adlerhorst 17,
22459 Hamburg
• ATM Records, P.O. Box 54, 28877 Grasberg
DISKOGRAPHIE
Arktis:
On the rocks (1976/1998, Garden of Delights CD 022)
Eela Craig: Eela Craig (1971/1998, Garden of Delights CD
019)
Eroc: Wolkenreisen (1998, Repertoire Records REP 4710 WR)
Gäa: Alraunes Alptraum (1975/1998, Garden of Delights CD
025)
Grobschnitt: Grobschnitt (1972/1998, Repertoire Records PMS
7093 WP) Jumbo (1975/1998, Repertoire Records PMS 7094 WP) Rockpommel’s
Land (1977/1998, Repertoire Records PMS 7095 WP) Solar Music Live
(1978/1998, Repertoire Records PMS 7096 WP) Merry-go-round (1979/1998,
Repertoire Records PMS 7097 WP) The Grobschnitt Story, Vol. 1 (1994/1998,
Repertoire Records PMS 7092 WR)
Kickbit Information: Bitkicks (1975/1998, ATM Records 3823-AH)
Try: Just a try (1980/1998, Garden of Delights CD 027)
Zyma: Thoughts (1978/1998, Garden of Delights CD 026) |