Platten - Kurztips
[fs] Der Stockholmer
Benny Jonas Nilsen alias Hazard verweist mit "North"
[Touch/Tesco] wohl am eindringlichsten auf die Touch-Kinderstube,
kann wohl als legitimer Nachfolger des labelinternen Aushängeschilds
"Hafler Trio" gelten. Und wenn Varèse seine "atmosphärischen
Störungen" jemanden hätte zuschreiben müssen,
hätte er wohl Hazard erkoren. Die gut 50 min Länge schwirren
wie rhythmisierte Frequenzschwaden vorbei, brechen sich an konkreten
Partikeln, die sich wiederum echoisiert zurückziehen, um sich
dem Schall und Rauch zu überlassen. Eingesprenkelt in die rauschende
Optik finden man hier und dort auch gedehnte Liedtupfer, die sich
elegant um Störungen herummanövrieren und diese unerschrockene
Klangfläche immer wieder prickelnd durchatmen.
[tb] So etwas
wie die Münchner Antwort auf Air ist das Duo Millenia Nova
mit seinem zweiten Album "Slow e-motion sightseeing" [Virgin].
Ziemlich elegant wird hier Trip-Hop mit House, Soundtrack-Musik
mit purem Pop verbunden. Warm und weich fließen die Sounds,
die, nahe am Kitsch, mal an Francis Lay und seine Filmmusiken ("Bilitis"),
mal an die englischen Durutti Column erinnern. Dazu gibt`s sehr
charmante französische Frauenstimmen und japanisches Pornogestöhne.
[lind] alte
Kumpels revisted: Es hat ein bißchen gedauert, eh ich kapierte,
daß hinter der ominösen Mardi Gras. bb die gute alte
"Mannemer" Mardi Grass Brass Band steckt, die ja
auch schon hier in Konstanz mit Funky Fake Swamp-Kult und geschminktem
Oberlippenbärtchen gewisse Parties rockte... Eine neue Heimat
hat man für Alligatorsoup [Hazelwood/Efa] bei Frankfurts schrägem
Hazelwood Label gefunden, Homebase immerhin solch illustrer Kapputt-Jazzer
wie Joe Baiza und seinem "Universal Congress of". Und
was soll ich sagen, daß Machwerk mit dem tollen B-Movie-Cover
hört sich gut an, reif im zitieren trashiger Südstaaten-Mythen,
strikt nach vorne gespielt...
[tb] Hotel
California: "Die deutsche Version erschien 1977 gesungen von
Jürgen Drews. Andere hörten die Sex Pistols oder entführten
Hanns-Martin Schleyer. Jürgen Drews warf die Steaks auf den
Rost und coverte die Eagles". - "Mariscos y maricones"
[Mundraub/RTD] heißt die neue Lese-CD des Wiglaf Droste,
der hier nicht nur den Eagles-Drews-Song covert sondern mit noch
einer Handvoll Songs [Gitarre: der Schweizer Boni Koller] zu hören
ist: Schön-böse satirische Texte zu "Zen-Buddhismus
und Zellulitis", Dr. Motte und der Love Parade, Kardinal Ratzinger
und der Bundeswehr. Mit dabei auf "Meeresfrüchte und Schwule"
auch die vor einiger Zeit schon in der taz erschienene Ode an die
"rauchende Frau".
[tb]
Aus meiner Lieblingsstadt San Antonio in Texas kommt lovely Rosie
Flores, die seit einigen Jahren mit wunderschönen Songs
zwischen Country, Western Swing und TexMex, Rockabilly, Pop und
Rock `n` Roll begeistert. "Dance Hall Dreams" [Rounder/in-akutistik]
heißt das neueste Werk der 43-Jährigen, die hier neben
eigenen Songs auch mit einem feinen Cover des Wanda-Jacksons-Klassiker
"Funnel Of Love" begeistert. Anspieltip: "We`ll Survive".
[mz]
Musik zur heißen Jahreszeit und zugleich ein Album für
eher erfreulichere Stunden verbirgt sich hinter dem Sampler "Brasil
2mil" [EFA], Untertitel "The Soul of Bass-o-nova".
