kurztips
[mz] Wenig Neues
gibt es aus dem musikalischen Noise-Universum der schottischen Jesus
& Mary Chain zu vermelden. Ihr neustes Werk „Munki"
[Creation/Sony] bewegt sich in wohlbekannten musikalischen Gefilden.
Zwischen „iloverocknroll" und „ihaterocknroll"
finden sich 15 Songs, die sich ohne weiteres schon auf einem früheren
Album der Brüder William und Jim Reid hätten finden können. Wenngleich
„Munki" im Vergleich zum Vorgängeralbum „Stoned &
dethroned" insgesamt etwas energetischer ausgefallen ist. Das
remixte „Perfume" tönt wie ein Outake von Primal Scream,
der Band ihres ehemaligen Schlagzeugers Bobby Gillespie. Die Single
„Cracking up" verbindet all das, was man an den beiden
Schotten immer geschätzt hat: emotionslosen, arroganten Gesang,
monotone Bass und Gitarrenriffs à la Velvet Underground und eine
Textzeile, die so stupid sie auch immer sein mag, einem irgendwie
im Gedächtnis haften bleibt. Mitunter hat das sogar, wie bei dem
folkigen „neverunderstood" etwa, richtiggehend Größe.
Jim und William Reid sind wahre Meister der Reduktion, die seit
nun beinahe 14 Jahren ein und dieselbe Platte machen und lediglich
den Gehalt an Feedback und Noise variieren. Bravo!
[mh] Die fulminante
Compilation „Lyricist Lounge Volume I" [Open Mic/
Rawkus] faßt [sehr schön aufbereitet] die Aktivitäten des regelmäßig
in New York stattfindenden Lyricist Lounge - Showcase zusammen und
featured die derzeit angesagtesten MCs und Open Mic Poets.
Viele Worte müssen an dieser Stelle nicht verloren werden, da die
Lounge weiter vorne im Heft (siehe Artikel über Underground-HipHop)
ausgiebig erläutert wird. Nur soviel sei gesagt: ohne diese Compilation
kommt ihr garantiert nicht über den Sommer. Falls doch, dann schreibt
mir bitte wie.
[mz] Vorbei
sind die Zeiten von „Freaks", von „Separations",
von „claustrophobia, suffocation and holding hands" im
kleinen Kreis. Zumindest mußte man das denken, nach dem letzten
megaerfolgreichen und doch zwiespältigen Album „Different Class".
Umso erstaunlicher ist es, daß Pulp nach „Common people",
nach „Disco 2000" und diversen Brit und Brat-Awards doch
noch mal den Rückwärtsgang eingelegt haben. „This is hardcore"
[Island/Mercury] ist ein Schritt zurück im positiven Sinne, nach
„Babies" und vor „His ‘n’ hers". Noch
immer bestimmen die große Gesten von Jarvis die Musik von Pulp.
„This is hardcore" ist Prozac-Pop, mitunter bitter, höchst
depressiv und gleichzeitig glamourös. Zum ersten Mal singt Jarvis
primär in der ersten Person Singular. „the rave is over, Sheffield
is over, men are over, women are over, irony is over, bye bye"
verkündet programmatisch und pathetisch „The day after the
revolution". Höhepunkt bleibt trotzdem das Titelstück „This
is hardcore", eine thematisch sperrige Single, die das Peter
Thomas Sound Orchester zitiert und in den höchst zynischen, frustrierten,
scheinbar emotionslosen Zeilen gipfelt „And that goes in there,
and that goes in there, and that goes in there, and that goes in
there/and then it’s over/Over/what a hell of a show..."
And what a hell of a song! P.S. Die Vinylversion enthält vier Extratracks.
[fs] Chemische
Prozesse sind nun auch hörbar, als dumpfe Einschläge. Kein audiophiles
Begleitmaterial zu „In Stahlgewittern", sondern computerverstärkte
Detonationen von Propan-Luft-Gemischen stellt Bastiaan Maris
in „Large Hot Pipe Organ" [Staalplaat/Tesco] vor, einer
nach „The Heater" und „Relaytors de Luxe" (Maris/Homsy)
weiteren Installation chemo-akkustischer und elektro-mechanischer
Instrumente, deren Intensitäten hier je nach Länge der 20 präparierten
Pfeiffen variieren und in wohlgesicherter Entfernung einschlagen.
Für Unerschrockene: Der Zoom ist der große schwarze Drehschalter
am Receiver: Also zweifellos ein interessantes Experiment.
