Nr. 10 / Mai 1999

















Gästebuch


Platten - Kurztips

[fs] Der Stockholmer Benny Jonas Nilsen alias Hazard verweist mit "North" [Touch/Tesco] wohl am eindringlichsten auf die Touch-Kinderstube, kann wohl als legitimer Nachfolger des labelinternen Aushängeschilds "Hafler Trio" gelten. Und wenn Varèse seine "atmosphärischen Störungen" jemanden hätte zuschreiben müssen, hätte er wohl Hazard erkoren. Die gut 50 min Länge schwirren wie rhythmisierte Frequenzschwaden vorbei, brechen sich an konkreten Partikeln, die sich wiederum echoisiert zurückziehen, um sich dem Schall und Rauch zu überlassen. Eingesprenkelt in die rauschende Optik finden man hier und dort auch gedehnte Liedtupfer, die sich elegant um Störungen herummanövrieren und diese unerschrockene Klangfläche immer wieder prickelnd durchatmen.

[tb] So etwas wie die Münchner Antwort auf Air ist das Duo Millenia Nova mit seinem zweiten Album "Slow e-motion sightseeing" [Virgin]. Ziemlich elegant wird hier Trip-Hop mit House, Soundtrack-Musik mit purem Pop verbunden. Warm und weich fließen die Sounds, die, nahe am Kitsch, mal an Francis Lay und seine Filmmusiken ("Bilitis"), mal an die englischen Durutti Column erinnern. Dazu gibt`s sehr charmante französische Frauenstimmen und japanisches Pornogestöhne.

[lind] alte Kumpels revisted: Es hat ein bißchen gedauert, eh ich kapierte, daß hinter der ominösen Mardi Gras. bb die gute alte "Mannemer" Mardi Grass Brass Band steckt, die ja auch schon hier in Konstanz mit Funky Fake Swamp-Kult und geschminktem Oberlippenbärtchen gewisse Parties rockte... Eine neue Heimat hat man für Alligatorsoup [Hazelwood/Efa] bei Frankfurts schrägem Hazelwood Label gefunden, Homebase immerhin solch illustrer Kapputt-Jazzer wie Joe Baiza und seinem "Universal Congress of". Und was soll ich sagen, daß Machwerk mit dem tollen B-Movie-Cover hört sich gut an, reif im zitieren trashiger Südstaaten-Mythen, strikt nach vorne gespielt...

[tb] Hotel California: "Die deutsche Version erschien 1977 gesungen von Jürgen Drews. Andere hörten die Sex Pistols oder entführten Hanns-Martin Schleyer. Jürgen Drews warf die Steaks auf den Rost und coverte die Eagles". - "Mariscos y maricones" [Mundraub/RTD] heißt die neue Lese-CD des Wiglaf Droste, der hier nicht nur den Eagles-Drews-Song covert sondern mit noch einer Handvoll Songs [Gitarre: der Schweizer Boni Koller] zu hören ist: Schön-böse satirische Texte zu "Zen-Buddhismus und Zellulitis", Dr. Motte und der Love Parade, Kardinal Ratzinger und der Bundeswehr. Mit dabei auf "Meeresfrüchte und Schwule" auch die vor einiger Zeit schon in der taz erschienene Ode an die "rauchende Frau".

[tb] Aus meiner Lieblingsstadt San Antonio in Texas kommt lovely Rosie Flores, die seit einigen Jahren mit wunderschönen Songs zwischen Country, Western Swing und TexMex, Rockabilly, Pop und Rock `n` Roll begeistert. "Dance Hall Dreams" [Rounder/in-akutistik] heißt das neueste Werk der 43-Jährigen, die hier neben eigenen Songs auch mit einem feinen Cover des Wanda-Jacksons-Klassiker "Funnel Of Love" begeistert. Anspieltip: "We`ll Survive".