"Brasil 2mil" ist die zweite Veröffentlichung auf
"Ziriguiboom Discs", dem von Crammed Disc in Zusammenarbeit
mit dem brasilianischen A&R/Produzenten Béco Dranoff
ins Leben gerufenen Label und zugleich eine Einführung in die
aktuelle brasilianische Musikszene. So eine Art "new brazilian
bossa´n´samba club grooves", elektronische Elemente im Wechselspiel
mit klassischen Samba, Bossa, MPB-Versatzstücken. Newcomer
wie Suba und Andrea Marquee wechseln dabei mit Interpreten wie Bebel
Gilberto, Virginia Rodrigues oder Arnaldo Antunes, aber auch mit
Braziloids wie Smoke City oder Arto Lindsay. Letzter gibt mit "Ridiculously
deep" auf englisch eines der intensivsten Stücke des Albums
zum Besten.
[tb]
Ein grandioses, seltsames Epos ist dem mir bislang völlig unbekannten
amerikanischen Songwriter Johnny Dowd hier gelungen. Tom
Waits, Lou Reed, Jeffrey Lee Pierce, Screamin Jay Hawkins, Tav Falco,
Hank Williams, Johnny Cash, die Cramps – das sind nur einige Assoziationen,
die sich bei den dunklen Songs des Fünfzigjährigen aufdrängen.
Wobei "Pictures From Life`s Other Sides" [Glitterhouse/TIS],
eingespielt mit einer kleinen Band, jede Menge Überraschungen
bereithält. Während im Song "Worried Mind" das
alte "Jambalaya" von Hank Williams mitverarbeitet wird,
klingt "Hope You Don`t Mind" zum Beispiel sehr Reedesk.
[tb]
Nach ihrem jüngsten Werk "Starters
Alternations" [siehe LEESON Nr. 9] hat sich die holländische
Polit-Core-Posse The Ex nun mit den Tortoise zusammengetan,
um das feine Mini-Album "In The Fishtank" [Konkurrent/EfA]
einzuspielen. Ein spannendes Experiment, das sehr gelungen die Vorzüge
beider Bands zusammenbringt. Die CD, die in der Reihe In-The-Fishtank
(u.a. No Means No, Snuff) erscheint, gibt`s übrigens zum kleinen
Preis.
[lind] Die
erste seltsame erste Platte von Crevice hatten wir noch ziemlich
begeistert im letzten Heft besprochen: Schon hat das Ambient Kollektiv
aus San Antonio Texas (!) nachgelegt mit Think of Pleasant Things.
[get happy!! records], wobei hierbei noch mehr auf die regionale
Abkunft der Band angespielt wird (u.a. mit dem extensiven Einsatz
einer Lap Steel Gitarre). Diesmal veröffentlicht von einem
obskuren Frankfurter Label und wiederum schräg und eigenwillig!
schreibt an gethappy@buissnet.com!
[tb] Vor 30
Jahren gründete er zusammen mit Tim Hodgkinson die legendäre
englische Band Henry Cow, deren geniale Art-Rock-Werke zur Zeit
als CDs re-releast werden (siehe Extra-Kritik). Spätestens
seit dem wunderbaren Doku-Film "Step Across The Border"
kennt den Avantgarde-Gitarristen Fred Frith auch ein größerer
Publikumskreis. Eines der vielen Projekte von Frith ist das Gitarrenquartett
mit René Lussier, Nick Didkovsky und Mark
Stewart. "Upbeat" [Ambiances Magnétiques] ist
eine Sammlung von Liveaufnahmen der 97er Europa-Tour.
[fs] Die drei
Geräuschkünstler Mika Vainio, Pita und Charlemagne
Palestine erfüllen mit "Three Compositions For Machines"
[Staalplaat] wohl am ehesten die traditionsreichen Auflagen ihrer
Ahnherren Luigi Russolo oder Jean Tinguely. Dieser Mitschnitt zweier
Live-Performances in Den Haag und der Volksbühne Berlin läßt
die klangliche Intensität des Ereignisses wie ein diskontinuierlicher
Lichtblitz vor dem inneren Auge in seiner ganzen Mächtigkeit
erstehen. Es kracht, lärmt, schweigt nur so umher, zügellos
und impulsiv: Ein faszinierendes Living-Performance-Dokument ohnegleichen.