[tb]
Was machen That Petrol Emotion eigentlich? Früher, in prä-brit-pop-Zeiten
mal eine geschätzte nordirische Kapelle, und inzwischen von der
Bildfläche verschwunden. Wieder aufgetaucht ist jedenfalls Sean
O`Neill, einst Gitarrist und so etwas wie Kopf der Gruppe, der
nun auch, wie viele andere einstige Rockmusiker, sich in Richtung
Dancefloor orientiert. Gemeinsam mit Locky Morris, einem der bekanntesten
Bildhauer Irlands und der ehemaligen Dozentin für Kunstgsechichte,
Mary Gallagher, macht O`Neill als Rare in Sachen dancefloor-gestütztem
Pop. Wobei „Peoplefreak" (RTD) ein ausgesprochen hübsches
Album geworden ist, das mal mit Trip-Hop oder Drum & Bass, mal
mit harschen Gitarren, mal mit elektronisch verzerrten Sounds arbeitet.
Dazu die sphärisch-schöne Stimme von Frau Gallagher. Anspieltips:
„Something wild", „Trains to nowhere" und „Seems
like".
[tb] Klasse
Bandname, gute Platte. Nachdem in England schon nach zwei Singles
(„Kool Rok Bass" und „Disco Machine Gun") ein
grosser Hype um die Lo Fidelity All Stars betrieben worden
ist, wurde das erste Album der Sechs aus London heiß erwartet. Wobei
„How To Operate With A T Blown Mind", erschienen auf dem
derzeit heißesten englischen Pop-Label Skint [Epic/Sony] nicht zuviel
verspricht. Stichwort Big Beat. Ziemlich souverän kommen die Songs
daher und die Einflüsse aus HipHop, Breakbeats, P-Funk, Soul und
Rock/Punk passen. Neben der neuen Single „Vision Incision"
gefällt vor allem „Battleflag".
[mz] Für so
eine Art „This Mortal Coil goes Worldmusic" steht das
zweite Soloalbum des Dead-can-Dance-Gründungsmitglieds Lisa Gerrard,
das sie zusammen mit ihrem langjährigen, musikalischen Partner Pieter
Bourke aufgenommen hat. Auf „Duality" [4AD/Rough Trade]
verbinden sich exotische Klänge mit Popmusik, vertrackte Rhythmen
mit soundtrackartigen Ethno-Klängen und lyrischen Texten. Bestimmt
wird das Ganze von der außergewöhnlichen Stimme von Lisa Gerrard,
die auf „Duality" ihr Organ im Spiegel diverser weltmusikalischer
Einflüsse erschallen läßt. Für 4AD-Liebhaber!
[tb] Vier auf
Stühlen sitzende, musizierende Herren der Willard Grant Conspiracy
waren die große Überraschung bei der jüngsten Tournee des Walkabouts-Duos
Chris & Carla. Ehrlich gesagt haben die vier Amis aus Boston
den Hauptact mit ihren geschmackvollen, langsamen Torch-Songs und
ergreifendem Slow-Core ganz schön in den Bo-den gespielt. Songs
voller Herzblut und Leidenschaft, gesungen von einem Sänger mit
wirklich großer Stimme, der ein wenig wie eine XXL-Version von Buddy
Holly aussah. Vergleiche gefällig: Low, Souled American, Triffids
(wegen der Stimme) und Tindersticks: Nachzuhören auf dem soeben
erscheinenen zweiten Album „Flying Low" [Slow River/RTD].
[fs] Akifumi
Nakajima, besser bekannt als AUBE, läßt in seinem neuen Projekt
„Mort Aux Vaches – Still Contemplation" [Staalplaat/Tesco]
ein rhythmisch variables Echolot und einen sensiblen Hochfrequenzbereich
gegeneinander antreten und scheint zuzusehen („– Still
Contemplation"), was mit diesem Duett passiert. Überschneidungen,
Ablösungen, Konkurrenz oder Harmonie, diese Beurteilung sei dem
Hörer überlassen. Nur soviel, es ist ein 1stündiger Atem vonnöten.
[tb]
Er ist der „König des Pop", so der schönste Titel auf
dem Debütalbum [V 2/RTD] des 24jährigen Studenten Gautsch. Leider
baut die CD nach dem grandiosen Opener etwas ab. Gut die Hälfte
der Songs zwischen Beck-inspiriertem Low-Fi-Pop und Non-HipHop sind
trotzdem große Klasse. „Den Abend" mit seinem, echt, Klaus-Lage-Sample,
„Ravemädchen" oder „Unterm Sofa".
