The Residents
von
Harald Fette
Nochmal von
vorne
Wer was auf
sich hält, macht eine CD-ROM. Keine Plattenfirma möchte den Anschluß
an die Datenhighway verpassen, kein Künstler den Trend verschlafen.
"Aus meiner
Perspektive" meint Hardy Fox von Cryptic Corporation in San
Francisco, "sind viele Popstars, von denen CD-ROM-Titel erscheinen,
gar nicht in das Projekt involviert. Eine Mannschaft wird angeheuert,
weil es modern ist, CD-ROMs zu pressen. Das Team hat keine Beziehung
zu den Dingen, die der Künstler macht. Sie zerren alles auf die
Compact Disc, was sich ihnen bietet. Am Ende macht der Popstar für
die CD-ROM noch Werbung - ohne selbst einmal reingeschaut zu haben."
Die von Hardy Fox produzierten Residents gehen anders vor. Stets
nutzten sie neue Techniken. Sie gehörten zu den ersten, die Synthesizer
bedienen. Sie testeten in ihrem Studio den ersten Emulator. Früh
nahmen sie ihre Stücke im Harddisk-Recording-Verfahren auf. Die
Residents sind Tester für Firmen von Computersoftware. Auf der allerersten
Entwickler-CD von Apple erschienen Animationen der Residents. So
entdeckten nicht nur eingefleischte Fan der Residents die Gruppe
in einem neuen Medium. Auch die Computerindustrie und Technikbegeisterte
schätzten die Pionierarbeit der Residents.
Ihr erster Titel auf CD-ROM, "Freakshow", wurde vergangenes
Jahr von Entertainment Weekly zur zweitbesten CD-ROM des Jahres
gewählt.Und sie wurde öfters gekauft als irgendeines der bisherigen
über zwanzig Alben der Gruppe.
Begonnen haben die Residents in den 60er Jahren. Sie arbeiteten
zunächst in der Filmbranche. Als sie anfingen, Musik zu komponieren,
interessiert sich keine Plattenfirma für den eigenwilligen Sound.
Was sie nicht davon abhielt zwei Singles als "Santa Dog"
zu pressen. Sie verschenkten die Scheiben an Freunde und Bekannte
zu Weihnachten.
Welche Musiker sich hinter den Residents verbergen, ist allerdings
bis heute ein gut gehütetes Geheimnis. Nur sporadisch beteiligte
Musiker liessen sich namentlich erwähnen: Snakefinger etwa oder
der in Avantgarde-Kreisen bekannte Schlagzeuger Chris Cutler, der
mit seinen dünnen Ärmchen ganze Horden von Rock-Schlagzeugern mühelos
von der Bühne trommelt.
Die Live-Konzerte stehen ganz im Zeichen der Maskierung. Skurrile
Bühnenbilder und Musiker,die ihre Gesichter unter Masken, die wie
Augäpfel aussehen, verbergen, machen aus einem Gig eine Performance.
Die Residents sind Meister des Minimalismus und der Verfremdung.
Kein Wunder, daß die CD-ROM für die Residents das ideale Betätigungsfeld
ist. Kein Wunder auch, daß Hardy Fox darauf setzt, daß aus dem Umgang
mit dem neuen Medium CD- ROM "ein neuer Künstlertypus hervorkommen
wird, der mit den derzeit angesagten Popstars so wenig gemeinsam
hat wie diese mit der Bigband-Kultur in den 40er Jahren".
Wer sich einmal die sterbenslangweiligen CD-ROMs von Herbert Grönemeyer,
BAP, David Bowie, und selbst die interessanteren von Prince oder
Peter Gabriel vornimmt, entdeckt immer dasselbe Schema: bereits
vorhandenes Material wie Songs, Bilder und Videos sind da mehr oder
weniger elegant aufbereitet.
Die Residents gingen dagegen mit ihrer ersten CD-ROM, "Freakshow",
neue Wege. Sie stellten die Musik in den Kontext der Freakshows,
wie sie bis in die 50er Jahre in den USA gegenwärtig waren. Wie
ein Zirkus tourten auch deren Wohnwagenkarawanen durch die Lande.
Mißgebildete Männer und Frauen mußten ihre Abnormitäten zur Schau
stellen.
Die CD-ROM ist wie ein Computerspiel gestaltet. Der Betrachter bewegt
sich durch die Show, dringt in die Wohnwagen der Freaks, um sie
zu beobachten und die Charaktere besser kennenzulernen.
Inzwischen sind die Residents vom neuen Medium CD-ROM völig begeistert.
Nach einer zweiten, aber weniger aufwendig gestalteten CD-ROM "Gingerbread
Man" arbeiten sie fieberhaft an ihrer neuen Produktion "Bad
day on the midway":
Rückendeckung
erhalten sie dabei von der neu gegründeten Firma Inscape aus Los
Angeles. Deren Motor ist Michael Nash, der früher im Museum von
Long Beach arbeitete und danach für Voyager, der derzeit anspruchvollsten
Firma für elektroniches Publizieren. Dort erschein auch "Freakshow".