[mz] Musik zur heißen Jahreszeit und zugleich ein Album für eher erfreulichere Stunden verbirgt sich hinter dem Sampler "Brasil 2mil" [EFA], Untertitel "The Soul of Bass-o-nova". "Brasil 2mil" ist die zweite Veröffentlichung auf "Ziriguiboom Discs", dem von Crammed Disc in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen A&R/Produzenten Béco Dranoff ins Leben gerufenen Label und zugleich eine Einführung in die aktuelle brasilianische Musikszene. So eine Art "new brazilian bossa´n´samba club grooves", elektronische Elemente im Wechselspiel mit klassischen Samba, Bossa, MPB-Versatzstücken. Newcomer wie Suba und Andrea Marquee wechseln dabei mit Interpreten wie Bebel Gilberto, Virginia Rodrigues oder Arnaldo Antunes, aber auch mit Braziloids wie Smoke City oder Arto Lindsay. Letzter gibt mit "Ridiculously deep" auf englisch eines der intensivsten Stücke des Albums zum Besten.

[tb] Ein grandioses, seltsames Epos ist dem mir bislang völlig unbekannten amerikanischen Songwriter Johnny Dowd hier gelungen. Tom Waits, Lou Reed, Jeffrey Lee Pierce, Screamin Jay Hawkins, Tav Falco, Hank Williams, Johnny Cash, die Cramps – das sind nur einige Assoziationen, die sich bei den dunklen Songs des Fünfzigjährigen aufdrängen. Wobei "Pictures From Life`s Other Sides" [Glitterhouse/TIS], eingespielt mit einer kleinen Band, jede Menge Überraschungen bereithält. Während im Song "Worried Mind" das alte "Jambalaya" von Hank Williams mitverarbeitet wird, klingt "Hope You Don`t Mind" zum Beispiel sehr Reedesk.

[tb] Nach ihrem jüngsten Werk "Starters Alternations" [siehe LEESON Nr. 9] hat sich die holländische Polit-Core-Posse The Ex nun mit den Tortoise zusammengetan, um das feine Mini-Album "In The Fishtank" [Konkurrent/EfA] einzuspielen. Ein spannendes Experiment, das sehr gelungen die Vorzüge beider Bands zusammenbringt. Die CD, die in der Reihe In-The-Fishtank (u.a. No Means No, Snuff) erscheint, gibt`s übrigens zum kleinen Preis.

[lind] Die erste seltsame erste Platte von Crevice hatten wir noch ziemlich begeistert im letzten Heft besprochen: Schon hat das Ambient Kollektiv aus San Antonio Texas (!) nachgelegt mit Think of Pleasant Things. [get happy!! records], wobei hierbei noch mehr auf die regionale Abkunft der Band angespielt wird (u.a. mit dem extensiven Einsatz einer Lap Steel Gitarre). Diesmal veröffentlicht von einem obskuren Frankfurter Label und wiederum schräg und eigenwillig! schreibt an gethappy@buissnet.com!

[tb] Vor 30 Jahren gründete er zusammen mit Tim Hodgkinson die legendäre englische Band Henry Cow, deren geniale Art-Rock-Werke zur Zeit als CDs re-releast werden (siehe Extra-Kritik). Spätestens seit dem wunderbaren Doku-Film "Step Across The Border" kennt den Avantgarde-Gitarristen Fred Frith auch ein größerer Publikumskreis. Eines der vielen Projekte von Frith ist das Gitarrenquartett mit René Lussier, Nick Didkovsky und Mark Stewart. "Upbeat" [Ambiances Magnétiques] ist eine Sammlung von Liveaufnahmen der 97er Europa-Tour.

[fs] Die drei Geräuschkünstler Mika Vainio, Pita und Charlemagne Palestine erfüllen mit "Three Compositions For Machines" [Staalplaat] wohl am ehesten die traditionsreichen Auflagen ihrer Ahnherren Luigi Russolo oder Jean Tinguely. Dieser Mitschnitt zweier Live-Performances in Den Haag und der Volksbühne Berlin läßt die klangliche Intensität des Ereignisses wie ein diskontinuierlicher Lichtblitz vor dem inneren Auge in seiner ganzen Mächtigkeit erstehen. Es kracht, lärmt, schweigt nur so umher, zügellos und impulsiv: Ein faszinierendes Living-Performance-Dokument ohnegleichen.