[tb] Die Experimental
Pop Band kommt zwar aus Bristol hat aber mit TripHop nur am
Rande etwas zu tun. Gelegentlichen Samplingeinlagen zum Trotz steht
hier der Bandaspekt mehr in Vordergrund, klingt zum Beispiel der
erste Song "Forty Greatest Hits" in seiner hippen Funkyness
nach Sixties, wobei die Briten schon beim nächsten Stück
"Punk Rock Classic" kräftiger zulangen. Nach den
beiden starken Stücken baut das Album des ehemaligen Brillant-Corners
Davy Woodward leider ein bißchen ab.
[lind] Kumpel
Skiz scheint es wirklich Ernst zu sein mit der Drohung, mit seiner
ill school Underground HipHop aufzumischen in 1999...nur selten
werden die Unterwasser Beats des geheimnisvollen Slotek auf
hydrophonic [Wordsound/Efa] aufgeweicht durch spartanische Raps
oder Ragga Vocals, Radiostimmen, experimentelle Düsterkeit
regiert auch hier, der spezielle Wordsound Vibe – ein neuer level
in urbaner Klangästhetik!
[tb] Radiotron
heißt das neue Projekt des einstigen Poems-For-Laila-(grusel!)-Kopfes
Nikolai Tomás, der nun auch TripHop und Elektro entdeckt
zu haben scheint. Ja, ja, nett ist "Dangerous Love Songs"
[Vielklang/EfA] schon, doch wer braucht so was. Für die grausamen
Coverversion von "Wonderful Life" und "While My Guitar
Gently Weeps" möchte man Herrn Tomás dazu verdonnern
alle jüngst erschienen Mittelalter-Meets-Rock-Platten von Subway
To Sally bis Tanzwut am Stück hören zu müssen. Eine
größere Strafe fällt mir im Moment nicht ein.
[tb] Ob es
dem aufrechten Linken Rio Reiser gefallen hätte, daß
eine zwielichtige Figur wie Joachim Witt sein "Ardistan"
covert, würde ich bezweifeln. Könnte mir vorstellen, daß
Rio das aufgeblasene Tümmel-Pathos der Witts & Co. in diesem
Land heute ziemlich auf die Eier gehen würde. Sei`s drum, zehn
Projekte – darunter auch angenehme wie Tom "The Perc"
Redecker mit seinen Taras Bulbas – haben`s gemacht: gecovert.
Klingt sehr retro, nach 80er Jahre und für Dark-Wave-Discos
und Zeitschriften wie Zillo, notes & Co. gemacht. Nicht wirklich
spannend, das Ganze.
[fs] Im hippesten
Jazzclub der Neuen Welt, der Knitting Factory NY, haben sich drei
futuristische Gitarristen, Elliot Sharp (als universelles
Unicum, siehe auch Leeson #9),
Vernon Reid (Living Colour) und David Torn zusammengefunden,
um mit "GTROBLIQ" eine Synthese von schrägen Grooves,
fiesen Obertönen, allerlei Feedback und elektronischen Loops
zu zelebrieren, die beizeiten dezent ins nebulös-sphärische
abrutscht: Große guitar-art nicht ohne wohlplazierte technische
Spielereien, die dies Ereignis von allen Seiten zur rechten Zeit
und am rechten Ort immer wieder neu beatmen. Großartig!
[tb] Der Spaßfraktion
gehören Dauerfisch aus Berlin an, die auch mit dem zweiten
Album "Crime Of The Century" [Bungalow/EfA] spassigen
Deutsch-Pop mit netten Instrumentals, so was wie Girlie-Pop und
Musik für kleine Computer ("Superdenktest") zusammenbringt.
Am Ende gibt`s dann noch gesungene (!) Albumcredits. Hübsches
Album!
[tb] Sehr altmodisch,
dabei mit jenem Reiz ausgestattet, der einfach guten Songs innewohnt,
klingt "Tender" [Blue Rose/RTD], das zweite Album der
norddeutschen Electric Family. Das Nachfolgeprojekt von Tom
"The Perc" Redeckers "The Perc Meets The Hidden Gentleman"
stöbert dabei sowohl im Krautrock der Siebziger als auch im
Post-Wave der Achtziger herum. Da dürfen dann auch schon mal
ungeniert die Synthies wabern und die Gitarren jaulen manchmal genau
so wie anno dunnemal. Mit einer Heerschar von Gästen – ob nun
Boas Ex-Drummer The Voodoo oder Hagen Liebing von den alten Ärzten
– gelingt Mastermind Redecker, dessen dunkler, warmer Gesang hier
von Evelyn Gramels Organ schön kontrastriert wird, ein feines
Album.