[mz] Ein paar
übriggebliebene, desperate, australische Blues-Heroen gibt es noch:
Nick Cave, Hugo Race oder eben Louis Tillet. Letzterer
hat gerade sein viertes Solo Album „Cry against the faith"
[Normal] veröffentlicht, einmal mehr eine musikalische Reise in
dunkle Gefilde der Seele. Weniger kammermusikalisch und düster als
auf dem formidablen Vorgängeralbum „Letters to a dream"
(1992) zwar, aber immer noch hauptsächlich den menschlichen Abgründen
zugewandt sind die Texte des Australiers mit der klassischen Piano-Ausbildung.
Verflossene Liebschaften, gebrochene Herzen, Einsamkeit und zitternde
Hände im Morgengrauen sind narrative Versatzstücke dieser Piano-Bar-Jazz-Blues-Musik,
die immer wieder von Bläsersätzen aufgelockert wird und eigentlich
nur richtig eklig werden kann, wenn das Saxophon von Diana Spence
musikalischen Raum beansprucht. Anspieltips: „Tombstone Eyes"
und das elegische „It’s gonna rain".
[fs] Wer die
Sprachexperimente aus den 50ern und 60ern (Lily Greenham liest Greenham,
Heissenbüttel, Jandl u.a.) kennt, der kann sich vorstellen, was
jaap blonk auf „vocalor" [Staalplaat/Tesco] unternehmen:
Eine phonetische Klangkollage, die sich an Vokalen, Konsonanten
und Silben abarbeitet und als Höhepunkt und Abschluß im „Lautgedicht"
(nach Morseprinzip) von Man Ray gipfelt. Äußerst experimentell und
durchaus interessant.
[tb] Jennifer
Herema und Neil Hagarty besser bekannt als Royal Trux sind
bereits seit einigen Jahren mit ihrem trashigen Garagenrock unterwegs.
Man erfreut sich einer relativ großen Fangemeinde und hat gewissen
Kultstatus inne. „Accelerator" [Domino/RTD] ist das siebte
Album dieser Trash-Rocker mit hohem Glam-Faktor, die trotz diverser
Seventies-Bezüge, zum Glück eines definitiv nicht sind: Retro-Rocker!
Das verhindert nicht zuletzt auch die ironische Herangehensweise
an die Musik und die enorme Durchgeknalltheit des Pärchens. Ob bei
der Country-Persiflage „Yellow Kid", dem Swamp-Rocker
„Another year" oder „Liar", meinem persönlichen
Favoriten.
[mz] Die Trip-Hop-Nachwehen
geistern durch die Songs von Morcheeba und Hipkiss. Erstere
haben gerade ihr zweites, deutlich weniger dancebeatlastiges Album
„Big Calm" [Wea/Public Propaganda] veröffentlicht, letztere
ihr Debütalbum „Bluebird" [Sony/Public Propaganda]. Während
Morcheeba ein wirklich nettes Pop-Album mit Streicherarrangements,
Danceversatzstücken, Folk- und Dub-Anklängen („Friction"
featured den NY artcore Psychonauten Nosaj von New Kingdom) geschaffen
haben, liebäugeln Hipkiss mitunter mit Easy-Listening-Sounds. Vieles
wirkt dabei unausgegoren, mitunter langweilig (richtiggehend häßlich
ist die ein oder andere Gitarrenspur). Auch im gesanglichen Vergleich
hat Morcheeba Frontfrau Skye Edwards Hipkiss-Sängerin Catherine
Mather einiges voraus: Während Skyes Stimme Soul hat, erstarrt bei
Mather vieles zur reinen Pose. Die gemeinsame Vorliebe für Soundtracks
(von John Barry bis Henry Mancini) soll Hipkiss zusammengeführt
haben. Ein Einfluß, der einem auf „Bluebird" auf Schritt
und Tritt begegnet, aber eben primär in der Form klanglicher Allgemeinplätze.
[tb] Heftiger
Garagenrock mit der schwedischen Retro-Kapelle Silverbullit,
die auf ihrem gleichnamigen De-bütalbum [Clearspot/EfA] auf
den Spuren der Stooges, 13th Floor Elevators und Doors (jaja, das
Örgelchen) sind. Gut gemacht, ohne Zweifel und auch nett, doch wer
braucht so was heute noch? Oder wieder?
[fs] Was bei
Fabrikation von LEESON Nr.7 noch im Dunkeln lag, daß man nämlich
bei Justin Bennetts „Cityscape" per Mausklick zweidimensional
und akustisch durch eine multiethnisch-urbane Landschaft zappen
konnte, er-hält nun seine Ergänzung. „The mosques of tanger"
[mCD auf Staalplaat/ Tesco] importiert vorab orientalisches Flair
(Gebetsgesänge, ländliche Geräusche u.ä.), wovon sich die Einwohner
dieses lieblichen Städtchens, wenn auch nicht videoinstallativ (wäre
sicher auch sehr interessant), so doch in absehbarer Zukunft realiter
vergewissern werden können. Hier ein kleiner Vorgeschmack.