[tb] Die Experimental Pop Band kommt zwar aus Bristol hat aber mit TripHop nur am Rande etwas zu tun. Gelegentlichen Samplingeinlagen zum Trotz steht hier der Bandaspekt mehr in Vordergrund, klingt zum Beispiel der erste Song "Forty Greatest Hits" in seiner hippen Funkyness nach Sixties, wobei die Briten schon beim nächsten Stück "Punk Rock Classic" kräftiger zulangen. Nach den beiden starken Stücken baut das Album des ehemaligen Brillant-Corners Davy Woodward leider ein bißchen ab.

[lind] Kumpel Skiz scheint es wirklich Ernst zu sein mit der Drohung, mit seiner ill school Underground HipHop aufzumischen in 1999...nur selten werden die Unterwasser Beats des geheimnisvollen Slotek auf hydrophonic [Wordsound/Efa] aufgeweicht durch spartanische Raps oder Ragga Vocals, Radiostimmen, experimentelle Düsterkeit regiert auch hier, der spezielle Wordsound Vibe – ein neuer level in urbaner Klangästhetik!

[tb] Radiotron heißt das neue Projekt des einstigen Poems-For-Laila-(grusel!)-Kopfes Nikolai Tomás, der nun auch TripHop und Elektro entdeckt zu haben scheint. Ja, ja, nett ist "Dangerous Love Songs" [Vielklang/EfA] schon, doch wer braucht so was. Für die grausamen Coverversion von "Wonderful Life" und "While My Guitar Gently Weeps" möchte man Herrn Tomás dazu verdonnern alle jüngst erschienen Mittelalter-Meets-Rock-Platten von Subway To Sally bis Tanzwut am Stück hören zu müssen. Eine größere Strafe fällt mir im Moment nicht ein.

[tb] Ob es dem aufrechten Linken Rio Reiser gefallen hätte, daß eine zwielichtige Figur wie Joachim Witt sein "Ardistan" covert, würde ich bezweifeln. Könnte mir vorstellen, daß Rio das aufgeblasene Tümmel-Pathos der Witts & Co. in diesem Land heute ziemlich auf die Eier gehen würde. Sei`s drum, zehn Projekte – darunter auch angenehme wie Tom "The Perc" Redecker mit seinen Taras Bulbas – haben`s gemacht: gecovert. Klingt sehr retro, nach 80er Jahre und für Dark-Wave-Discos und Zeitschriften wie Zillo, notes & Co. gemacht. Nicht wirklich spannend, das Ganze.

[fs] Im hippesten Jazzclub der Neuen Welt, der Knitting Factory NY, haben sich drei futuristische Gitarristen, Elliot Sharp (als universelles Unicum, siehe auch Leeson #9), Vernon Reid (Living Colour) und David Torn zusammengefunden, um mit "GTROBLIQ" eine Synthese von schrägen Grooves, fiesen Obertönen, allerlei Feedback und elektronischen Loops zu zelebrieren, die beizeiten dezent ins nebulös-sphärische abrutscht: Große guitar-art nicht ohne wohlplazierte technische Spielereien, die dies Ereignis von allen Seiten zur rechten Zeit und am rechten Ort immer wieder neu beatmen. Großartig!

[tb] Der Spaßfraktion gehören Dauerfisch aus Berlin an, die auch mit dem zweiten Album "Crime Of The Century" [Bungalow/EfA] spassigen Deutsch-Pop mit netten Instrumentals, so was wie Girlie-Pop und Musik für kleine Computer ("Superdenktest") zusammenbringt. Am Ende gibt`s dann noch gesungene (!) Albumcredits. Hübsches Album!

[tb] Sehr altmodisch, dabei mit jenem Reiz ausgestattet, der einfach guten Songs innewohnt, klingt "Tender" [Blue Rose/RTD], das zweite Album der norddeutschen Electric Family. Das Nachfolgeprojekt von Tom "The Perc" Redeckers "The Perc Meets The Hidden Gentleman" stöbert dabei sowohl im Krautrock der Siebziger als auch im Post-Wave der Achtziger herum. Da dürfen dann auch schon mal ungeniert die Synthies wabern und die Gitarren jaulen manchmal genau so wie anno dunnemal. Mit einer Heerschar von Gästen – ob nun Boas Ex-Drummer The Voodoo oder Hagen Liebing von den alten Ärzten – gelingt Mastermind Redecker, dessen dunkler, warmer Gesang hier von Evelyn Gramels Organ schön kontrastriert wird, ein feines Album.