[fs] In trefflicher
und wohlbekannter Brecht-Eislerscher Kampfliedermanier konterkariert
die "Ode an die Langeweile" [NoMan`sLand/99] geradezu
die futuristische Lobeshymnen auf Kampf und Technik. Wenn aber die
Gesellschaft den menschlichen Mittelpunkt, verfehlt, der Fortschritt
unfaßbar vorbeirauscht und nur Schattenlinien produziert,
was dann? Dann singen wir doch das "Solidaritätslied",
oder wir besinnen uns auf "Die Legende von der Entstehung des
Buches Taoteking", auf diese ach so ferne Idylle. Eine besondere
Perle aber ist "Ardens sed virens" mit Leonid Soybelman
(Drums, siehe auch CD-Tips) und Michael Gross (Radio), die verantwortungsvoll
diese "Hommage an Hanns Eisler" begleiten und die Leben-besser-als-Pest-
oder Was-du-nicht-hast-kann-keiner-Dir-nehmen-, hab-also-besser-nichts-Semantik
mehr als bereichern. Laßt uns erheben und singen, auf daß
...
[tb] Wie die
Labelmates Granfaloon Bus, pflegen auch die nordkalifornischen Harvester
einen sehr eklektischen Stil, mal Folk-Rock, mal Country-Rock, mal
CCR-artiges, mal entrücktere Klänge. Sehr nett, was das
Quartett auf "Mud Is My Ally" [Trocadero/TIS] anrichtet.
Mehr allerdings auch nicht.
[tb] "Playing
With Fire" [Space Age/Cargo] ist die Wiederveröffentölichung
eines großartigen Albums einer großartigen Band, der
englischen Spacemen 3, die sich leider 1990 aufgelöst
haben. Vor zehn Jahren erschienen, hat diese Post-Velvet-Platte
auch heute nichts von ihrer Kraft verloren. Mudhoney-Fans finden
übrigens hier das Original des exzellenten "Revolution".
Als Bonus gibt`s eine CD mit Live-, Demo- und Instrumentalversionen.
[lind] The
Ablist [Asphodel/Rough Trade] ist das zweite Solo Release des New
Yorker Turntablisten Königs und X-Men Rob Swift Masterminds,
der auf dem schönen Cover versucht, die Nadel seines Plattenspielers
mit Blicken zu paralysieren: Schließt inhaltlich eng an das
wegweisende (und massiv auch finanziell erfolgreiche) X-ecutioners
Album "X-pressions" an; auch die Single "Musica negra"
wird hier nochmals in einem Remix verwurstet. Schade, daß
Mr Swift auch hier auf programmierte Beats nicht verzichtet, anstelle
uns "turntablism" in der Reinform zu präsentieren
(wie etwa auf den jüngsten Releases der DJs Faust und Disk
auf Bomb HipHop). "All that schratching is making me rich"?
Na, das wolln mer doch dann sehn – denn noch immer sind es die MCs/Rapper,
die den Großteil des Kuchens HipHop-Geschäft für
sich verbuchen!
[tb] Alleine
für die Single "Dead From The Waist Down" möchte
man Sängerin Cerys Matthews ganz fest an sich drücken:
Schon lange keine sooooo schöööööne Schnulze
mehr gehört. Auch der Rest des neuen Albums der walisischen
Catalonia, "Equally Cursed And Blessed" [WEA] ist
große Klasse. Aber das wißt Ihr da draußen, ja
selber. Am 27.6. spielen Cataonia beim Southside-Festival in München.
[tb] Die netteste
Boygroup Deutschlands heißt Jonas, kommt aus Bad Bentheim
in Niedersachsen, spielt sehr schönen, schrammeligen Alternative-Rock
und ist von Tocotronic entdeckt worden. "Sorry, I`m sorry,
sorry" [Lado/RTD] heißt das zweite Album, auf dem nicht
nur das Post-Grungige, als Single ausgekoppelte "Grubby"
hitverdächtig ist. Feine Sache!