Um den deutschen Vertrieb der Residents-Produkte kümmert sich das
Hamburger Label Euro Ralph, deren CDs von Indigo vertrieben werden.
Michael Nash hat in seiner Firma Inscape, die mit Warner Brothers
verquickt ist, gleich drei vielversprechende Projekte am Laufen.
Neben der neuen Residents entsteht unter dem Titel "The dark
eye" eine Alptraum-Geschichte, die von den Phantasien Edgar
Allen Poes zehrt. Und schließlich soll im Herbst, ebenso wie die
dritte CD-ROM der Residents, die erste von Devo erscheinen: "Devo
presents adventures of the smart patrol".
Bereits bei Voyager arbeitetem Michael Nash und Devo: eine Bildplatte,
die laut Gerald Casale von Devo die "definitive Compilation
mit allem, was Devo gemacht hat" sein soll.
Für Casale ist eine CD-ROM der Startschuß für die Wiederbelebung
von Devo (siehe Interview). Ebenso wie die
Residents machte auch Devo immer mehr als nur Musik. So glaubt Devo
an einen Neubeginn durch das Medium CD-ROM. Gerry ist Autor und
Regisseur der neuen Compact Disc für den Computer: "Ich mache,
was mir am meisten liegt. Ich habe bei Videos von Devo und zahlreichen
anderen Bands Regie geführt. Ich habe auch immer Geschichten geschrieben,
die ich gerne erzählen möchte."
Unglaubliche
Flut an Maschinen
Ein Interview
mit Hardy Fox, Verleger der Residents
von Harald Fette
Leeson: Nur
wenige Künstler basteln selbst an einer CD-ROM. Ist die ganze Technik,
die man dazu braucht, noch zu teuer?
Hardy:
Vor nicht allzulanger Zeit konnte noch niemand ein Album einspielen,
weil man in den Tonstudios eine Menge Geld gelassen hat. Allmählich
wurde die Technik verfügbar, Musiker haben Mehrspur-Aufnahmegeräte
zu Hause herumstehen. Damit war eine neue Energie in der Musikbranche
zu spüren, weil die Aufnahmetechnik verbreitet war.
Auch mit den CD-ROMs wird es so gehen. Es gibt eine unglaubliche
Flut an Maschinen, an Computern, die in die Haushalte kommen. Ich
habe gelesen, selbst in Zeiten als sich Farbfernseher hervorragend
verkaufen, waren die Zahlen nicht so gewaltig wie derzeit die Verkäufe
von Computern. Heimcomputer sind das Riesending. Und die acht- bis
zehnjährigen von heute werden ungemeine digitale Künstler sein.
Leeson: Das
hört sich nach weiteren zehn Jahren an, die wir auf CD-ROMs der
neuen Qualität warten.
Hardy:
Ich bin vielleicht etwas voreingenommen - aber die Residents haben
sich immer mit Multimedia beschäftigt. Nur gab es bislang nie ein
Medium, auf dem das ganze Potential der Gruppe Platz gehabt hätte.
Deswegen sind die Residents von den neuen Möglichkeiten sehr begeistert.
Leeson: Was
kommt denn nach der "Freakshow"?
Hardy:
Das ist noch nicht alles spruchreif. Aber die "Freakshow"
bot eine Umgebung, die man erkunden konnte. Dabei entdeckte man
verschiedene Charaktere - die Freaks - in ihrer eigenen Umgebung.
Der neue Titel dreht die Sache herum. In "Bad day on the midway"
geht es um die Charaktere selbst.
Während Freakshow also mit schönen Bildern von Räumen daher kam,
geht es nun um Charaktere und deren Interaktionen. Aber dazu muß
eine neue Technik geschaffen werden, an der gegenwärtig gearbeitet
wird.
Leeson: Worum
geht es denn nun?
Hardy:
Es wird zwölf Charaktere geben. Die Spieler folgen diesen Figuren
durch die Geschichte und erleben unterschiedliche Blickwinkel. Die
Geschichte spielt auf einem Jahrmarkt. Aber ich möchte noch nicht
zu sehr ins Detail gehen, weil die Residents Ideen haben, die die
Programmierer noch nicht umsetzen können. Sie arbeiten also an einem
neuen technologischen Schritt. Wenn alles gut geht, wird diese Technik
auch in andere CD-ROMs eingehen.
"Freakshow" hat gezeigt, was mit der gegenwärtigen Technik
machbar ist. Aber "Bad day on the midway" ist mit den
heutigen Möglichkeiten nicht zu realisieren.
Weitere Infos
zu den Residents auf der Residents
Homepage
Infos zu den
meisten hier erwähnten Musikern und Bands in der Jukebox
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