[fs] In trefflicher und wohlbekannter Brecht-Eislerscher Kampfliedermanier konterkariert die "Ode an die Langeweile" [NoMan`sLand/99] geradezu die futuristische Lobeshymnen auf Kampf und Technik. Wenn aber die Gesellschaft den menschlichen Mittelpunkt, verfehlt, der Fortschritt unfaßbar vorbeirauscht und nur Schattenlinien produziert, was dann? Dann singen wir doch das "Solidaritätslied", oder wir besinnen uns auf "Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking", auf diese ach so ferne Idylle. Eine besondere Perle aber ist "Ardens sed virens" mit Leonid Soybelman (Drums, siehe auch CD-Tips) und Michael Gross (Radio), die verantwortungsvoll diese "Hommage an Hanns Eisler" begleiten und die Leben-besser-als-Pest- oder Was-du-nicht-hast-kann-keiner-Dir-nehmen-, hab-also-besser-nichts-Semantik mehr als bereichern. Laßt uns erheben und singen, auf daß ...

[tb] Wie die Labelmates Granfaloon Bus, pflegen auch die nordkalifornischen Harvester einen sehr eklektischen Stil, mal Folk-Rock, mal Country-Rock, mal CCR-artiges, mal entrücktere Klänge. Sehr nett, was das Quartett auf "Mud Is My Ally" [Trocadero/TIS] anrichtet. Mehr allerdings auch nicht.

[tb] "Playing With Fire" [Space Age/Cargo] ist die Wiederveröffentölichung eines großartigen Albums einer großartigen Band, der englischen Spacemen 3, die sich leider 1990 aufgelöst haben. Vor zehn Jahren erschienen, hat diese Post-Velvet-Platte auch heute nichts von ihrer Kraft verloren. Mudhoney-Fans finden übrigens hier das Original des exzellenten "Revolution". Als Bonus gibt`s eine CD mit Live-, Demo- und Instrumentalversionen.

[lind] The Ablist [Asphodel/Rough Trade] ist das zweite Solo Release des New Yorker Turntablisten Königs und X-Men Rob Swift Masterminds, der auf dem schönen Cover versucht, die Nadel seines Plattenspielers mit Blicken zu paralysieren: Schließt inhaltlich eng an das wegweisende (und massiv auch finanziell erfolgreiche) X-ecutioners Album "X-pressions" an; auch die Single "Musica negra" wird hier nochmals in einem Remix verwurstet. Schade, daß Mr Swift auch hier auf programmierte Beats nicht verzichtet, anstelle uns "turntablism" in der Reinform zu präsentieren (wie etwa auf den jüngsten Releases der DJs Faust und Disk auf Bomb HipHop). "All that schratching is making me rich"? Na, das wolln mer doch dann sehn – denn noch immer sind es die MCs/Rapper, die den Großteil des Kuchens HipHop-Geschäft für sich verbuchen!

[tb] Alleine für die Single "Dead From The Waist Down" möchte man Sängerin Cerys Matthews ganz fest an sich drücken: Schon lange keine sooooo schöööööne Schnulze mehr gehört. Auch der Rest des neuen Albums der walisischen Catalonia, "Equally Cursed And Blessed" [WEA] ist große Klasse. Aber das wißt Ihr da draußen, ja selber. Am 27.6. spielen Cataonia beim Southside-Festival in München.

[tb] Die netteste Boygroup Deutschlands heißt Jonas, kommt aus Bad Bentheim in Niedersachsen, spielt sehr schönen, schrammeligen Alternative-Rock und ist von Tocotronic entdeckt worden. "Sorry, I`m sorry, sorry" [Lado/RTD] heißt das zweite Album, auf dem nicht nur das Post-Grungige, als Single ausgekoppelte "Grubby" hitverdächtig ist. Feine Sache!