[mz] Ähnlich
wie "Mac the mouth" Culloch (siehe Kritik zu Echo &
the Bunnymen) ist auch David Sylvian mit einer dieser Stimmen
gesegnet, die man aus Hunderten heraushört. Knapp zwölf
Jahre nach seinem letzten wirklichen Soloalbum (dem formidablen
"Secrets of the Beehive") kehrt der ehemalige Japan-Frontmann
mit einem neuen Album zurück. Und "Dead bees on a cake"
[Virgin] knüpft nahtlos an dieser Stelle an. Vergessen sind
mehr oder weniger halbherzige Kollaborationen mit Robert Fripp oder
dem Can-Musiker Holger Czukay "Dead bees on a cake" zeigt
Sylvian von seiner besten Seite. Zwischen dem elegischen "I
surrender" und dem meditativen "Darkest dreaming"
entwickelt Sylvian mit Hilfe u.a. von Marc Ribot, Kenny Wheeler,
Steve Jansen und Bill Frisell, aber auch von Talvin Singh, Songs
von träger Schönheit, die musikalische Grenzen überschreiten:
Ambitioniert und zugleich auf eine meditative Art Pop sind.
[lind] Vielleicht
bin ich ja nicht der Richtige, um sowas zu besprechen, aber: Auf
die compilation International [Lounge Records/99] von Lounge
Records hat die Welt nun nicht wirklich gewartet. Bossa/Latin/Easy
Listening, gespielt von Euren Lieblingskünstler Fischmob, Fettes
Brot und -ähem- Grönemeyer (diesmal remixed by Hammond
Inferno). Zum guten Ende macht sich noch Peter Thomas an den Sternen
zu schaffen, und ich mußte den ganzen Mittag alte Jobim Platten
hören, um mich von diesen hölzernen Deutschen zu erholen.
aaaah!
[mz] Unglaublich
kompakt, druckvoll und bis in die Haarspitzen motiviert agieren
die walisischen Stereophonics sowohl live als auch auf Platte.
Nach dem ´97-Debüt "Word gets around" legt das Trio
nun mit "Performance and Cocktails" [V2] das Nachfolgewerk
vor. Insgesamt noch rockiger als das Debüt geraten, suhlen
Jones & Co sich auch auf diesem Album textlich in sozialen Befindlichkeiten,
schreiben aber auch Songs über New Yorker Kunst-Clubs ["Roll
up and shine"] oder die Empfangsdame einer Plattenfirma ["T-shirt
Sultan"]. Daß das Trio dabei rockt was das Zeug hält,
Balladen zum Besten gibt, von denen Ocean Colour Scene nur träumen
können, läßt die Frage gestattet sein: Ist das noch
Brit-Pop/Rock oder schon Schweinerock? Wie dem auch sei, nach zwei
Durchgängen durch das Album sieht man sich selbst bei dem ein
oder anderen Stück beim Wippen mit dem Fuß. Scheiß
Rockisten!
[lind] Trommler-Keith
Le Blanc hat mal wieder seine alten Sugar Hill Rhythmus Gangster
und On-U Mutterficker Skip (McDonald) und Doug (Wimbish) ins Studio
gebeten für die neue Platte Freakatorium [Blanc Records/Efa]
auf seinem höchsteigenen Blanc label. Ohne es an Respekt für
diese großen Männer lassen zu wollen: Wiedermal schrecklich
kröselig-jazzrockig und übertreiben muckerhaft! Trotzdem
große Stellen!
[mz] Ja, auch
die Trainspotting-Überlebenden Underworld gibt es noch.
Nach dem Megaseller "Born slippy" und dem Album "Second
Toughest in the Infants" mixen Emerson, Hyde und Smith auf
"Beaucoup fish" [V2] House-Grooves ["Cups"]
mit stampfenden Technobeats und tuckernden Danceversatzstücken.
Insgesamt wesentlich unabwechslungsreicher und vordergründig
technologischer ausgefallen als das Vorgängeralbum, sind es
auf "Beaucoup fish" vor allem die intimen Momente ("Skym",
"Push downstairs"), die zum Wiederhören einladen
und für magische Augenblicke sorgen.