[tb] Daß es
allmählich Zeit wird für einige Gedanken an den Synthie-Pop der
frühen Achtziger Jahre, zeigen ja nicht nur Kreidler, sondern
auch I-f, dessen Elektro-Synth-Song „Space Invaders
Are Smoking Grass" schön mit Elementen von damals spielt. Enthalten
ist der tolle Track auf dem jüngsten Sampler von Interdimensional
Transmissions, der Techno-Electronic-Listening-Reihe „From
Beyond" [Sub Up/EfA]. Wobei auch der Rest, ob nun u-ziq alias
Mike Paradinas, Krok oder Synapse überzeugt.
[tb] Schlicht
Wagon nennt sich ein countryinfiziertes Quintett aus St.Louis/Missouri,
das sein sehr schönes zweites Werk einfach „Anniversary"
[Glitterhouse/TIS/ eastwest] nennt. Eingespielt wurde die Platte
in einer Scheune, was mich natürlich an eine andere feine „Scheunen-Platte",
„In The Pines" (1986) der australischen Triffids erinnert.
Wobei die mit Dobro, Lap Steel Gitarre, Cello und sonstigem Instrumentarium
eingespielten Stück übrigens genauso nahe am Folk sind wie am Country.
Weshalb manche Kollegen das als Countryrock bezeichnen, bleibt mir
jedenfalls ein Rätsel. Anyway, welche Schublade hier aufgemacht
wird: gute Platte!
[fs]
Commercials all over the world! Kaliforniens innovative Cut-Up-Combo
Negativland präsentiert mit ihrer „Happy Heroes"
EP [Seeland/Staalplaat] eine weitere Klangkollage aus wohlbekannten
Motiven, die mit einem erfrischenden Remix des gleichnamigen Track
unmittelbar an das Vorläuferprojekt „Dispepsi" (Leeson,
#7) an-schließt. Als Plus gibt es hierzu dann noch ein „One
World Advertising"-"Happy Heroes"-Wendeposter, das
man sich möglichst auch nicht entgehen lassen sollte. Wertung unverändert:
It fits all you need, anyway.
[tb] Nach Film-
und Theatermusiken und den Hörspielen mit Haage und Ammer, arbeitet
Ex-Nebauten-Schlagwerker F.M.Einheit nun mit der 22jährigen
dänischen Sängerin Gry zusammen. Wobei „Touch of E!"
[Our Choice/RTD] zwischen einer Art nordischem Trip-Hop, Pop, Dark
Wave und Filmsoundtrack hin- und herpendelt. Trotz einiger guter
Songs ingesamt nicht so wahnsinnig spannend.
[fs] „Long
Stones & Circles", schwankend zwischen `ambient industrial’
und `musique concrète’ , ist ein Gewebe von natürlichen Klängen
(Grillen, Steine, Wind, Salz oder Wasser), Instrumenten (Gitarren,
Metronome) und rezitierenden Stimmen, die die am-bienthafte Stimmung
über 18 Minuten (Maxi-CD) hinweg bestimmen und einen faszinierenden
Einblick in das Werk des Duos Kinkelaar/de Waard [Beequeen]
bahnen. Vielleicht ein wenig verwirrend, aber schon allein der Verpackung
wegen audiophil.
[tb] Allererste
Adresse für deftigen Garagen-Rock ist das Hamburger Crypt-Label.
Fans werden das Bostoner Trio Cheater Slicks nach fünf regulären
Alben bereits kennen. „Skidmarks" bringt nun auf über
70 Minuten insgesamt 18 Outtakes, Raritäten, Radioaufnahmen sowie
Songs vom unveröffentlichten ersten Album (1989). Wem die Cramps
nach all den Jahren zu zahm geworden sind, der höre hier mal rein.
[fs] „Crisis
In Clay", der zweite Versuch von den 5UU’s (ReR)
nach „Hunger’s Teeth" (1994) ist ein buntes Einerlei,
das progressiven Rock a la Zappa und frühe Produkte Henry Cows (Cow/Cutler/Frith/Cooper/Hodgkinson)
-man denke nur an die drei Stricksocken-Editionen (`73/`74/`75,
Virgin)- zu einem Soundcluster verwebt, das doch an die Vorbilder
nur annähernd heranreicht. Bei aller Liebe fürs Detail ergibt das
ein hektisches Gebilde, das ohne Leitfaden, Struktur und Netz auszukommen
meint. Oder ist das vielleicht das, was man unter progressiver Avantgarde
versteht? Ich hoffe nicht. Wertung: Eher enttäuschend, wenn man
die Vorlagen in Erinnerung ruft. |