[mz] Ähnlich wie "Mac the mouth" Culloch (siehe Kritik zu Echo & the Bunnymen) ist auch David Sylvian mit einer dieser Stimmen gesegnet, die man aus Hunderten heraushört. Knapp zwölf Jahre nach seinem letzten wirklichen Soloalbum (dem formidablen "Secrets of the Beehive") kehrt der ehemalige Japan-Frontmann mit einem neuen Album zurück. Und "Dead bees on a cake" [Virgin] knüpft nahtlos an dieser Stelle an. Vergessen sind mehr oder weniger halbherzige Kollaborationen mit Robert Fripp oder dem Can-Musiker Holger Czukay "Dead bees on a cake" zeigt Sylvian von seiner besten Seite. Zwischen dem elegischen "I surrender" und dem meditativen "Darkest dreaming" entwickelt Sylvian mit Hilfe u.a. von Marc Ribot, Kenny Wheeler, Steve Jansen und Bill Frisell, aber auch von Talvin Singh, Songs von träger Schönheit, die musikalische Grenzen überschreiten: Ambitioniert und zugleich auf eine meditative Art Pop sind.

[lind] Vielleicht bin ich ja nicht der Richtige, um sowas zu besprechen, aber: Auf die compilation International [Lounge Records/99] von Lounge Records hat die Welt nun nicht wirklich gewartet. Bossa/Latin/Easy Listening, gespielt von Euren Lieblingskünstler Fischmob, Fettes Brot und -ähem- Grönemeyer (diesmal remixed by Hammond Inferno). Zum guten Ende macht sich noch Peter Thomas an den Sternen zu schaffen, und ich mußte den ganzen Mittag alte Jobim Platten hören, um mich von diesen hölzernen Deutschen zu erholen. aaaah!

[mz] Unglaublich kompakt, druckvoll und bis in die Haarspitzen motiviert agieren die walisischen Stereophonics sowohl live als auch auf Platte. Nach dem ´97-Debüt "Word gets around" legt das Trio nun mit "Performance and Cocktails" [V2] das Nachfolgewerk vor. Insgesamt noch rockiger als das Debüt geraten, suhlen Jones & Co sich auch auf diesem Album textlich in sozialen Befindlichkeiten, schreiben aber auch Songs über New Yorker Kunst-Clubs ["Roll up and shine"] oder die Empfangsdame einer Plattenfirma ["T-shirt Sultan"]. Daß das Trio dabei rockt was das Zeug hält, Balladen zum Besten gibt, von denen Ocean Colour Scene nur träumen können, läßt die Frage gestattet sein: Ist das noch Brit-Pop/Rock oder schon Schweinerock? Wie dem auch sei, nach zwei Durchgängen durch das Album sieht man sich selbst bei dem ein oder anderen Stück beim Wippen mit dem Fuß. Scheiß Rockisten!

[lind] Trommler-Keith Le Blanc hat mal wieder seine alten Sugar Hill Rhythmus Gangster und On-U Mutterficker Skip (McDonald) und Doug (Wimbish) ins Studio gebeten für die neue Platte Freakatorium [Blanc Records/Efa] auf seinem höchsteigenen Blanc label. Ohne es an Respekt für diese großen Männer lassen zu wollen: Wiedermal schrecklich kröselig-jazzrockig und übertreiben muckerhaft! Trotzdem große Stellen!

[mz] Ja, auch die Trainspotting-Überlebenden Underworld gibt es noch. Nach dem Megaseller "Born slippy" und dem Album "Second Toughest in the Infants" mixen Emerson, Hyde und Smith auf "Beaucoup fish" [V2] House-Grooves ["Cups"] mit stampfenden Technobeats und tuckernden Danceversatzstücken. Insgesamt wesentlich unabwechslungsreicher und vordergründig technologischer ausgefallen als das Vorgängeralbum, sind es auf "Beaucoup fish" vor allem die intimen Momente ("Skym", "Push downstairs"), die zum Wiederhören einladen und für magische Augenblicke sorgen.