[mz] Für
deutschsprachigen Pop mit dem gewissen Etwas stehen die Hamburger
"Ja König Ja". Auf ihrem dritten Album "Tiefsee"
[Indigo] begeistert die ehemalige Hausband des legendären Hamburger-Szene-Treffs
"Golden Pudel Club" mit schlichten musikalischen Weisen,
Pop-Appeal, skurrilen deutschen Texte und eine Portion Kammermusik
gekoppelt mit Bossa Nova, Country und US-Songwritertum der 60er
Jahre. Sängerin/Cellistin Ebba Durstewitz, der Gitarrist Jakobus
Siebels und ihre Mitstreiter fühlen sich dabei im Schuhmannschem
Kunstlied ebenso Zuhause wie in dem Wohnzimmer-Pop der Berliner
Quarks. Highlights auf "Tiefsee" sind neben dem Frankreichurlaubhasslied
"Frankreichfahrerkoller", das romantische "Komm nicht"
und vor allem "Bob Dylan" (mit den schönen Zeilen:"Ich
ess Eis und er trinkt Tee / Er singt: Blowin´in the wind / Ich schäme
mich, ich bin sein Kind...").
[tb] Lou Barlow
und seine Sebadoh mögen nicht mehr this year`s model sein,
doch sollte, wer Alternative-Rock mag, auch bei "The Sebadoh"
[City Slang/EfA] zugreifen. Wobei Barlow & Co. nach diversen
Lo-Fi-Ausflügen, hier beim herzhaften, schrägen Rock angelangt
sind. Anspieltips: "It`s all yours" und die feine Single
"Flame".
[lind] die
tolle New Yorker Sounddesignerin Maryanne Amacher kennt der
erfahrene Klangforscher natürlich schon von der essentiellen
"Drones" Triologie von Asphodel. Das Material von ihrer
meines Wissens ersten eigenen CD Sound Characters [Tzadik/99] geht
u.a. auf Installationen Amsterdam und Melk zurück: Ambientflächen
und akustische Täuschungen, die Frau Amacher als "music
for the third ear" bezeichnet. verwirrend und herausfordernd!
‚[tb] Gut abgehangenen
amerikanischen Rock spielt der ehemalige Weggefährte von Juliana
Hatfield bei den Blake Babies, John P. Strohm auf seinem
Soloalbum "Vestavia" [Blue Rose/RTD]. Nette Songs eigentlich,
bei denen Mr. Strohm gelegentlich für meinen Geschmack ein
wenig zu freigiebig den Schweinrock-Gitarristen ("Wouldn`t
Want To Be Me") heraushängen läßt. Wobei auch
die Bemerkung, daß der Beatles-Fan nur wenige Platten gehört
habe, die nach 1970 erschienen sind, nicht unbedingt für John
P. Strohm spricht.
[mz] Aus den
Tiefen von Lawrence, Kansas kommen die durchgeknallten Hefners,
eine Garagen-Punk-Combo, die auf "Lay off this is the old man´s
private poison" [Middle Class Pig Records; www.MiddleClassPig.com]
einer irren Beat-Punk-Mischung frönen. Dabei mitunter wie die
Cramps, Jonathan Fire Eater (was den exzessiven Einsatz der Vox
Orgel angeht) sowie Bands aus dem Umfeld der Milkshakes oder Thee
Headcoats-Clique klingen. An zwei Tagen aufgenommen tummeln sich
auf "Lay off..." 17 songs von durchschnittlich nicht einmal
zwei Minuten Länge. Stücke mit Titeln wie "Short
haired girls", "Abnormal Hormonal" oder "(She
looks like she´s fucking the) Pinball Machine". Momentan sind
sie in Europa auf Tournee. Don´t miss this beat-punk-cocktail-party!
[mz] Große
Klasse sind die kanadischen Legion of green men alias Lex
und Ru (auch bekannt als Incarnate). "Floating in shallow water"
[Swim/EFA], ihr zweites Album, verknüpft ohrwurmartige Soundtracksamples,
fließende Elektronik, dezente Beats und groovende Dubelemente
zu einer spannenden, hypnotisierenden Soundgemisch, das Zuhause
genauso gut funktioniert wie auf dem Dancefloor. Anspieltips: "For
Maria, wherever I find her", "Owls in the apple tree"
und "Constellation".