[mz] Für deutschsprachigen Pop mit dem gewissen Etwas stehen die Hamburger "Ja König Ja". Auf ihrem dritten Album "Tiefsee" [Indigo] begeistert die ehemalige Hausband des legendären Hamburger-Szene-Treffs "Golden Pudel Club" mit schlichten musikalischen Weisen, Pop-Appeal, skurrilen deutschen Texte und eine Portion Kammermusik gekoppelt mit Bossa Nova, Country und US-Songwritertum der 60er Jahre. Sängerin/Cellistin Ebba Durstewitz, der Gitarrist Jakobus Siebels und ihre Mitstreiter fühlen sich dabei im Schuhmannschem Kunstlied ebenso Zuhause wie in dem Wohnzimmer-Pop der Berliner Quarks. Highlights auf "Tiefsee" sind neben dem Frankreichurlaubhasslied "Frankreichfahrerkoller", das romantische "Komm nicht" und vor allem "Bob Dylan" (mit den schönen Zeilen:"Ich ess Eis und er trinkt Tee / Er singt: Blowin´in the wind / Ich schäme mich, ich bin sein Kind...").

[tb] Lou Barlow und seine Sebadoh mögen nicht mehr this year`s model sein, doch sollte, wer Alternative-Rock mag, auch bei "The Sebadoh" [City Slang/EfA] zugreifen. Wobei Barlow & Co. nach diversen Lo-Fi-Ausflügen, hier beim herzhaften, schrägen Rock angelangt sind. Anspieltips: "It`s all yours" und die feine Single "Flame".

[lind] die tolle New Yorker Sounddesignerin Maryanne Amacher kennt der erfahrene Klangforscher natürlich schon von der essentiellen "Drones" Triologie von Asphodel. Das Material von ihrer meines Wissens ersten eigenen CD Sound Characters [Tzadik/99] geht u.a. auf Installationen Amsterdam und Melk zurück: Ambientflächen und akustische Täuschungen, die Frau Amacher als "music for the third ear" bezeichnet. verwirrend und herausfordernd!

‚[tb] Gut abgehangenen amerikanischen Rock spielt der ehemalige Weggefährte von Juliana Hatfield bei den Blake Babies, John P. Strohm auf seinem Soloalbum "Vestavia" [Blue Rose/RTD]. Nette Songs eigentlich, bei denen Mr. Strohm gelegentlich für meinen Geschmack ein wenig zu freigiebig den Schweinrock-Gitarristen ("Wouldn`t Want To Be Me") heraushängen läßt. Wobei auch die Bemerkung, daß der Beatles-Fan nur wenige Platten gehört habe, die nach 1970 erschienen sind, nicht unbedingt für John P. Strohm spricht.

[mz] Aus den Tiefen von Lawrence, Kansas kommen die durchgeknallten Hefners, eine Garagen-Punk-Combo, die auf "Lay off this is the old man´s private poison" [Middle Class Pig Records; www.MiddleClassPig.com] einer irren Beat-Punk-Mischung frönen. Dabei mitunter wie die Cramps, Jonathan Fire Eater (was den exzessiven Einsatz der Vox Orgel angeht) sowie Bands aus dem Umfeld der Milkshakes oder Thee Headcoats-Clique klingen. An zwei Tagen aufgenommen tummeln sich auf "Lay off..." 17 songs von durchschnittlich nicht einmal zwei Minuten Länge. Stücke mit Titeln wie "Short haired girls", "Abnormal Hormonal" oder "(She looks like she´s fucking the) Pinball Machine". Momentan sind sie in Europa auf Tournee. Don´t miss this beat-punk-cocktail-party!

[mz] Große Klasse sind die kanadischen Legion of green men alias Lex und Ru (auch bekannt als Incarnate). "Floating in shallow water" [Swim/EFA], ihr zweites Album, verknüpft ohrwurmartige Soundtracksamples, fließende Elektronik, dezente Beats und groovende Dubelemente zu einer spannenden, hypnotisierenden Soundgemisch, das Zuhause genauso gut funktioniert wie auf dem Dancefloor. Anspieltips: "For Maria, wherever I find her", "Owls in the apple tree" und "Constellation".