[tb] Live bezauberte
sie jüngst nur mit ihrer Gitarre im Vorprogramm der fantastischen
Granfaloon Bus, die amerikanische Songwriterin Susan James.
Auf Platte muß man sich erstmal an das strenge, hohe Organ
von Miss James gewöhnen: dann wird man allerdings zehn schöne
Songs zwischen Folk und Rock entdecken. "Fantastic Voyage"
[Trocadero/TIS] heißt das Werk, bei dem Susan James von einer
Band begleitet wird.
[mz] Wenn es
momentan eine deutsche Band gibt, die auch im Ausland mit einem
Renommee gesegnet sind, das einem dabei ganz schwindelig werden
könnte, dann sind das die Düsseldorfer Mouse on Mars.
"Distroia" [Our choice / Rough Trade] nennen sie ihre
neuste Ep, ein vertracktes 4-track-Werk, das nach dem wunderbaren
Aphex-Twin-artigen Titelstück mit "Yippie" ein typisches
Mouse-on-Mars-Melodien-Kleinod aufweist, mit "Distroia Supersonic
Fadeout" die Gehörgänge noch einmal durchzwirbelt
und mit "E 135" vieldeutig ausklingt. Jetzt heißt
es sich freuen auf den neuen Longplayer der Knöpfchendreher!
[tb] Peter
Thomas ist so etwas wie der deutsche Lalo Schifrin ("Mission
Impossible"). "Warp Back To Earth" [Bungalow/RTD]
ist eine Hommage jüngerer Musiker an den inzwischen 70jährigen
Soundtrack-Komponisten, der vor allem durch die Filmmusik zu "Raumpatrouille
Orion" bekannt sein sollte. Acts wie Saint Etienne und Stereolab,
Momus und John McEntire, Coldcut, die High Llamas und Brezel "Stereo
Total" Göring haben sich einzelner Werke von Thomas vorgenommen:
Überwiegend gelungen! Dazu gibt`s auf CD Nummer Zwo 29 Originaltracks
des Meisters!
[mz] Einmal
mehr die üblichen ReR-Verdächtigen tummeln sich auf dem
neusten Soloalbum von Peter Blegvad. "Hangman´s Hill
[ReR] heißt dieses, eingespielt wurde es von Blegvad, Greaves
und Cutler. "Hangman´s Hill" ist ein englischer Ausflug
in amerikanisches Singer/Songwritertum. Mal Country angehauchte,
mal Blues infizierte Songs sind es die das Wired Magazine von einer
"Fusion zwischen Lou Reed und Bob Dylan" sprechen lassen,
die aber vor allem reizvoll sind, wenn sie sich in Richtung Pop
(wie das von Kristoffer Blegvad vorgetragene "Love somebody")
erweitern.
[tb] "Kryptonite"
[Bungalow/EfA] heißt das erste Album der Berliner Band Mina.
Nach Singles und einer EP ist die Instrumentalband nun bei Bungalow
gelandet. Geboten wird handmade Disco – insofern nicht so weit davon
entfernt, was zum Beispiel die Münchner Merricks machen – und
Soundtrack-Musik, eine winzige Spur Kraut, Sixties-Örgelchen
und viel Popbewußtsein. Ziemlich klasse Platte und auch live
extrem gut, wie jüngst im Münchner Atomic Café
im Vorprogramm der Couch gesehen.
[mz] Den bereits
mit Transglobal Underground exzessiv praktizierten Culture-clash
fühlen sich Neil Sparkes und Nick Page (aka Count Dubalah)
auch bei ihrem neuen Projekt Temple of Sound verpflichtet.
Auf "Black Orchid" [Homebase/Indigo] lassen sie – zusammen
mit Terry Neale und Julianna – fette Beats, Trip und Hip Hop-Elemente
in Dialog mit wilder afrikanischer Percussion, asiatischen und lateinamerikanischen
Rhythmen treten. Was dabei herauskommt ist eine mitunter hochnäsige
Worldmusicdance-Variante, die auf die Clubszene schielt. Mitunter
spannend, mitunter unerträglich. .
[tb] Nach der
Compilation "Blech" ist "Bambi Dragon Don`t Spit
No Fire" [Clearspot/EfA] das erste "richtige" Album
des Hamburger Projekts plexiq. Die Tracks zwischen Trip-Hop
und Dub, House, Electro-Funk, Drum&Bass, so was wie Jazz und
Rock klingen passabel, mag einen aber nicht besonders berühren.