[tb] Live bezauberte sie jüngst nur mit ihrer Gitarre im Vorprogramm der fantastischen Granfaloon Bus, die amerikanische Songwriterin Susan James. Auf Platte muß man sich erstmal an das strenge, hohe Organ von Miss James gewöhnen: dann wird man allerdings zehn schöne Songs zwischen Folk und Rock entdecken. "Fantastic Voyage" [Trocadero/TIS] heißt das Werk, bei dem Susan James von einer Band begleitet wird.

[mz] Wenn es momentan eine deutsche Band gibt, die auch im Ausland mit einem Renommee gesegnet sind, das einem dabei ganz schwindelig werden könnte, dann sind das die Düsseldorfer Mouse on Mars. "Distroia" [Our choice / Rough Trade] nennen sie ihre neuste Ep, ein vertracktes 4-track-Werk, das nach dem wunderbaren Aphex-Twin-artigen Titelstück mit "Yippie" ein typisches Mouse-on-Mars-Melodien-Kleinod aufweist, mit "Distroia Supersonic Fadeout" die Gehörgänge noch einmal durchzwirbelt und mit "E 135" vieldeutig ausklingt. Jetzt heißt es sich freuen auf den neuen Longplayer der Knöpfchendreher!

[tb] Peter Thomas ist so etwas wie der deutsche Lalo Schifrin ("Mission Impossible"). "Warp Back To Earth" [Bungalow/RTD] ist eine Hommage jüngerer Musiker an den inzwischen 70jährigen Soundtrack-Komponisten, der vor allem durch die Filmmusik zu "Raumpatrouille Orion" bekannt sein sollte. Acts wie Saint Etienne und Stereolab, Momus und John McEntire, Coldcut, die High Llamas und Brezel "Stereo Total" Göring haben sich einzelner Werke von Thomas vorgenommen: Überwiegend gelungen! Dazu gibt`s auf CD Nummer Zwo 29 Originaltracks des Meisters!

[mz] Einmal mehr die üblichen ReR-Verdächtigen tummeln sich auf dem neusten Soloalbum von Peter Blegvad. "Hangman´s Hill [ReR] heißt dieses, eingespielt wurde es von Blegvad, Greaves und Cutler. "Hangman´s Hill" ist ein englischer Ausflug in amerikanisches Singer/Songwritertum. Mal Country angehauchte, mal Blues infizierte Songs sind es die das Wired Magazine von einer "Fusion zwischen Lou Reed und Bob Dylan" sprechen lassen, die aber vor allem reizvoll sind, wenn sie sich in Richtung Pop (wie das von Kristoffer Blegvad vorgetragene "Love somebody") erweitern.

[tb] "Kryptonite" [Bungalow/EfA] heißt das erste Album der Berliner Band Mina. Nach Singles und einer EP ist die Instrumentalband nun bei Bungalow gelandet. Geboten wird handmade Disco – insofern nicht so weit davon entfernt, was zum Beispiel die Münchner Merricks machen – und Soundtrack-Musik, eine winzige Spur Kraut, Sixties-Örgelchen und viel Popbewußtsein. Ziemlich klasse Platte und auch live extrem gut, wie jüngst im Münchner Atomic Café im Vorprogramm der Couch gesehen.

[mz] Den bereits mit Transglobal Underground exzessiv praktizierten Culture-clash fühlen sich Neil Sparkes und Nick Page (aka Count Dubalah) auch bei ihrem neuen Projekt Temple of Sound verpflichtet. Auf "Black Orchid" [Homebase/Indigo] lassen sie – zusammen mit Terry Neale und Julianna – fette Beats, Trip und Hip Hop-Elemente in Dialog mit wilder afrikanischer Percussion, asiatischen und lateinamerikanischen Rhythmen treten. Was dabei herauskommt ist eine mitunter hochnäsige Worldmusicdance-Variante, die auf die Clubszene schielt. Mitunter spannend, mitunter unerträglich. .

[tb] Nach der Compilation "Blech" ist "Bambi Dragon Don`t Spit No Fire" [Clearspot/EfA] das erste "richtige" Album des Hamburger Projekts plexiq. Die Tracks zwischen Trip-Hop und Dub, House, Electro-Funk, Drum&Bass, so was wie Jazz und Rock klingen passabel, mag einen aber nicht besonders berühren.