[fs] Nach nunmehr
25 Jahren ist ein Meilenstein der Avantgarde-Combo Nenry Cow
um Tim Hodgkinson, Fred Frith und "furious drums"
Chris Cutler nun wieder aufgetaucht. "Leg End" aus dem
Jahr `73 [Virgin/Recommended Records] bildete damals den Auftakt
der Socken-Trilogie über "Unrest" [1974] zu "In
Praise Of Learning" [1975] und hat wohl bis heute an jazziger
Innovationsfreude nichts eingebüßt. Auch wenn die schmucke
LP-Edition von der Digitalität nicht einholbar ist, sollte
man in Zukunft dennoch auf die Fortsetzung dieser Serie hoffen dürfen,
es lohnt.
[tb] Terry
Lee Hale, muß ich sagen, mag ich solo lieber hören als
mit Band. Auf "Old Hand" [Glitterhouse/TIS] rockt mir
Hale mit seiner Combo "The Blind Doctors" viel
zu sehr. Die Schweinerockgitarre auf dem Titelsong ist jedenfalls
nix für mich. Na ja, sooo schlecht ist das Album auch nicht.
[mz] Daß
die Schweiz mit ein paar ganz hervorragenden Gitarrenbands gesegnet
ist, bewiesen vor Jahren Gruppen mit Namen wie Arhoolies, Maniacs
oder auch die Needles. Aktuellster Neuzugang sind Favez aus
Lausanne, eine Band die mit "A sad ride on the line again"
[StickSister/Indigo] ein ganz wunderbares Akustikalbum eingespielt
hat, das sich hartnäckig in den Gehörwindungen festsetzt.
Bereits 1990 gegründet, war die Band jüngst mit Fireside
und den Chemikal-Underground-Helden Delgados in Deutschland auf
Tour. "A sad ride" zeigt aber nur die eine Seite von Favez:
Neben akustischen Kleinoden wie "20 years of anything"
oder "This is how it ends", die auf dem Album versammelt
sind, können Favez – vor allem live – von brachialer Gewalt
sein, wie Coverversionen von Chokebore, Unsane oder Girls vs.Boys
beweisen.
[fs] Die "Composition
17", so der Untertitel, ähnelt einem Streit zwischen Ruhe und
elektro-akkustischen Eruptionen, wie sie der Widerstandskraft des
Daseins entgegentreten. Ausbrüche, die die Spontanität
der Sturzgüsse a la Tarkowskij und die Mächtigkeit von
"Stahlgewittern" besitzen können, ob mit oder ohne Ein- und
Ausklang: "Opera mundi is dedicated to those victims of oppression
who died, are dying now, will die in the future, in the struggle
for survival against man -made or natural adversity-". Fügt
man noch das graue Szenario eines globalen medialen Simulacrums
bei, verdichtet sich die Situation zu einem Bild, das mit einer
"Electronic Sound Composition" als "Speaking Through Technology"
am ehesten zu fassen ist: Man sucht den Feind schließlich
im eigenen Lager auf und schlägt ihn dann mit seinen eigenen
Waffen. Ein genialer Schachzug!
[fs] Was Tietchens/Obmana
in Abgrenzung zum bloßen remixing mit "The Art of Recycling"
bezeichnen, endet nicht mit der Grenze des einzelnen Track, nimmt
eher das komplette multi-track-Objekt als Summe seiner Teile in
die Bearbeitung. Zwei Fragen stellen sich dann: Warum gerade dies
Objekt, und: Sind seine Struktur und Sound geeignet? Es bedarf einer
gewissen transformatorischen Kompetenz, eines Instinkts für
das zu dekonstruierende Material, von dem die Forderung ausgeht.
In diesem Prozeß verwandelt sich "Linea [1-3]" (1988) zu "Linear
Writings" und "Nachtstücke" (1975-78) zu "Nachtstücke
Revisited". Ob die Auswahl der "motives for recycling" [Soleilmoon/Staalplaat]
hier gelungen ist, läßt sich Mangels Kenntnis des Basismaterials
zwar nicht beurteilen, aber die Idee besitzt zweifellos ihre Faszination.
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