[fs] Nach nunmehr 25 Jahren ist ein Meilenstein der Avantgarde-Combo Nenry Cow um Tim Hodgkinson, Fred Frith und "furious drums" Chris Cutler nun wieder aufgetaucht. "Leg End" aus dem Jahr `73 [Virgin/Recommended Records] bildete damals den Auftakt der Socken-Trilogie über "Unrest" [1974] zu "In Praise Of Learning" [1975] und hat wohl bis heute an jazziger Innovationsfreude nichts eingebüßt. Auch wenn die schmucke LP-Edition von der Digitalität nicht einholbar ist, sollte man in Zukunft dennoch auf die Fortsetzung dieser Serie hoffen dürfen, es lohnt.

[tb] Terry Lee Hale, muß ich sagen, mag ich solo lieber hören als mit Band. Auf "Old Hand" [Glitterhouse/TIS] rockt mir Hale mit seiner Combo "The Blind Doctors" viel zu sehr. Die Schweinerockgitarre auf dem Titelsong ist jedenfalls nix für mich. Na ja, sooo schlecht ist das Album auch nicht.

[mz] Daß die Schweiz mit ein paar ganz hervorragenden Gitarrenbands gesegnet ist, bewiesen vor Jahren Gruppen mit Namen wie Arhoolies, Maniacs oder auch die Needles. Aktuellster Neuzugang sind Favez aus Lausanne, eine Band die mit "A sad ride on the line again" [StickSister/Indigo] ein ganz wunderbares Akustikalbum eingespielt hat, das sich hartnäckig in den Gehörwindungen festsetzt. Bereits 1990 gegründet, war die Band jüngst mit Fireside und den Chemikal-Underground-Helden Delgados in Deutschland auf Tour. "A sad ride" zeigt aber nur die eine Seite von Favez: Neben akustischen Kleinoden wie "20 years of anything" oder "This is how it ends", die auf dem Album versammelt sind, können Favez – vor allem live – von brachialer Gewalt sein, wie Coverversionen von Chokebore, Unsane oder Girls vs.Boys beweisen.

[fs] Die "Composition 17", so der Untertitel, ähnelt einem Streit zwischen Ruhe und elektro-akkustischen Eruptionen, wie sie der Widerstandskraft des Daseins entgegentreten. Ausbrüche, die die Spontanität der Sturzgüsse a la Tarkowskij und die Mächtigkeit von "Stahlgewittern" besitzen können, ob mit oder ohne Ein- und Ausklang: "Opera mundi is dedicated to those victims of oppression who died, are dying now, will die in the future, in the struggle for survival against man -made or natural adversity-". Fügt man noch das graue Szenario eines globalen medialen Simulacrums bei, verdichtet sich die Situation zu einem Bild, das mit einer "Electronic Sound Composition" als "Speaking Through Technology" am ehesten zu fassen ist: Man sucht den Feind schließlich im eigenen Lager auf und schlägt ihn dann mit seinen eigenen Waffen. Ein genialer Schachzug!

[fs] Was Tietchens/Obmana in Abgrenzung zum bloßen remixing mit "The Art of Recycling" bezeichnen, endet nicht mit der Grenze des einzelnen Track, nimmt eher das komplette multi-track-Objekt als Summe seiner Teile in die Bearbeitung. Zwei Fragen stellen sich dann: Warum gerade dies Objekt, und: Sind seine Struktur und Sound geeignet? Es bedarf einer gewissen transformatorischen Kompetenz, eines Instinkts für das zu dekonstruierende Material, von dem die Forderung ausgeht. In diesem Prozeß verwandelt sich "Linea [1-3]" (1988) zu "Linear Writings" und "Nachtstücke" (1975-78) zu "Nachtstücke Revisited". Ob die Auswahl der "motives for recycling" [Soleilmoon/Staalplaat] hier gelungen ist, läßt sich Mangels Kenntnis des Basismaterials zwar nicht beurteilen, aber die Idee besitzt zweifellos ihre Faszination.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch